Politik

Streit um das Warten auf Arzttermine in Deutschland

Vor allem beim Facharzt machen gesetzlich Versicherte die Erfahrung, dass sie bis zum Termin oft lange warten müssen. Privatversicherte sollen es leichter haben. Was könnte sich ändern?
04.01.2025 16:02
Lesezeit: 3 min

Im Streit um die ärztliche Versorgung in Deutschland wirft die Deutsche Stiftung Patientenschutz manchen Kassenärztinnen und -ärzten Rosinenpickerei vor. Sie würden Kassenpatienten benachteiligen, ohne dass dies aufgedeckt werde. „Rosinenpicker werden nicht identifiziert“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch an die Adresse der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).

Der KBV-Vorsitzende Andreas Gassen hatte sich in einem Interview gegen Vorwürfe gewehrt, dass Kassenpatientinnen und -patienten lange auf Termine warten müssten. Ein aktuelles Bundestagswahl-Versprechen der SPD, durch eine Termingarantie Unterschiede zwischen privat und gesetzlich Versicherten in dem Punkt abzuschaffen, nannte Gassen in der „Rheinischen Post“ „populistischer Blödsinn“.

Selbstzahlende bei der Terminvergabe „bevorzugt“

Brysch sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Der KV-Vorsitzendende kann nicht davon ablenken, dass Selbstzahler bei der Terminvergabe klar bevorzugt werden.“ Medizinische Gründe seien es nicht, die gesetzlich Versicherte benachteiligten.

Der SPD und Vertretern von Patientinnen und Patienten sind die Unterschiede schon lange ein Dorn im Auge, die viele Praxen bei der Terminvergabe zwischen privat und gesetzlich machen. Ärztlicherseits wurde gelegentlich argumentiert, die Praxen bräuchten so eine Vorgehensweise, damit sie Probleme bei der Honorierung von Behandlungen gesetzlich Versicherter ausgleichen könnten.

Gassen reagiert

Aktuell reagierte Gassen auf den Vorwurf des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), dass bei der Vergabe von Arztterminen eine Bevorzugung von Privatversicherten gegenüber gesetzlich Versicherten vorherrsche. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Terminverteilung ungerecht genannt. Der Streit findet vor dem Hintergrund des Wahlkampfs für die Bundestagswahl am 23. Februar statt.

Der KBV-Chef argumentiert, viele Hausarztpraxen böten Akut-Sprechzeiten an. Auch bei Fachärzten müsse man die Kirche im Dorf lassen, im internationalen Vergleich seien die Wartezeiten kurz. „In Deutschland haben Patienten überdies die freie Arztwahl. Der Preis dafür ist, dass sie bei gefragten Ärzten Wartezeiten in Kauf nehmen“, sagte Gassen. Echte Notfälle würden „entgegen aller Stimmungsmache hierzulande sofort versorgt“.

Was hinter der SPD-Forderung noch steckt

Die SPD verbindet mit ihrem Vorschlag einer Termingarantie die Idee, dass Versicherte bei Nichteinhaltung einen Anspruch auf Beitragsreduzierungen bekommen sollten. Gassen lehnt den gesamten Vorstoß ab. „Dafür müsste es zunächst klare medizinisch begründete Dringlichkeiten geben und Praxen müssten über freie Kapazitäten verfügen.“ Die SPD hätte die Praxen in der vergangenen Legislatur von Bürokratie befreien können. „Jetzt mit einer Termingarantie, die niemals umsetzbar sein würde, vom eigenen Regierungsversagen ablenken zu wollen, ist durchschaubar und etwas armselig“, sagte Gassen.

Kassen: Buchungsportale zeigen die Wahrheit

Der GKV-Spitzenverband reagierte knapp. „Beim Klicken auf Online-Buchungsportale kann jeder PKV oder GKV anklicken und so selbst überprüfen, ob die Terminvergabe fair und gleich ist oder nicht“, sagte Verbandssprecher Florian Lanz.

Brysch bezeichnete das Problem als „noch größer“. Nicht alle Praxen seien online überhaupt erreichbar. Mitunter müssten Patientinnen und Patienten persönlich in die Praxis laufen, um einen Termin zu bekommen. Privatpatientinnen und -patienten bekämen ihn oft schneller. Doch Transparenz darüber stelle die Kassenärztliche Bundesvereinigung nicht her, sagte Brysch. Daten fehlten. „Dabei hat sie den Sicherstellungsauftrag.“ Hierbei handelt es sich um den gesetzlichen Auftrag an die KBV, die ärztliche Versorgung der gesetzlich Versicherten sicherzustellen.

