Wirtschaft

DWN-Interview: Kein Sparen ohne Schulden

Vieles bleibt in der aktuellen wirtschaftspolitischen Diskussion unverstanden – zum Beispiel der fundamentale Zusammenhang zwischen Ersparnissen und Verschuldung. Diese führe zu Verwerfungen, die gar nicht nötig wären – sagt Heiner Flassbeck, dessen Buch „Grundlagen einer relevanten Ökonomik“ kürzlich erschienen ist. Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten sprachen mit ihm.
29.09.2024 09:50
Lesezeit: 4 min
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DWN: Nach den Wirtschaftswunderjahren nach dem Zweiten Weltkrieg und einer langen Phase des Wohlstands fällt nun der Lebensstandard für immer mehr Menschen in Deutschland. Sind die fetten Jahre nun vorbei? Folgt die Krise quasi naturwissenschaftlich begründeten Gesetzmäßigkeiten? Ist das unvermeidlich oder ginge es auch anders?

Heiner Flassbeck: Nein, das ist nicht unvermeidlich. An den USA sieht man, dass nichts unvermeidlich ist. Dort geht es den Leuten immer besser, sie werden immer reicher, obwohl sie auf unserem Niveau waren. Denn dort gibt es Wachstum und Vollbeschäftigung, während in Deutschland derzeit Nullwachstum oder gar eine Rezession herrscht. Das liegt an wirtschaftspolitischen Fehlern – entscheidenden Fehlern - die auf vollkommenes Unwissen in der Makroökonomik zurückzuführen sind.

DWN: Können Sie diese Fehler benennen? Was genau läuft falsch?

Heiner Flassbeck: Natürlich. Zunächst einmal war es ein grandioser Fehler der Europäischen Zentralbank, die Zinsen in einer ohnehin schon rezessiven Situation zu erhöhen. Wir hatten keine anhaltende Inflation, sondern nur einmalige, temporäre Preisschübe. Der zweite Fehler ist und bleibt die Schuldenbremse in Europa. Doch ohne mehr staatliche Schulden gibt es keinen Aufschwung – weder in Europa noch in den USA. Die USA machen Schulden und haben genau deswegen hohes Wachstum.

DWN: Aber führt eine ständig steigende Staatsverschuldung nicht in eine Sackgasse? Kann man unbegrenzt Schulden aufnehmen oder ist irgendwann das Ende der Fahnenstange erreicht?

Heiner Flassbeck: Unbegrenzt geht es natürlich nicht, aber das ist nicht der Punkt. Schulden und Sparen stehen in einer festen Beziehung zueinander. In keiner Volkswirtschaft können Menschen sparen, wenn sich nicht andere in mindestens gleicher Höhe verschulden. Wo es keinen Schulden gibt, kann es auch keine Ersparnisse geben. Das ist die einfache Regel.

Früher haben private Haushalte gespart, und Unternehmen haben sich verschuldet. Und das war auch vollkommen in Ordnung, da konnte der Staat sich raushalten. Doch seit 20 Jahren sparen auch Unternehmen. Wenn Unternehmen und Haushalte sparen, muss der Staat Schulden machen. Deutschland hat das Problem über eine lange Zeit gelöst, indem es Export- Überschüsse erzielte und damit dem Ausland das Schuldenmachen überließ, aber das ist nicht unbegrenzt möglich.

Wir haben insbesondere in Deutschland in den letzten 20 Jahren unter unseren Verhältnissen gelebt, praktisch in keinem Jahr - außer in diesem Jahr vielleicht, das wissen wir noch nicht genau – haben wir Reallöhne gehabt, die so stark gestiegen wären wie die Produktivität. Das ist einer der Gründe dafür, dass die deutschen Unternehmen nicht gezwungen warten, sich zu verschulden und zu investieren. Irgendwann muss man doch mal kapieren, dass es nur Überschüsse geben kann, wenn es an anderer Stelle Defizite gibt. Gerät das Ganze zu sehr aus der Balance, folgt die Krise auf dem Fuße.

DWN: Aber der deutsche Exportmotor ist doch ins Stottern geraten.

Heiner Flassbeck: Im Moment erzielen wir immer noch hohe Exportüberschüsse, aber Sie haben recht, der Export schwächelt. Dennoch sparen die Unternehmen. Sie nehmen mehr ein, als sie ausgeben und sie investieren weniger. Es wird erwartet, dass die Investitionen in diesem Jahr um 7 Prozent einbrechen, und das ist katastrophal.

DWN: Lassen Sie uns nochmal auf das Phänomen der Geldmenge eingehen. Es gab Kritik, dass das Quantitative Easing der EZB die Geldmenge erhöht habe, was die Inflation anfachen würde.

