Politik

Interner Streit um Migrationspolitik: Scholz sorgt in SPD für Spannungen

Olaf Scholz fordert eine eigene SPD-Mehrheit für das Sicherheitspaket. Scholz erwartet außerdem ganz generell ein Backing seiner Partei für die geplanten Verschärfungen in der Migrationspolitik. Drohte der Kanzler womöglich der eigenen Fraktion unter Führung von Rolf Mützenich mit der Vertrauensfrage? Es scheint fast so, als würde sich jetzt auch die SPD intern streiten – so wie bislang in der Ampel öffentlich nur Grüne und FDP oder zwischen FDP und den Sozialdemokraten. Was ist da los im Bundestag.
16.10.2024 15:30
Lesezeit: 4 min

Bundeskanzler Olaf Scholz hat der SPD-Fraktion mitgeteilt, dass er eine eigene Mehrheit für die geplanten Verschärfungen in der Migrationspolitik erwarte. Ob er dabei eine Vertrauensfrage in den Raum stellte, bleibt umstritten. Hat Scholz tatsächlich gedroht, das Kanzlerprivileg der Vertrauensfrage auszuspielen, oder reichte ein klar formuliertes Machtwort des Regierungschefs? Vielleicht handelte es sich auch lediglich um den zarten Hinweis, dass Scholz eine eigene Mehrheit innerhalb der Fraktion für seine Gesetzesvorhaben erwartet? So oder so – es gab wohl einen Wink mit dem Zaunpfahl.

Die Interpretationen der Ereignisse im SPD-Fraktionstreffen am Dienstag gingen denn auch prompt auseinander. Sicher ist nur, dass es ein bemerkenswerter Vorgang war – und vielleicht ein Wake-up-Call für die Genossen. Bisher standen ja hauptsächlich die Konflikte zwischen SPD und FDP im Vordergrund, die die Ampel belasteten und die Bürger zur Opposition treiben. Nun jedoch hat Scholz plötzlich auch mit vermehrten Spannungen in den eigenen Reihen zu kämpfen. Als Frage bleibt: War seine deutliche Ansprache tatsächlich notwendig in einer Entscheidung, die bislang als relativ gesichert galt? Man glaubte bislang, es brennt andernorts in der SPD.

Sicherheitspaket im Fokus

Es dreht sich alles um das sogenannte Sicherheitspaket der Koalition. Dieses wurde rasch nach dem Solinger Attentat vorgelegt und umfasst Messerverbote, zusätzliche Befugnisse für die Sicherheitsbehörden sowie Kürzungen von Sozialleistungen für sogenannte Dublin-Fälle. Damit sind Asylbewerber gemeint, deren erster Antrag in einem anderen EU-Land gestellt wurde. Besonders bei den Grünen, aber auch bei der SPD-Linken regt sich massiver Widerstand, selbst nachdem das Paket bereits durch die Ampelfraktionen entschärft schien.

Juso-Chef Türmer sieht Drohkulisse

Natürlich wurde das Thema auch in der Fraktionssitzung am Dienstag intensiv diskutiert. Bundesinnenministerin Nancy Faeser lobte zunächst – pro domo – das Sicherheitspaket, bevor nach und nach zahlreiche kritische Stimmen laut wurden. Schließlich ergriff Scholz selbst das Wort und betonte Teilnehmern zufolge, dass eine eigene Mehrheit für das Paket unumgänglich sei - und aus seiner Sicht zwingend. Mehrere Teilnehmer deuteten dies gegenüber Medienvertretern so an. Scholz fügte demnach hinzu, er werde, falls das Paket keine Mehrheit finde, von den „mir zur Verfügung stehenden Mitteln Gebrauch“ machen. Was auch immer das in der Praxis bedeutet.

