Powell in Jackson Hole: Nagelprobe für den Fed-Zinsentscheid
„Die Balance der Risiken für die US-Wirtschaft verschiebt sich – das stärkt die Argumente für eine Senkung der Leitzinsen“, erklärte Fed-Chef Jerome Powell am Freitag auf dem jährlichen Notenbanker-Symposium in Jackson Hole. Es war sein letzter Auftritt in dieser Funktion bei der Konferenz während seiner aktuellen Amtszeit. Zur Erinnerung: Die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) verfolgt ein doppeltes Mandat – Preisstabilität und maximale Beschäftigung. Derzeit bestehen auf beiden Feldern Risiken: Die Inflation ist weiterhin zu hoch, während sich der Arbeitsmarkt abschwächt.
Kernaussage Powells: Der US-Arbeitsmarkt kühlt ab, während Trumps neue Zollpolitik die Inflation anheizt. Das Gleichgewicht zwischen beiden Risiken verändert sich. Dennoch befinden sich die Leitzinsen nach wie vor in einem restriktiven Bereich, was der Fed Spielraum für geldpolitische Anpassungen lässt. Finanzmärkte interpretierten Powells Äußerungen als vorsichtige Annäherung an einen möglichen Zinsschritt. Im ersten Handelsimpuls zogen US-Aktienkurse an, begleitet von Spekulationen über einen Zinsschritt bereits im September – so berichten US-Wirtschaftsmedien.
Was Powell in einer Rede in Jackson Hole sagte
Powell wies in seiner Rede darauf hin, dass sich die US-Wirtschaft 2024 trotz grundlegender Veränderungen in der Wirtschaftspolitik bislang als widerstandsfähig erwiesen habe. Mit Blick auf das doppelte Mandat der Fed sei der Arbeitsmarkt weiterhin nahe der Vollbeschäftigung, und die Inflation – wenngleich noch erhöht – habe sich deutlich von den Spitzenwerten der Pandemie entfernt. Doch das Verhältnis zwischen diesen beiden Risiken verändere sich, so Powell. Er erinnerte daran, dass vor einem Jahr die Leitzinsen bereits über ein Jahr lang im Bereich von 5,25 bis 5,5 Prozent lagen. Diese restriktive Geldpolitik sei damals angemessen gewesen, um die Inflation zu senken und ein nachhaltiges Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot herzustellen. Seither habe sich die Inflation dem 2-Prozent-Ziel angenähert, der überhitzte Arbeitsmarkt habe sich abgekühlt.
Innerhalb eines Jahres sei das Inflationsrisiko gesunken – zugleich sei die Arbeitslosenquote um fast einen Prozentpunkt gestiegen, was außerhalb von Rezessionen ungewöhnlich sei. Neue Herausforderungen belasteten zudem die US-Wirtschaft:
- Höhere Zölle gegenüber Handelspartnern veränderten das globale Handelssystem.
- Eine verschärfte Einwanderungspolitik habe das Arbeitskräfteangebot gebremst.
- Steuer-, Konsum- und Regulierungsreformen könnten langfristige Folgen für Wachstum und Produktivität haben.
Powell warnte vor erheblicher Unsicherheit über die Dauer und das Ausmaß dieser strukturellen Veränderungen. Die Herausforderung bestehe darin, zwischen zyklischen und strukturellen Entwicklungen zu unterscheiden. Geldpolitik könne kurzfristige Schwankungen glätten – strukturelle Trends hingegen nur bedingt beeinflussen.
Ein Beispiel: Der US-Arbeitsmarkt sei derzeit formal in einem Gleichgewicht – dieses Gleichgewicht sei jedoch ungewöhnlich. Es beruhe auf einem gleichzeitigen Rückgang von Arbeitsangebot und -nachfrage. Sollte sich das Gleichgewicht zugunsten höherer Arbeitslosigkeit verschieben, könne dies abrupt durch massive Entlassungen geschehen. Zudem habe sich das US-BIP-Wachstum im ersten Halbjahr auf 1,2 Prozent halbiert (Vorjahr: 2,5 Prozent) – primär infolge rückläufiger Konsumausgaben. Auch hier sei eine Abschwächung des Produktionspotenzials wahrscheinlich.
