Während Großkonzerne oft die Schlagzeilen dominieren, sind es die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), die das Fundament der deutschen Wirtschaft bilden. In Deutschland gibt es laut dem Institut für Mittelstandsforschung (IfM) über 3,4 Millionen KMU. Diese Unternehmen sind nicht nur Motor der Beschäftigung, sondern auch die Grundlage des wirtschaftlichen Erfolgs. Sie machen mehr als 99-Prozent der deutschen Betriebe aus, sichern Millionen von Jobs und Ausbildungsplätzen und stellen über zwei Drittel der Arbeitsplätze.
„Der Mittelstand ist eine starke Säule der deutschen Wirtschaft und bereichert sie durch seine große Vielfalt“, so DIHK-Mittelstandsexperte Marc Evers, „vom Kiosk bis hin zum international erfolgreichen Familienunternehmen in der Industrie.“ Doch genau diese tragende Säule ist gefährdet. Hundertausende Betriebe stehen in den nächsten fünf Jahren vor existenziellen Herausforderungen. Die Frage ist: Wird die Politik rechtzeitig eingreifen, um die Lage zu stabilisieren?
Unternehmensnachfolge: Eine tickende Zeitbombe
Eines der drängendsten Probleme für den Mittelstand ist die Unternehmensnachfolge. Laut dem DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2024 drohen in den nächsten fünf Jahren über 250.000 kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in einen Abgrund zu stürzen: Sie finden schlichtweg keinen Nachfolger. Ein Mangel an Interessenten und ein Dschungel aus administrativen Hürden blockieren den dringend benötigten Generationswechsel.
Bleibt die Politik weiter tatenlos, könnten viele dieser Unternehmen für immer von der Bildfläche verschwinden. Die Konsequenzen wären dramatisch: Nicht nur tausende Arbeitsplätze würden verlorengehen, sondern auch das wertvolle Wissen und die Innovationskraft ganzer Generationen. Der Mittelstand steht damit vor einer existenziellen Herausforderung, die das Fundament der deutschen Wirtschaft ins Wanken bringen könnte.
Krise des Mittelstands: Drohender Verlust eines stabilen Pfeilers?
Außerdem haben die immer größeren wirtschaftlichen Unsicherheiten infolge der Corona-Pandemie, des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen Energiekrise vielen Unternehmen zugesetzt. Betriebe, besonders in energieintensiven Branchen, leiden unter den hohen Kosten und der unsicheren Versorgungslage. Hinzu kommen steuerliche Belastungen, ein zunehmender Fachkräftemangel und bürokratische Hürden.
Ein aktuelles Beispiel ist das Lieferkettengesetz: Ursprünglich gedacht, um den internationalen Handel fairer zu gestalten, führt es für viele KMU zu erheblichen administrativen Mehrbelastungen – und das auf Kosten wertvoller Ressourcen wie Zeit und Geld. „Viele KMU verfügen nicht über Spezialabteilungen zur Bewältigung dieser Herausforderungen. Und die entsprechenden Ressourcen fehlen dann den Unternehmenslenkerinnen und -lenkern für Innovationen“, so Evers.
Unverzichtbarer Wirtschaftsmotor: KMU als zentrale Stütze der deutschen Wirtschaft
Eine gefährliche Situation für die deutsche Volkswirtschaft. Denn der Beitrag der KMU zur deutschen Wirtschaft ist enorm. Im Jahr 2022 machten sie laut IfM zu 55,7-Prozent der Nettowertschöpfung aller Betriebe aus. Die Europäische Kommission definiert KMU präzise: Betriebe mit bis zu 249 Beschäftigten und einem maximalen Jahresumsatz von 50 Millionen Euro fallen in diese Kategorie. Kleinstunternehmen haben bis zu 9 Angestellte, kleine Unternehmen bis zu 49 und mittelgroße Unternehmen bis zu 249 Mitarbeitende.
Diese Größenordnung macht den Mittelstand so vielfältig. Insbesondere im Bau- und Gaststättengewerbe, wo sie 78-Prozent des Umsatzes erzielen, sind sie unverzichtbar. Etwa 20-Prozent des deutschen Exports stammen aus KMU, was ihre Rolle als essenzielle Zulieferer in globalen Wertschöpfungsketten verdeutlicht.
„Hidden Champions“: Deutschlands stille Helden unter Druck
Darüber hinaus gibt es rund 1.500 „Hidden Champions“, Nischen-Weltmarktführer, die aus Deutschland stammen. Diese oft unauffälligen Mittelständler dominieren spezialisierte Märkte weltweit. „In den USA gebe es gerade einmal 350 dieser 'heimlichen Weltmeister'“, betont Evers, um die besondere Stellung des deutschen Mittelstands hervorzuheben. Doch auch diese Vorzeigeunternehmen stehen unter Druck.
Auch die Finanzierung von Investitionen wird zunehmend zum Problem. Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, Kredite zu bekommen, erklärt Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW. Diese Unsicherheit gefährdet nicht nur das Wachstum, sondern auch die Innovationskraft des Mittelstands – und damit die Stabilität der gesamten deutschen Wirtschaft.
Zukunft des Mittelstands: Warten auf den Wendepunkt?
Der deutsche Mittelstand steht an einem Scheideweg. Ohne gezielte politische Maßnahmen droht nicht nur der Verlust von Arbeitsplätzen, sondern auch ein schleichender wirtschaftlicher Abstieg, der die gesamte Volkswirtschaft schwächen könnte. Wenn die Politik jetzt nicht entschlossen handelt, könnten viele Unternehmen unter dem Druck lokaler und globaler Herausforderungen zusammenbrechen.
Die Situation ist ernst und die Forderungen nach politischen Maßnahmen werden lauter. Verlässliche Rahmenbedingungen, weniger Bürokratie, wettbewerbsfähige Steuern und eine stabile Energieversorgung sind die Schlüssel, die laut Marc Evers das Überleben des Mittelstands sichern können. Doch das allein reicht nicht: Unternehmer fordern zudem dringende Investitionen in digitale Transformation, nachhaltige Geschäftsmodelle und den Schutz vor Cyberrisiken.
Der globale Wettbewerb wartet nicht – und auch der deutsche Mittelstand kann nicht mehr länger warten. Jetzt muss die Politik die Weichen stellen. Der Mittelstand ist mehr als ein Motor der Wirtschaft – er ist das Herz und die Seele Deutschlands. Ein Kollaps wäre nicht nur ein ökonomischer Verlust, sondern ein Riss im sozialen Gefüge des Landes. Die Zukunft des Mittelstands entscheidet auch über die Zukunft Deutschlands.