Diese Bemerkung sorgte offenkundig für große Verwunderung bei den Sozialdemokraten. Einige empfanden die Äußerung als reichlich überzogen und vermuteten, dass Scholz, zunehmend dünnhäutig, damit eine Drohung aussprach, sollte es bei der Abstimmung am Freitag im Bundestag nicht wie gewünscht laufen. Andere sahen darin lediglich ein leidenschaftliches Plädoyer für das ganze Paket. Ein Abgeordneter, der die Worte des Kanzlers milder einstuft, meinte, er habe Scholz selten so engagiert und detailliert argumentieren gehört. Scholz empfinde das gegenwärtige Asylsystem als zutiefst ungerecht und habe deshalb so eindringlich gesprochen. So wie ihn die Bürger zu selten erleben.

Noch Dienstagabend dementierte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch prompt: „Er hat nicht mit der Vertrauensfrage gedroht.“ Doch die Diskussion darüber hält an. Juso-Vorsitzender Philipp Türmer erklärte öffentlich, Scholz wolle seine Kritiker einschüchtern. Er forderte die SPD-Fraktion auf, das Sicherheitspaket am kommenden Freitag abzulehnen. „Das Paket der Ampel schikaniert Geflüchtete statt Islamisten“, so Türmer. Er ist Mitunterzeichner eines Briefs, in dem SPD-Abgeordnete aufgefordert werden, das Paket in Gänze abzulehnen. Ist die Büchse der Pandora in der SPD damit eröffnet worden?

Ungünstiger Zeitpunkt für die SPD

Bereits in den vergangenen Wochen gab es einen intensiven Austausch offener Briefe. Die SPD-Spitze scheint dabei offenkundig das Ausmaß des Unmuts in der Partei unterschätzt zu haben. SPD-Unterhändler Dirk Wiese zeigte sich nach der Einigung mit Grünen und FDP am Freitag noch zuversichtlich, dass die Fraktion mit dem Kompromiss zufrieden sein könne. Jetzt gaben sich die Strippenzieher zerknirscht.

Am Mittwochmorgen versuchte Katja Mast, Parlamentsgeschäftsführerin der SPD, die Worte von Scholz indessen noch einmal ganz anders zu deuten: „Das war keine Drohung“, sagte sie. Vielmehr habe der Kanzler die Ernsthaftigkeit der Debatte unterstreichen wollen. Alles nur Rhetorik und Überzeugungskunst? Zuerst habe Scholz auf die Chancen für Migranten als Fachkräfte in Deutschland hingewiesen, erst danach auf die Notwendigkeit einer besseren Steuerung illegaler Migration. Geschickte Gesprächsführung also?

Abstimmung mit vielen Gegenstimmen

Anfang der Woche hatte bereits eine Probeabstimmung in der SPD-Fraktion stattgefunden. Offenbar stimmten dabei 20 bis 25 Abgeordnete gegen das Sicherheitspaket. Dennoch scheint die Mehrheit der Ampelkoalition bisher nicht ernsthaft gefährdet zu sein – wenn nicht Abweichler bei den Grünen und Liberalen die Sache strategisch ausnutzen. Mast erklärte, dass einige Abgeordnete schließlich im Plenum zustimmen wollten. Sie äußerte keinen Zweifel daran, dass die Mehrheit am Freitag bestehen werde, betonte jedoch, dass dafür noch weitere Gespräche nötig seien. Zeit für erste innige Gespräche im Betstuhl.

Die Verunsicherung innerhalb der SPD bleibt jedoch groß. Die Frage drängt sich auf, ob Scholz angesichts schlechter Umfragewerte und der wachsenden Spannungen innerhalb seiner Koalition allmählich nervös wird. Oder verliert der Kanzler möglicherweise einfach die Geduld mit den eigenen Fraktionsmitgliedern? Zudem bleibt offen, was Scholz mit seinem Hinweis meinte, er werde auf die „ihm zur Verfügung stehenden Mittel“ zurückgreifen. Sollte dies nicht die klare Androhung der Vertrauensfrage gewesen sein, bleibt unklar, was er dann wirklich damit bezweckte. Oder war es nur schlechte Tagesform auf der Kanzel? Eines ist jedoch sicher: Der innerparteiliche Streit um das Sicherheitspaket kommt für Scholz zur Unzeit. Die Parteiführung ist gerade darum bemüht, in der Migrationspolitik eine härtere Linie zu fahren und die Bürger zurückzugewinnen, während gleichzeitig die Kritik an dieser Verschärfung innerhalb der SPD immer lauter wird. Klingt beinahe nach ersten Vorboten einer Spaltung, wie es die Linke mit Sahra Wagenknecht erlebt hat und prompt innerlich zerrissen hat. Vielleicht hat der Schrecken aber auch etwas Positives, Konstruktives – man wird sehen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