Der nächste Fed-Zinsentscheid: Zinssenkung ja – aber nicht automatisch
Mit Blick auf die Inflation wies Powell darauf hin, dass höhere Zölle inzwischen preistreibend wirken – insbesondere bei bestimmten Konsumgütern. Diese Effekte würden sich in den kommenden Monaten weiter aufbauen, seien aber hinsichtlich zeitlichem Verlauf und Intensität schwer prognostizierbar. Für die Fed ist entscheidend, ob diese Teuerung einen erneuten Inflationsimpuls auslöst – mit Lohnforderungen, sinkender Kaufkraft und steigenden Erwartungen. Dies könnte sich selbstverstärkend auf die Preisbildung auswirken.
Und dann stellt Powell eine Fragen, die die Zuhörer aufhorchen lässt: Was bedeutet das für die Geldpolitik? Kurzfristig seien die Inflationsrisiken nach oben, die Beschäftigungsrisiken nach unten gerichtet – ein schwieriges Umfeld. Es gelte, beide Seiten des Fed-Mandats auszutarieren. Der gegenwärtige Leitzins liege zwar rund einen Prozentpunkt unter dem Vorjahresniveau, befinde sich aber noch immer im restriktiven Bereich. Damit habe die Fed prinzipiell Raum für eine geldpolitische Lockerung, ohne das Ziel der Preisstabilität zu gefährden. Eine tatsächliche Senkung kündigte Powell jedoch nicht an. Vielmehr wiederholte er den bekannten Hinweis, dass geldpolitische Entscheidungen nicht vorweggenommen würden. Die Fed werde ihre Maßnahmen weiterhin datenabhängig treffen – unabhängig von politischen Forderungen. Mit dieser Aussage unterstrich Powell erneut die institutionelle Unabhängigkeit der Notenbank gegenüber der US-Regierung.
Protokoll der Juli-Sitzung: Uneinigkeit über Zinsschritte
Ein Blick ins Protokoll der Juli-Sitzung des geldpolitischen FOMC-Ausschusses offenbart interne Differenzen. Zwar wurde die Leitzinsentscheidung nicht verändert, doch fiel sie nicht einstimmig aus – ein seltenes Ereignis bei der Fed. Mehrere Mitglieder des zwölfköpfigen Ausschusses hielten die Inflationsrisiken für vorrangig. Besonders die damalige Juli-Inflation von 2,7 Prozent – deutlich über dem Zielwert – weckte Sorge vor steigenden mittelfristigen Erwartungen. Die Mehrheit der FOMC-Mitglieder war daher gegen eine Zinssenkung – trotz zunehmender Schwäche am US-Arbeitsmarkt.
Aktuell bewegen sich die US-Leitzinsen im Bereich von 4,25 bis 4,50 Prozent. An den Terminmärkten ist bereits eine Zinssenkung beim kommenden Fed-Zinsentscheid im September eingepreist.
Powells Wendepunkt: Kommt beim nächsten Fed-Zinsentscheid die Kehrtwende
Auch für Deutschland und die Eurozone sind die geldpolitischen Signale aus Jackson Hole relevant. Ein US-Zinsschritt wirkt sich direkt auf Kapitalflüsse, Währungsrelationen und Inflationsdruck in Europa aus. Der Euro-Dollar-Kurs reagiert empfindlich auf jeden Fed-Zinsentscheid – mit Auswirkungen auf Exportpreise, Rohstoffkosten und EZB-Erwartungen. Sollte die Fed die Zinsen tatsächlich senken, wächst der Druck auf die Europäische Zentralbank, ebenfalls geldpolitisch nachzuziehen – trotz strukturell anderer Konjunkturlage in Europa.
Jerome Powells Rede in Jackson Hole markiert einen möglichen Wendepunkt in der US-Geldpolitik. Der Fed-Vorsitzende erkennt wachsendes Risiko am Arbeitsmarkt und steigenden Inflationsdruck durch Handels- und Migrationspolitik. Doch statt einer klaren Ankündigung liefert Powell ein differenziertes Bild: Die Notenbank hat Spielraum – doch Entscheidungen bleiben datenbasiert. Der nächste Fed-Zinsentscheid im September wird zeigen, ob die Märkte mit ihrer Zinssenkungswette richtig liegen.


