Politik

Sachsen: CDU erwägt Bündnis mit Wagenknecht-Partei

Nach den Landtagswahlen in Sachsen steht Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) vor schwierigen Koalitionsverhandlungen. Eine Zusammenarbeit mit der SPD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) scheint für ihn trotz parteiideologischer Differenzen eine realistische Möglichkeit zu sein. Dennoch dürften es vor allem mit dem BSW sehr schwierige Gespräche werden.
02.09.2024 10:15
Lesezeit: 4 min

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hält nach der Landtagswahl in seinem Land eine Koalition mit der SPD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) für möglich. „Es wird nicht einfach sein, es wird auch seine Zeit dauern, aber es ist möglich“, sagte Kretschmer am Morgen nach der Wahl im Deutschlandfunk.

Seine Partei CDU ist in Sachsen nach den vorläufigen Ergebnissen mit 31,9 Prozent (2019: 32,1 Prozent) knapp stärkste Kraft geworden, dicht gefolgt von der AfD mit 30,6 Prozent (27,5). Das neue BSW erreicht aus dem Stand 11,8 Prozent. Die SPD liegt bei 7,3 Prozent (7,7).

Kretschmer: „Parteiideologien“ müssen hinten anstehen

„Ich möchte diesem Land dienen, ich möchte diesem Land eine stabile Regierung geben“, betonte Kretschmer, der immer noch gute Chancen hat, Ministerpräsident seines Landes zu bleiben. Der Weg dahin werde aber nicht leicht und könne monatelange Verhandlungen mit den möglichen Koalitionspartnern bedeuten, betonte der CDU-Politiker. Nun gehe es erst mal darum durchzuatmen und sich zu freuen, dass es in Sachsen gelungen sei, eine stabile Regierung bilden zu können. Von Koalitionsverhandlungen sei die CDU noch weit entfernt. Wenn es so weit sei, werde seine Partei ihren „Wertekompass“ auf den Tisch legen und dann werde es Gespräche geben. „Parteiideologien“ müssten dabei in den Hintergrund treten.

„Wir reden über Inhalte“, betonte Kretschmer. Zu einem möglichen politischen Konsens mit dem BSW, auf das die Christdemokraten bei Regierungsbildungen in Sachsen und Thüringen angewiesen sein dürften, äußerte er sich vorsichtig optimistisch: „Es hat noch nicht ein einziges Gespräch stattgefunden und ich rate jetzt immer zu sehr viel Geduld und Klugheit.“ Wenn man die Interessen des eigenen Landes in den Mittelpunkt stelle, „ist es bestimmt möglich, Schnittmengen zu finden. Aber es setzt voraus, dass man sowohl die eigene Partei als auch die eigene Person etwas zurückstellt.“

Zum Umgang mit der AfD empfahl Kretschmer, vom Begriff der „Brandmauer“ Abstand zu nehmen, weil die Partei diesen Begriff für sich ausnutze. „Die AfD ist eine Meisterin darin, sich als Märtyrerin darzustellen“, sagte der Ministerpräsident. Das verfange bei einem Teil der Wählerschicht. Solche Begriffe würden nicht helfen. Die AfD sei „eine Oppositionspartei wie jede andere, mit allen Rechten und Pflichten“.

Wagenknecht: „Koalitionspartner müssen mit mir sprechen“

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sieht sich als erste Ansprechpartnerin für mögliche Koalitionspartner ihrer Partei in Sachsen und auch in Thüringen. In beiden Bundesländern holte das BSW aus dem Stand heraus ein zweistelliges Ergebnis und landete auf Platz drei. „Wer mit uns koalieren möchte, muss auch mit mir sprechen“, sagte Wagenknecht am Montag in Berlin. Die eigentlichen Koalitionsverhandlungen würden aber im Land geführt. Da gehe es um fachliche Details, sagte Wagenknecht.

Mit dem möglichen Koalitionspartner CDU sieht Wagenknecht Schnittmengen unter anderem bei Bildung und innerer Sicherheit. Wichtig sei, dass es in beiden Ländern keinen „sozialen Kahlschlag“ gebe, und die Frage, wie dies zu finanzieren sei, etwa durch Streichung „überflüssiger Dinge“. Sie fügte hinzu: „Ich hoffe, dass alle einsehen, dass sich spürbar etwas für die Menschen verbessern muss.“ Die Menschen müssten wieder das Gefühl bekommen, dass sich die Regierung um sie kümmere. "Wir werden sehen, man muss miteinander reden", lautet ihr Fazit.

