Willy Brandt, der Kanzler des Slogans "Mehr Demokratie wagen", kündigte bereits 1969 in seiner ersten Regierungserklärung entscheidende Reformen an. "Wir werden dem Hohen Hause ein Gesetz unterbreiten, wodurch das aktive Wahlalter von 21 auf 18, das passive von 25 auf 21 herabgesetzt wird. Wir werden auch die Volljährigkeitsgrenze überprüfen", erklärte er. Bereits 1970 wurde das Wahlalter in Deutschland auf 18 gesenkt, und 1974 beschloss der Bundestag, die Volljährigkeit in Deutschland ebenfalls auf 18 Jahre herabzusetzen.
Am 1. Januar 1975 erlangten dadurch schlagartig zweieinhalb Millionen Westdeutsche alle Rechte der Volljährigkeit.
Wettbewerb der Systeme: West- und Ostdeutschland
"Das atmete den Geist der Freiheitsbewegung der 60er Jahre, der Studentenbewegung", erklärt Soziologe Klaus Hurrelmann. "Damit war der Wunsch verbunden, frühzeitig selbstständig zu werden und wichtige Lebensentscheidungen eigenständig treffen zu können."
In der DDR galt die Volljährigkeit in Deutschland schon seit 1950 ab 18 Jahren. Dieser Umstand setzte die Regierung der Bundesrepublik unter Druck, wie Generationenforscher Rüdiger Maas erklärt. "Man sah sich im ständigen Wettbewerb der politischen Systeme." Zudem spielte der soziodemografische Wandel eine Rolle: "1969 war klar, dass die geburtenstarken Jahrgänge abnahmen. Um diesen Wandel zu adressieren, machte es Sinn, das Wahlalter in Deutschland anzupassen."
Volljährig, aber minderjährig zur Bundeswehr
Im Westen mussten bereits 18-Jährige zur Bundeswehr oder zum Zivildienst, obwohl sie rechtlich noch minderjährig waren. "Das führte zu rechtlichen Konflikten", so Hurrelmann. Für die CDU/CSU-Angeordneten war dies ein entscheidender Punkt. Am Ende stimmte auch die Opposition der Senkung zu, obwohl die Union Vorbehalte gegenüber der rebellischen Jugend der 68er hatte. Der Konsens diente dazu, die Jugend nicht zu entfremden.
Die Jugend der damaligen Zeit war politisch sehr aktiv. "Es war eine Phase hoher Politisierung, mit starkem Interesse und Engagement", beschreibt Hurrelmann. Studien zeigen, dass etwa fünf Prozent aller Studierenden an politischen Aktionen teilnahmen – ein außergewöhnlich hoher Anteil.
Politisches Engagement: Damals und heute
"Eine solche Politisierung hatten wir danach lange nicht mehr", erklärt Hurrelmann. Zwischen 1980 und 2010 herrschte eine wirtschaftlich schwierige Phase, die junge Generationen weniger politisch machte. "Politisches Engagement wächst, wenn es der Wirtschaft gutgeht. In Krisenzeiten hat die Jugend andere Prioritäten."
Seit 2010 erlebt Deutschland wieder eine politisierte Jugend, sichtbar bei Bewegungen wie Fridays For Future. "Es ist eine Generation mit sehr guten wirtschaftlichen Aussichten", so Hurrelmann. Aktuelle Studien zeigen, dass etwa fünf Prozent der jungen Menschen aktiv politisch engagiert sind, ähnlich wie in den 1970er-Jahren.
Polarisierung und die Diskussion um das Wahlrecht mit 16
Auch wenn Fridays For Future an Einfluss verloren hat, zeigt die jüngste Shell-Jugendstudie eine politisch wache Generation. "Allerdings spaltet sich die Jugend zunehmend in klimabewegte und rechtsgerichtete Lager", beobachtet Hurrelmann.
Generationsexperte Maas hebt die Unterschiede zur Jugend vor 50 Jahren hervor: "Damals war die Jugend weniger konservativ und stand in einem Konflikt zur Elterngeneration. Heute herrscht eher ein Bündnis zwischen den Generationen." Laut Umfragen geben viele junge AfD-Wähler an, dass ihre Eltern die Partei ebenfalls unterstützen.
Die Absenkung des Wahlalters auf 16 wird aktuell intensiv diskutiert. Maas ist dafür, aber nur unter der Voraussetzung, dass politische Bildung verstärkt wird. "Ich würde den heutigen Jugendlichen nicht uneingeschränkt politische Kompetenz zusprechen", betont er. Untersuchungen seines Instituts zeigen, dass viele 16-Jährige nicht einmal den Ministerpräsidenten ihres Bundeslandes benennen können.