Politik

Ukraine-Krieg: Selenskyj bringt vorübergehende Gebietsabtretungen ins Spiel

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Möglichkeit einer vorübergehenden russischen Kontrolle über ukrainische Gebiete in Betracht gezogen - zeitweise und unter bestimmten Bedingungen. Schwindet die Moral der Ukrainer?
20.11.2024 11:33
Lesezeit: 4 min
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„Vielleicht muss die Ukraine jemanden in Moskau überstehen, um ihre Ziele zu erreichen und das gesamte Staatsgebiet wiederherzustellen“, erklärte Selenskyj mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin (72) im Parlament. Dort legte er einen Plan vor, wie sein Land dem russischen Druck im Ukraine-Krieg besser standhalten könne. In internationalen Medien wird seit einiger Zeit spekuliert, dass der Krieg in der Ukraine entlang der Frontlinie „eingefroren“ werden könnte, ohne dass Kiew offiziell Gebietsabtretungen an Russland vornimmt. Dennoch wies Selenskyj kategorisch die Möglichkeit von Gebietsabtretungen zurück. „Wir verzichten nicht auf die Rechte der Ukraine auf ihr Territorium“, betonte der Präsident.

In einem späteren Interview mit dem US-Sender Fox News gab er jedoch zu, dass die Ukraine den Ukraine-Krieg verlieren könnte, wenn die umfassende Unterstützung durch die USA nach dem Amtsantritt von Donald Trump im Weißen Haus nachlassen würde. „Wenn sie (die Hilfe) beenden, glaube ich, werden wir verlieren“, sagte Selenskyj. Dennoch werde die Ukraine den Kampf fortsetzen. Obwohl die Ukraine über eine eigene Rüstungsindustrie verfüge, sei deren Produktion nicht ausreichend. „Es wird nicht genug sein, um zu überleben.“

Die Ukraine befürchtet, dass Trump - wie im Wahlkampf angekündigt - die militärische Hilfe der USA verringern oder ganz einstellen könnte. Dennoch hofft Selenskyj, dass Trump den russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Beendigung des Ukraine-Kriegs bewegen könnte. „Es wird nicht einfach sein, aber mit allem, was den USA zur Verfügung steht, kann er das“, sagte Selenskyj. „Er ist stärker, die USA sind stärker, die Wirtschaft ist stärker, und die USA haben großen Einfluss“, erklärte er seine Hoffnung.

Lage an der Front im Ukraine-Krieg bleibt angespannt

Das ukrainische Militär befindet sich an der Front nach wie vor in der Defensive. Der Generalstab in Kiew berichtete in seinem abendlichen Lagebericht von 130 Zusammenstößen im Tagesverlauf. Die meisten Angriffe erfolgten durch die russischen Truppen an der Front im Südosten des Landes. So griffen sie Pokrowsk 37 Mal und Kurachowe 22 Mal an. Auch an der Grenze zwischen den Gebieten Donezk und Saporischschja kam es zu 15 Angriffen.

In diesem Abschnitt ist die Front seit Jahresbeginn am stärksten in Bewegung geraten. Etwa 40 Kilometer konnten die Russen seit der Eroberung der ukrainischen Festung Awdijiwka bei Donezk vorrücken. Eine der Ursachen für die Schwierigkeiten der Ukraine an der Front waren die lange Zeit stagnierenden Waffen- und Munitionslieferungen aus dem Westen.

Berichte: USA liefern Schützenminen an die Ukraine

Nachdem die USA Kiew bereits mit weitreichenden Waffen zur Bekämpfung russischer Ziele in Russland unterstützt haben, berichtete die „Washington Post“, dass US-Präsident Joe Biden nun auch die Lieferung von Schützenminen an die Ukraine angeordnet habe. Biden sei von seiner bisherigen Haltung abgerückt, um der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Armee zu helfen. Der Grund für diese Änderung sei das stetige Vorrücken russischer Truppen im Donbass. Das Pentagon sehe in der Lieferung von Schützenminen ein wirksames Mittel, um das Vordingen der russischen Einheiten zu verlangsamen. Die Schützenminen, auch als Antipersonenminen bekannt, werden jedoch auf den Osten der Ukraine beschränkt. Das russische Militär hat an den Randgebieten der besetzten Gebiete in der Ukraine dichte Minenfelder ausgelegt und damit eine ukrainische Offensive zum Scheitern gebracht.

Der Einsatz von Minen ist international geächtet. Die 1999 in Kraft getretene sogenannte Ottawa-Konvention verbietet den Einsatz, die Produktion und Weitergabe dieser heimtückischen Waffen, die auch nach Ende der Kampfhandlungen vor allem unter der Zivilbevölkerung Opfer fordern. Die Konvention wurde von 164 Staaten unterzeichnet und ratifiziert, jedoch nicht von Russland und den USA. Die Ukraine hat das Abkommen 2005 ratifiziert.

Borrell: EU liefert eine Million Artilleriegeschosse an die Ukraine

Laut dem Europäischen Auswärtigen Dienst hat die EU ihr Ziel erreicht, eine Million Artilleriegeschosse an die Ukraine zu liefern - wenn auch mit Verzögerung. „Wir haben das Ziel von einer Million Schuss Artilleriemunition erreicht“, sagte der EU-Chefdiplomat Josep Borrell nach einem Treffen der EU-Verteidigungsminister in Brüssel. Die Lieferung sei an die Ukraine erfolgt, „einige Monate später als erwartet“. Ursprünglich hatte die EU die Lieferung bis Ende März anstreben wollen.

Bis März konnte jedoch nur etwas mehr als die Hälfte der Menge geliefert werden. Die EU legte ein neues Ziel fest und wollte Ende 2024 die volle Lieferung erreichen. „Wir werden damit fortfahren, denn Russland erhält weiterhin umfangreiche Lieferungen von Munition und Raketen aus Nordkorea und dem Iran“, kündigte Borrell an. Der ukrainische Präsident Selenskyj stellte in Kiew einen Plan vor, um die Widerstandsfähigkeit des von Russland angegriffenen Landes zu stärken. Die Ukraine werde massiv in die Rüstung investieren, kündigte er an, auch durch den Ausbau der eigenen Munitionsproduktion. „Ukrainische Waffen“ seien eine der Hauptgarantien der ukrainischen Unabhängigkeit im Ukraine-Krieg.

Ukraine und Russland setzen Drohnen im Ukraine-Krieg ein

Eine der wichtigsten Waffen im Ukraine-Krieg sind Drohnen. Beinahe zeitgleich überzogen sich die Ukraine und Russland in der Nacht mit Drohnenschwärmen. Ein massiver Drohnenangriff der Ukraine verursachte Schäden in mehreren russischen Regionen. „In der Stadt Alexejewka sind durch den Absturz von Drohnentrümmern auf dem Territorium eines Unternehmens Produktionshallen beschädigt worden“, schrieb der Gouverneur der russischen Grenzregion Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, auf Telegram. Außerdem wurden ein Infrastrukturobjekt und eine Stromleitung getroffen. Auch in der benachbarten Region Woronesch gab es einen Einschlag.

Drohnenangriffe wurden auch aus den Regionen Brjansk, Tula und dem Moskauer Umland gemeldet. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurden insgesamt 42 Kampfdrohnen abgeschossen. Das russische Militär startete erneut mehrere Drohnenschwärme, die aus verschiedenen Richtungen in die Ukraine einflogen. In zahlreichen Regionen des Landes sowie in der Hauptstadt Kiew wurde Luftalarm ausgelöst. Über mögliche Einschläge der russischen Drohnenschwärme lagen zunächst keine weiteren Informationen vor.

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