Heiner Flassbeck: Das ist eine falsche Theorie. Der Monetarismus geht von einem engen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Inflation aus, aber das stimmt nicht. Wir hatten keine wirkliche Inflation, sondern nur temporäre Preisschocks. Die Zinserhöhungen der letzten Jahre waren völlig unsinnig.

DWN: Lassen Sie uns noch kurz auf den Außenhandel eingehen. Sie haben erwähnt, dass die deutschen Exportüberschüsse zu Handelsbilanzdefiziten in anderen Ländern, insbesondere in den mediterranen Ländern, führen. Führen solche Ungleichgewichte automatisch zu Krisen?

Heiner Flassbeck: Ja, das tun sie. Länder wie Frankreich beispielsweise verzeichnen dauerhaft zu hohe Defizite - gemessen an den europäischen Regeln. Diese Ungleichgewichte führen zu enormen Spannungen innerhalb der Eurozone. Während Deutschland seit Jahren von Exportüberschüssen profitiert, müssen die anderen Länder hohe staatliche Schulden machen, weil auch dort die Unternehmen per Saldo sparen. Die Lösung war es bisher oft, Geld zu verteilen, wie zum Beispiel während der Corona-Krise, um die Gemüter im Süden zu beruhigen. Aber das ist keine nachhaltige Lösung. Man kann diesen Ländern nicht einfach 750 Milliarden Euro vor die Füße schmeißen und dann so weitermachen wie bisher.

DWN: 750 Milliarden „vor die Füße schmeißen“?

Heiner Flassbeck: Natürlich mag der Corona-Wiederaufbaufond, für sich betrachtet, eine sinnvolle Maßnahme gewesen sein. Doch dabei sollte nicht übersehen werden, dass er ins Leben gerufen wurde, nachdem sich die Ungleichgewichte innerhalb des Euroraums massiv aufgebaut hatten. Deutschland ist hier sehr arrogant aufgetreten, nach dem Motto „wir haben es ja“, und hat sich als ein weißer Ritter aufgespielt, was die übrigen Europäer, allen voran den französischen Präsidenten Macron, stark verärgert hat.

DWN: Was müsste Deutschland Ihrer Meinung nach tun, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen?

Heiner Flassbeck: Der deutsche Staat muss Schulden machen. Deutschland muss weg von seinen Exportüberschüssen und selbst mehr investieren. Wenn das nicht passiert, wird es zu einer Krise kommen, die den Euro bedroht.

DWN: Was wären die Konsequenzen, sollte der Euro scheitern?

Heiner Flassbeck: Das wäre eine Katastrophe für Deutschland. Andere Länder würden ihre Grenzen schließen oder neue Währungen einführen, die abwerten. Dann wäre Deutschland wirtschaftlich erledigt. Also nochmal: Deutschland muss Schulden machen. Es gibt kein Sparen ohne Schulden. Solange die Menschen sparen, muss jemand Schulden machen. Das wird man in Deutschland wohl noch lange nicht begreifen.

DWN: Wie sieht es, was Leistungsbilanzdefizite betrifft, mit Ländern wie China und den USA aus?

Heiner Flassbeck: China wird niemals Leistungsbilanzdefizite zulassen, das ist kein Kandidat für Defizite. Die Chinesen haben schon immer begriffen, dass man alles auf dieser Welt tun kann, aber bloß keine Handelsbilanzdefizite gegenüber dem Norden. Vor allem nicht als Entwicklungsland. Denn dann fällt man in die Hände der Verrückten da im Norden und das wollen sie auf keinen Fall. Das werden sie auch niemals machen. Die USA machen hohe Defizite seit vielen Jahrzehnten. Doch Deutschland und die EU müssen aufpassen: Die USA könnten demnächst protektionistische Maßnahmen ergreifen, besonders wenn Trump wieder Präsident werden sollte. Das würde Deutschland massiv schaden.

Info zur Person: Heiner Flassbeck studierte Volkswirtschaft in Saarbrücken und wurde 1987 an der FU Berlin promoviert. Er arbeitete im Stab des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und danach im Bundesministerium für Wirtschaft. Im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin war er von 1988 bis 1998 Leiter der Abteilung Konjunktur. Im Jahr 1998 wurde Heiner Flassbeck zum beamteten Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen ernannt. Von August 2003 bis Dezember 2012 war er bei UNCTAD in Genf Direktor der Abteilung für Globalisierung und Entwicklungsstrategien. Mit Friederike Spiecker zusammen hat er in den Jahren 2020 und 2022 einen „Atlas der Weltwirtschaft“ herausgebracht, der bei Westend erschienen ist. Anfang September ist sein neues Buch erschienen mit dem Titel „Grundlagen einer relevanten Ökonomik“.

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