Auseinanderklaffen zwischen privat und gesetzlich

Brysch sagte, die Kassenärztlichen Vereinigungen könnten ein Auseinanderklaffen zwischen privat und gesetzlich unterbinden. Die gängige Praxis schädige den Ruf vieler engagierter Ärztinnen und Ärzte. „Doch weder die Angebote der Notfallsprechstunden, die Erreichbarkeit noch die Präsenzzeiten der rund hunderttausend Praxen werden von der Lobby der Kassenärzte überprüft.“

Der Patientenschutz-Vorstand forderte deshalb eine wissenschaftliche Aufarbeitung und Qualitätsüberprüfungen. „Populismus von Ärzten und Politik hilft niemandem.“ Die Kranken im ganzen Land würden erleben, dass die kassenärztlichen Bereitschaftsdienste und ambulanten Notfallpraxen zusammengestrichen würden. „Gerade Patientinnen und Patienten in strukturarmen Regionen trifft es hart, denn auch hier zieht sich die kassenärztliche Versorgung zurück.“

Vorwürfe sind nicht neu - und gehen weiter

Brysch machte damit noch auf einen weiteren Umstand aufmerksam, der immer wieder als ungerecht kritisiert wird. „Stattdessen tummeln sich Praxen in lukrativen Gegenden“, sagte er. „Auch das sind Gründe, warum Rettungsdienste und Krankenhäuser mit ihren Notaufnahmen überlastet sind.“

In puncto Termine hatte die Chefin des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, bereits im August gefordert: „Eine gerechte Vergabe von Arztterminen ist unabdingbar.“ Gerade in Zeiten, in denen gesetzlich Versicherte oft Monate oder gar Jahre auf einen Facharzttermin warten müssten, dürften sie nicht zu Patienten zweiter Klasse werden. Eine nicht unerhebliche Zahl von Arztpraxen vergebe Termine ausschließlich an Privatversicherte oder Selbstzahler.

Betroffen: 90 Prozent der Bevölkerung

In Deutschland werden nach Angaben des Kassen-Spitzenverbands rund 73 Millionen Versicherte von einer gesetzlichen Krankenkasse versorgt - rund 90 Prozent der Bevölkerung. Die privaten Krankenversicherungen hatten nach Angaben ihres Verbands (PKV) 2023 insgesamt gut 38 Millionen laufende Versicherungen im Bestand, darunter 8,7 Millionen Voll- und 29,6 Millionen Zusatzversicherungen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin, Ether und Co.: Wie Sie an der Börse sicher in Kryptowährungen investieren
08.11.2025

Wollen Sie Kryptowährungen kaufen? Dann müssen Sie dafür nicht auf irgendwelchen unseriösen Internetportalen herumsurfen. Kurse von...

DWN
Politik
Politik Donald Trump und die US-Präsidentschaftswahl 2028: Strebt er eine dritte Amtszeit an und geht das so einfach?
08.11.2025

Die Diskussion um Donald Trumps mögliches politisches Comeback zeigt das Spannungsfeld zwischen Recht, Strategie und Macht in den USA....

DWN
Technologie
Technologie Deep Tech als Rettungsanker: Wie Deutschland seine industrielle Zukunft sichern kann
08.11.2025

Deutschland hat große Stärken – von Forschung bis Ingenieurskunst. Doch im globalen Wettlauf um Technologien zählt längst nicht mehr...

DWN
Technologie
Technologie So optimiert KI in Belgien die Landwirtschaft: Schwankende Ernten prognostizieren? Kein Problem!
08.11.2025

Die Landwirtschaft muss Erträge effizient planen und Schwankungen ausgleichen, wobei KI zunehmend Entscheidungen auf verlässlicher Basis...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Managergehälter: Wie viel Mut hinter den Millionen steckt
08.11.2025

Topmanager reden offen über ihr Einkommen? In Estland sorgen zwei Führungskräfte für großes Staunen. Sie zeigen, wie viel Disziplin,...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB-Leitzins: Stillstand oder Strategie? Was die EZB-Zinsentscheidung wirklich bedeutet
08.11.2025

Die Europäische Zentralbank hat den Leitzins beim jüngsten EZB-Zinsentscheid nicht angerührt – doch das Schweigen ist laut. Christine...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Schmuck aus Holz und Stein: Holzkern – wie Naturmaterialien zum einzigartigen Erfolgsmodell werden
07.11.2025

Das Startup Holzkern aus Österreich vereint Design, Naturmaterialien und cleveres Marketing zu einem einzigartigen Erfolgsmodell. Gründer...

DWN
Finanzen
Finanzen Wall Street: Wie die Märkte alle Warnsignale ignorieren
07.11.2025

Die Wall Street kennt derzeit nur eine Richtung – nach oben. Während geopolitische Krisen, Schuldenstreit und Konjunkturrisiken...