Zugleich bekräftigte Wagenknecht die Forderung, dass sich die Landesregierungen für eine Kursänderung bei Waffenlieferungen an die Ukraine sowie gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland in Stellung bringen. „Es geht darum, dass sich die Landesregierung positioniert“, sagte Wagenknecht. Der jeweilige Ministerpräsident müsse diese Position auch nach außen vertreten. Aus der CDU kommen an diesem Punkt Vorbehalte.

Merz-Vertrauter sieht Schnittmengen zwischen CDU und BSW

Der als Vertrauter von CDU-Chef Friedrich Merz geltende Unionsfraktionsmanager Thorsten Frei pocht auf den Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei mit der Linkspartei. „Wir haben eine klare Beschlusslage als Bundespartei und daran ist die Partei im Ganzen gebunden. Keine Zusammenarbeit mit AfD und Linken“, sagte Frei beim Eintreffen zu Gremiensitzungen seiner Partei in Berlin.

Zugleich sieht er Schnittmengen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht, auf das die CDU für eine Regierungsbildung ohne die AfD in Sachsen und Thüringen angewiesen ist. In Thüringen dürfte die CDU aber auch auf Stimmen der Linkespartei angewiesen sein.

„Das ist kein Partner, den wir uns wünschen würden“, sagte Frei über das BSW, ergänzte jedoch auch: „Aber wir sehen auf der anderen Seite beispielsweise, dass das BSW zu einer realistischen Migrationspolitik zu neigen scheint. Wir sehen auch, dass es im Bereich der Gesellschaftspolitik Überschneidungen gibt“. Große Herausforderungen gebe es dagegen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, „wo wir unvereinbare Positionen haben, aber die spielen in der die Landespolitik auch keine Rolle“.

Frei lehnte die von Wagenknecht verlangte Verknüpfung mit außenpolitischen Themen wie der Ukraine-Politik oder der geplanten Stationierung von US-Raketen in Westdeutschland strikt ab. „Das kann die Union nicht mitmachen.“ Er ergänzte: „Es ist sicherlich nicht akzeptabel, wenn aus Ländern heraus solche sehr grundsätzlichen Positionierungen der Union in irgendeiner Weise infrage gestellt würden.“ Merz will an der Unterstützung der Ukraine und an der Raketenstationierung nicht rütteln.

Kretschmer für tiefgreifende Änderungen in der Bundespolitik

Der sächsiche CDU-Chef Michael Kretschmer hätte dagegen hier weniger Schwierigkeiten: eine andere Meinung zum Thema Waffenlieferungen an die Ukraine müsse möglich sein.

Indes verlangt Kretschmer nach den schwierigen Wahlergebnissen im Osten tiefgreifende Änderungen in der Bundespolitik. „Die Menschen sind verärgert, enttäuscht von der Demokratie. Sie wenden sich ab und haben vor allem in Thüringen zu einem großen Teil Parteien gewählt, die einen Denkzettel erteilen sollen der Berliner Politik“, sagte Kretschmer beim Eintreffen zu Beratungen der CDU-Spitze in Berlin. „Auf diesem Weg nimmt unser Land großen Schaden“, warnte Kretschmer. Er verlangte vor allem Änderungen in der Migrations- und Energiepolitik.

Öffnung zur Linkspartei?

Zum BSW gibt es bei der CDU keinen Unvereinbarkeitsbeschluss - anders als bei der Linken, von der sich Wagenknechts Flügel im Oktober 2023 abgespalten hat. So heißt es in einem CDU-Parteitagsbeschluss von 2018: „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“

Merz betont jetzt erneut: „Der Beschluss gilt. Und damit umzugehen, wird dann auch Sache der beiden Landesverbände in Sachsen und in Thüringen sein.“

In Thüringen könnte eine Regierungsbildung ohne die AfD von einer wie auch immer gearteten Unterstützung durch die Linke abhängen. Die thüringische Linken-Chefin Ulrike Grosse-Röthig drängt die Union deshalb, sich für Kooperationen zu öffnen. In der CDU-Spitze wird bei einem solchen Szenario jedoch scharfe Kritik etwa aus den westlichen Landesverbänden befürchtet.

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