Politik

Ampel-Wahldebakel in Sachsen und Thüringen: Droht ein „Weiter so“?

Ein Tag nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen erwacht Deutschland mit einem historischen Ergebnis: Alice Weidels AfD und Sahra Wagenknechts BSW sind die großen Gewinner. Merkels und Baerbocks Credo „Wir schaffen das“ wurde abgewählt. Die Parteienlandschaft dreht sich – doch die Altparteien wollen es (noch) nicht wissen. Worum wird es letztendlich gehen, um Mehrheiten oder Wahrheiten?
02.09.2024 18:13
Lesezeit: 3 min
Ampel-Wahldebakel in Sachsen und Thüringen: Droht ein „Weiter so“?
Alice Weidel und Tino Chrupalla, die Bundesvorsitzenden der AfD, äußern sich mit den AfD-Landesvorsitzenden Stefan Möller (Thüringen) und Jörg Urban (Sachsen) bei der Pressekonferenz in der AfD-Bundesgeschäftsstelle. Foto: Bernd von Jutrczenka

Der viel zitierte „Albtraum“ ist Wirklichkeit geworden: Die AfD gewinnt in Thüringen zum ersten Mal eine Landtagswahl. Fast zehn Prozent trennen sie von der CDU. Und das mit ihrem rechtesten Landesverband unter Björn Höcke. Die Grünen fliegen aus dem Landtag, die FDP ebenfalls. Die ehemalige Volkspartei SPD bleibt einstellig. Und eine neue Partei erhebt sich. Das Bündnis Sahra Wagenknecht zieht sicher in beide Landtage ein, versenkt fast die Linke und ist in Sachsen so stark wie alle Ampelparteien zusammen. Dort kann Ministerpräsident Kretschmer nur einen sehr knappen Sieg einfahren.

Thüringen und Sachsen strafen Ampel ab

Die Mitte Deutschlands – mit weniger als sechs Millionen Menschen – wählt das bisherige traditionelle Parteiensystem der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte ab. In beiden Ländern kann die Union nur mit linken Parteien (SPD, BSW, Linkspartei) regieren, wenn die eigene „Brandmauer“ nicht noch fällt. In der Konsequenz heißt das für die mitteldeutschen Wähler: Sie wählen rechts und bekommen am Ende eine von Linken abhängige Unionsregierung.

Reaktionen: Ampelregierung macht weiter

Nach dem schlechten Wahlergebnis für alle drei Ampelparteien in Sachsen und Thüringen, scheint klar, dass auch die Bundespolitik von den Wählern ab- und bestraft würde. Das alte Parteiensystem kollabiert, doch die Regierung geht wie gewohnt zur Tagesordnung über. Politiker und auch Journalisten reden im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, als wäre nichts geschehen. Die SPD-Spitze erzählt, man müsse in der Ampel eben „weniger streiten“ und die Ergebnisse nur „besser kommunizieren“. Viele hätten laut Generalsekretär Kevin Kühnert „Entscheidungen nicht verstanden, die in der Bundespolitik getroffen wurden“.

Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang sieht das Debakel für ihre Partei nicht in der Migrationspolitik, und die Journalisten nennen nicht mehr nur die AfD selbst, sondern auch die Stimmen für die Partei undemokratisch.

Die Union selbst scheint desorientiert trotz guter Wahlergebnisse, doch jetzt muss sie mit ihren eigenen Unvereinbarkeitsbeschlüssen mit der Linken und der AfD klarkommen, das macht die alte Volkspartei taktisch unbeweglich. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) jedenfalls dürfte nach seinem Erfolg auch auf Bundesebene mehr Einfluss bekommen und seinen Ukrainekurs weiter verteidigen.

Ampel-Klatsche: Wie kam es dazu?

Die Verteufelung der AfD ist gescheitert: Die Beschimpfung ihrer Politiker durch die Ampel, aber auch durch Ministerpräsidenten wie Ramelow, der noch in dieser Woche von „braunen Arschlöchern“ sprach, war kontraproduktiv. Zwar behaupten Grüne, SPD und Co. immer, damit seien natürlich nicht die Wähler gemeint. Das glaubt aber kaum noch jemand. Kretschmers Weg in Sachsen der ernsthaften Auseinandersetzung auf Augenhöhe, während er klare Grenzen zum Extremismus zog, ist die überlegene Taktik.

Die Angst-Strategie von Politikern und Medien ist gescheitert: Über Wochen wurden Katastrophenszenarien bei Siegen der AfD und Erfolgen des BSW hoch beschworen. Nicht nur die Industrie würde wegziehen, auch die dringend gebrauchten ausländischen Fachkräfte würden die Länder ab sofort meiden – und nicht wegen zu hoher Abgabelasten und Bürokratie. Auch die Anti-AfD-Kampagne von Edeka in Thüringen und Sachsen wird das Gegenteil bewirkt haben. Da könnten jetzt tatsächlich ein paar Filialen schließen.

Es ist nach dieser Logik dem Wähler schwer zu erklären, wie andere Länder Osteuropas, Skandinavien, Italien oder die USA – mit rechten Parteien an der Macht, noch Industrie besitzen und im Großen und Ganzen wirtschaftlich besser als Deutschland da stehen.

Wählerbeeinflussung: Politisches Taktieren

Auch ein angedeuteter Kurswechsel bei der Migrationspolitik von SPD und Grünen, konnte einen Sieg der AfD und ein starkes Abschneiden des BSW in den letzten Tagen nicht zu verhindern. Die Abschiebung von 28 Schwerverbrechern nach Afghanistan, die Nancy Faeser letzten Freitagmorgen völlig überraschend verkündete, hat keinen Unterschied für die Sozialdemokraten gebracht. Eher hat die Innenministerin sich unglaubwürdig gemacht, als sie solche Rückführungen über Jahre für unmöglich erklärte.

Dass der Bundespräsident auf der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Anschlags von Solingen auf einmal die Begrenzung der Migration zur „obersten Priorität“ erklärt, zeigt nur die Angst des Establishments, aber nicht den Willen zum Kurswechsel. Auch als Robert Habeck am Wahltag selbst noch günstigere Strompreise für den Osten ankündigte, war das mehr als unglaubhaft.

Doch obwohl Politiker und auch Journalisten wieder die Schlüsse von gestern ziehen, hat sich an diesem Wahlabend etwas verändert. Die Menschen spüren, wie viel Panik die Ampelparteien haben, wenn sie das Ergebnis so kleinreden. Und sie sehen, dass es mit dem Land bergab geht.

SPD und CDU wollen „Kanzler“

Derweil buhlen die beiden alten Volksparteien wie gewohnt weiter um die Kanzlerschaft. Der desaströse Ausgang des Wahlabends dürfte vor allem bei der Kanzlerpartei SPD zu hitzigen Debatten über den Kurs der Sozialdemokratie und den künftigen Kanzlerkandidaten führen. Ebenso in der Union: Wer wird und wie eine Kanzler-Kandidatur für sich ableiten? CDU-Chef Friedrich Merz oder CSU-Chef Markus Söder?

Eins ist inzwischen klar: AfD und BSW werden direkt oder indirekt die deutsche Politik künftig mitbestimmen oder weiter Politikverdrossene einsammeln und weiterwachsen. Das harte Erwachen für die deutsche Politik beginnt jetzt. Denn wie Gregor Gysi es in einem Buch treffend offenlegte, geht es in der Politik „um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten“.

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Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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