avtor1
Peter Schubert

Peter Schubert ist stellv. Chefredakteur und schreibt seit November 2023 bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Immobilienthemen. Er hat in Berlin Publizistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften an der Freien Universität studiert, war lange Jahre im Axel-Springer-Verlag bei „Berliner Morgenpost“, „Die Welt“, „Welt am Sonntag“ sowie „Welt Kompakt“ tätig. 

Als Autor mit dem Konrad-Adenauer-Journalistenpreis ausgezeichnet und von der Bundes-Architektenkammer für seine Berichterstattung über den Hauptstadtbau prämiert, ist er als Mitbegründer des Netzwerks Recherche und der Gesellschaft Hackesche Höfe (und Herausgeber von Architekturbüchern) hervorgetreten. In den zurückliegenden Jahren berichtete er als USA-Korrespondent aus Los Angeles in Kalifornien und war in der Schweiz als Projektentwickler tätig.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Eurowind-Rückzug erschüttert US-Markt: Warum Europa nun wichtiger ist
14.12.2025

Der überraschende Rückzug des dänischen Energieparkentwicklers Eurowind aus den Vereinigten Staaten trifft eine Energiebranche, die...

DWN
Panorama
Panorama Feiertage 2026: Alle Termine, Brückentage und Regeln – wie Sie am besten profitieren
13.12.2025

Die Feiertage 2026 liegen günstig und ermöglichen viele lange Wochenenden. Wer früh plant, kann deshalb Brückentage optimal nutzen....

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienrendite: Es lohnt sich wieder zu vermieten
13.12.2025

Eine Mietimmobilie als Kapitalanlage kann wieder eine interessante Investition sein. Doch nicht überall macht das Sinn. Wo sich das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Prominenter China-Experte zeichnet düsteres Bild für Europa: „Es wird ziemlich schlimm“
13.12.2025

Europa wähnt sich sicher, doch die nächste ökonomische Erschütterung rollt bereits heran. Der prominente China-Analyst Dan Wang...

DWN
Finanzen
Finanzen Falsche Gehaltsgruppe: Was kann ich tun, wenn meine Gehaltseinstufung nicht zum Tarifvertrag passt?
13.12.2025

Viele Beschäftigte merken erst spät, dass ihre Gehaltsgruppe im Tarifvertrag nicht zur Arbeit passt. Das kann monatlich bares Geld...

DWN
Technologie
Technologie Lidl krempelt den Einkauf um: Warum die Scan-and-Go-Technologie den Handel umdreht
13.12.2025

Litauens Handelsketten treiben den digitalen Umbruch voran. Das Selbstscansystem Scan & Go kommt nun in die Lidl Filialen. Bisher wurde...

DWN
Politik
Politik Billigfluglinien bereiten sich bereits auf Flüge in die Ukraine vor
13.12.2025

Wizz Air, Ryanair und EasyJet bringen sich in Stellung. Europas Billigfluglinien planen bereits ihre Rückkehr in die Ukraine und rechnen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europa-Krise vertieft sich: JPMorgan warnt vor dramatischen Folgen für Amerika
13.12.2025

Die Warnungen von JPMorgan Chef Jamie Dimon treffen Europa in einer Phase wachsender politischer Unsicherheit. Seine Kritik an der...