Politik

Edward Snowdon und Elon Musk schockiert: Telegram-Gründer Durow in Paris verhaftet

Lesezeit: 4 min
26.08.2024 16:01
Pavel Durow ist Gründer und CEO des Messengers Telegram. Französische Behörden haben den Russen (mit französischem Pass) am Flughafen Le Bourget festgesetzt, weil Telegram auch als Marktplatz für Drogengeschäfte, Kindesmissbrauch, Betrug und sogar Terrorismus genutzt wird. Paris untersucht, inwieweit Durow hierfür strafrechtlich Mitverantwortung trägt. Kritiker wie Snowdon und Musk solidarisieren sich und halten Frankreichs Staatspräsident Macron "Geiselnahme" vor.

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Wenn sich ganz unvermittelt der als Whistleblower bekannt gewordene Amerikaner Edward Snowdon aus Russland meldet, spitzt man als Journalist grundsätzlich die Ohren. Geht die Welt unter? Droht ein Angriff auf die Freiheitsrechte? Oder will Russland Snowdon plötzlich abschieben? Nein, nichts dergleichen. Snowdon stellt sich diesmal seinem Freund Pavel Durow zur Seite. Der Telegram-Gründer und Milliardär ist in Paris von den französischen Behörden verhaftet worden. Für Snowdon „ein Angriff auf die grundlegenden Menschenrechte, auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit“. Staatspräsident Emmanuel Macron nehme den Messenger-Mogul als Geisel, protestierte er. Elon Musk postete auf dem von ihm betriebenen Kanal X auf Französisch prompt einen Freiheitsappell: "Liberté. Liberté! Liberté?"

Ausgerechnet Snowdon, Musk, Russen protestieren

Snowdon wiederum holt in seiner Freiheitspetition ganz weit aus: „Ich bin überrascht und zutiefst betrübt, dass Macron sich auf das Niveau einer Geiselnahme herabgelassen hat, um sich Zugang zu privater Kommunikation zu verschaffen. Das ist nicht nur eine Schande für Frankreich, sondern für die ganze Welt.“ Pavel Durow, 1984 in Sankt Petersburg geboren, verfügt über die Doppel-Staatsbürgerschaft mit Frankreich. Dort wurde er per Haftbefehl gesucht und am Samstagabend überraschend am Flughafen Le Bourget festgenommen.

Es heißt, Frankreich habe Durow aufgrund von Vorermittlungen wegen seiner Telegram-Aktivitäten gesucht. Der Vorwurf gegen Telegram und damit gegen den verantwortlichen Betreiber der Plattform: Unzureichende Kontrolle. Durow lehnt es offenkundig ab, Telegram auch nur irgendwie zu regulieren und bei Straftaten mit Polizeibehörden und Justiz zu kooperieren. Es geht um den Vorwurf, dass Telegram als Kanal für Drogenhandel, Betrug, Cyber-Mobbing und mutmaßlichen Kindesmissbrauch wie auch Terrorismus fungiert und Straftaten begünstigt. Durows App nutzen rund 900 Millionen Menschen, um verschlüsselt miteinander zu kommunizieren. Im juristischen Sinne ist Durow als Betreiber damit mindestens der Mithilfe verdächtig und macht sich womöglich an Verbrechen mitschuldig.

Seinen Nutzern verspricht Telegram Anonymität. So kommt es, dass auch Militär-Blogger im Ukraine-Krieg dies für sich mit allerlei Lageberichten und Geheiminformationen nutzen. Gleichzeitig halten Experten Telegram für eine Social-Media-Plattform, die unkontrolliert und uneingeschränkt Desinformation, Hetze und Hass verbreitet, sodass Kriminelle den Dienst für ihre Geschäfte für unerlässlich halten.

„Es reicht mit der Straflosigkeit von Telegram“, begründete ein Ermittler die Strafermittlungen. Wobei die Probleme natürlich nicht nur Frankreich tangieren, sondern auch andere Staaten, die Schwierigkeiten haben, unzulässige Aktivitäten über Telegram zu unterbinden oder aufzuklären. Telegram ist bekannt dafür, Ende-zu-Ende-verschlüsselte Chats zu ermöglichen. Es wird gleichermaßen in politischen wie auch kriminellen Kreisen als "Geheimdienst" gefeiert. Freilich gibt es unverdächtige Nutzer, die einfach nur froh sind, nicht von Vater Staat überwacht oder von sonstigen Institutionen behelligt zu werden. Der Messenger-Dienst wies sämtliche Vorwürfe gegen Telegram am Montag zurück.

Es gilt in vielfältigen Kreisen als abhörsicher und für Geheimabsprachen prädestiniert. Auch in Deutschland steht Telegram als Kommunikationskanal für Rechtsextreme und allerlei Verschwörungstheorien in der Kritik. Nicht nur die französischen, sondern auch die deutschen Behörden sind jedenfalls einigermaßen verblüfft, dass Durow ihnen so unvermittelt ins Netz gegangen ist. Er hätte wissen können, dass Paris ihn dingfest machen will und Interpol die Ermittlungen womöglich unterstützt. Angeblich nutzt Durow (wie viele seiner auf Telegram tätigen Influencer) die Steueroase Dubai als Wohnsitz. Offenbar war er bei seiner Rückkehr nach Frankreich aber völlig arglos - oder gar naiv. Angeblich war er lediglich zum Diner in Paris verabredet. Der 39-jährige französisch-russische Milliardär wurde bei der Einreise aus Aserbaidschan von seinem Leibwächter und seinem Assistenten begleitet, heißt es.

Auch Russland über Durows Festnahme entsetzt

Zum Kreis der Unterstützer und Fans von Telegram gehört wenig überraschend auch Russland. So schrieb der stellvertretende Sprecher der Staatsduma, Wladislaw Davankow, sinnigerweise auf Telegram: „Kaum jemand sonst hat mehr für die Entwicklung digitaler Dienste in Russland und der Welt getan.“ Russland müsse international die sofortige Freilassung fordern, verlangt er. Die Sprecherin des Aussenministeriums, Marija Sacharowa, erklärte, die russische Botschaft in Paris hofft auf konsularischen Zugang. Freilich sei Durow primär französischer Staatsbürger, womit die Verantwortung Frankreich zufällt.

Zu den Fans in den USA zählen Elon Musk and David Sacks, jene Tech-Pioniere mit der anderen Meinung. Sie lehnen regelmäßig jegliche Einflussnahme von Behörden weltweit als Verstoß gegen das Recht auf Meinungsfreiheit ab. Durow präsentierte sich immer wieder als Verfechter absoluter Meinungsfreiheit - und absolut freier Märkte. Selbst gegenüber Russland opponierte er lange, als die russischen Behörden von ihm verlangten, den Account Alexej Nawalnys zu sperren.

Umgekehrt nutzte Durow seinen Einfluss, um in einem Interview mit dem rechten US-Moderator Tucker Carlson eifrig Musks Übernahme von Twitter zu X zu feiern. Wie einflussreich Telegram auch in den USA ist, zeigt sich daran, dass dort vor einigen Jahren sogar eine Börsengang geplant war. Das Geschäft boomt, denn Telegram ist mit einem Provider-Team von gerade mal 50 Mitarbeitern extrem profitabel.

Gemeinsam mit seinem Bruder Nikolai gründete Pavel Durow 2006 erst die Plattform VK ("Vkontakte") - es fungiert als russisches Pendant zu Facebook. 2013 folgte dann die Gründung von Telegram. Durow wird ein Vermögen von gut 15 Milliarden US-Dollar zugeschrieben. Wie der Laden läuft, wenn er jetzt für längere Zeit aus dem Spiel genommen ist, wird sich erweisen müssen. Immerhin hält sein Bruder Nikolai vorerst weiter die Strippen in der Hand.

Konsequenzen für Kryptowährung "Toncoin"

Ein Schlag ins Kontor bedeutet die Festnahme für Toncoin-Investoren. Die Krypto-Währung ist Teil von "The Open Network" (TON) und mit Telegram verbandelt. Nach Bekanntwerden des Verhaftung Pavel Durows knickte der Kurs der Währung zeitweise um 20 Prozent ein - ein Dip von gut zwei Milliarden und damit herber Schlag gegen das über Telegram publik gewordene und für den Massenmarkt konziperte Kryptoprojekt. Nikolai Durow steht als Programmierer als Mastermind hinter der Blockchain der Toncoins.

In den vergangenen zwei Jahren ist Toncoin in die Top Ten der Kryptowährungen vorgerückt - mit bereits gut 25 Milliarden Dollar Marktwert. Börsenexperten berichten, dass die "Telegram-Plattform in die TON-Blockchain integriert" sei. Selbst das Werbenetzwerk werde darüber abgewickelt und die Wallets seien in die App eingebunden. Geld kann so ganz leicht zwischen den Telegram-Nutzern hin- und her überwiesen werden - ohne jegliche Kontrolle. Eine Black Box gewissermaßen, die sich auch Clans und kriminelle Banden zunutze machen und wohl auch der Terrorismus-Finanzierung dient.

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Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.



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