Unternehmen

Kurzarbeit statt Massenarbeitslosigkeit? Verlängerung des Kurzarbeitergeldes steht in der Kritik

Die Wirtschaft steckt fest in einer Strukturkrise: seit 5 Jahren kein Wachstum. Die Folge: Immer mehr Unternehmen bauen Stellen ganz ab oder schicken ihre Mitarbeiter in eine verlängerte Kurzarbeit, so wie aktuell Riva Stahl in Hennigsdorf. Laut Ifo-Institut könnte bald jedes vierte Unternehmen Kurzarbeit anmelden. Kurzarbeit gegen Personalabbau – Fluch oder Segen für den Arbeitsmarkt?
02.04.2025 11:07
Lesezeit: 4 min

Seit Anfang des Jahres ruht die Produktion im Hennigsdorfer Elektrostahlwerk: 680 der rund 700 Mitarbeitenden mussten zu Hause bleiben. Nach drei Monaten Kurzarbeit im Stahlwerk hätte es theoretisch diesen Monat wieder losgehen sollen. Doch jetzt die Schocknachricht für die Belegschaft: die Kurzarbeit wird unbefristet verlängert.

„Unbefristete“ Kurzarbeit bei Riva Stahl in Hennigsdorf

Mit einer Verlängerung der Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld, kurz Kug, auf bis zu 24 Monate, stemmt sich die Bundesregierung gegen die wirtschaftlichen Probleme im Land. Den Beschäftigten sollen ihre bedrohten Jobs gesichert werden und den Unternehmen das Halten ihrer oft langjährigen, bewährten Arbeitskräfte erleichtert werden. Doch hilft das verlängerte Kurzarbeitergeld wirklich Entlassungen zu vermeiden?

Im Januar zahlte die Bundesagentur für 240.000 Beschäftigte konjunkturelles Kurzarbeitergeld. Das waren 36.000 mehr als im Dezember 2024 und 51.000 mehr als im Januar des vergangenen Jahres. Aktuellere Daten zur tatsächlichen Inanspruchnahme stehen derzeit noch nicht zur Verfügung. Allerdings wurde vom 1. bis 24. März für 43.000 weitere Personen Kurzarbeit beantragt.

Neuer Rekordwert bei Kurzarbeit erwartet: Jedes vierte Unternehmen betroffen

Das Münchner ifo-Insitut sagt einen neuen Höchststand für die Zahl der Kurzarbeiter voraus: Für die kommenden drei Monate erwarten 25,4% der deutschen Industrieunternehmen Kurzarbeit. Im November 2024 waren es 24,4 %*. Am höchsten ist der Anteil der kurzarbeitenden Unternehmen in der Metallerzeugung und -bearbeitung (40 %), gefolgt von der Autoindustrie (27 %), sowie den Möbelherstellern, dem Maschinenbau und den Herstellern elektrischer Ausrüstung (jeweils 25 %).

„Die Industrie reagiert mit einem Mix von Kurzarbeit und Stellenabbau auf die anhaltende Wirtschaftsflaute. Der Schwerpunkt liegt aber auf dem Stellenabbau. Das deutet darauf hin, dass die Unternehmen die aktuelle Lage nicht als nur vorübergehende Krise betrachten“, sagt ifo-Forscher Sebastian Link.

Stellenabbau und Kurzarbeit besonders im verarbeitenden Gewerbe

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) betont, dass die Kurzarbeit derzeit im verarbeitenden Gewerbe am stärksten verbreitet sei – mit allein 143.000 Kurzarbeit-Beschäftigten im August 2024. Die Schwerpunkte hätten im Maschinenbau, in der Herstellung von Metallerzeugnissen, von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen sowie in der Produktion von Kraftwagen und Kraftwagenteilen gelegen.

Trotz Kurzarbeitergeld gehen im verarbeitenden Gewerbe immer mehr Arbeitsplätze verloren: Innerhalb eines Jahres sei bis Januar 2025 die Zahl der Beschäftigten nach ersten Berechnungen um etwa 120.000 auf 6,67 Millionen gesunken, teilte die Bundesagentur für Arbeit im März mit. Vor allem in kleinen und mittleren Betrieben mit weniger als 250 Beschäftigten werde Personal abgebaut.

Kurzarbeit als Jobretter gegen Massenarbeitslosigkeit?

Dem Staat entstehen durch das Kurzarbeitergeld zusätzliche Milliardenkosten, die den Unternehmen zwar Entlastungen schaffen, aber den Steuerzahler zusätzlich belasten. Die Corona-Kurzarbeit hat Deutschland rund 46 Milliarden Euro gekostet. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) sieht die Bundesregierung damit „auf dem völlig falschen Weg“. „Kurzarbeit und Sonderregelungen sind teuer, belasten langfristig die Beitragszahler und lösen keine strukturellen Probleme“, erklärte Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann.

Krise hausgemacht: Kritik an der Kurzarbeit wächst

Wirtschaftsexperten und Verbände üben nun immer lauter Kritik an der Verlängerung der Kurzarbeit. Thilo Brodtmann (VDMA) hält sie sogar für „Wahlgeschenke“ von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil. Simon Jäger, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Princeton, sagt im zdfheute, die Verlängerung war ein Fehler, „denn die dringend benötigten Fachkräfte sind auf dem Arbeitsmarkt nicht verfügbar sind, weil sie in der Kurzarbeit stecken.“

In dieser Krise bräuchte es strukturelle Reformen, „welche Unternehmen entlasten und nicht am Ende weiter belasten“. Studien zeigten zudem, dass Kurzarbeit, gerade die Verlängerung der Bezugsdauer, Mitnahmeeffekte erzeuge. Sonderregelungen dürften „nur in absoluten Ausnahmesituationen – wie zur Corona-Pandemie – gelten, nicht, um Strukturen zu verfestigen“.

Verlängerung Kurzarbeitergeld: Ampel-Regierungsbeschluss nach Vertrauensfrage

Das Bundeskabinett hatte im Dezember, kurz nach dem Ampel-Aus am 6. November, eine Verordnung beschlossen, die die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld auf bis zu 24 Monate verlängert. Die Maßnahme ist am 1. Januar in Kraft getreten und befristet bis Ende 2025. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wendet damit erneut das Instrument an, das bereits während der Corona-Krise – stimuliert durch entsprechende Regelungen – tausende Jobs retten sollte. Kurzarbeit bedeutet, dass alle oder nur ein Teil der Beschäftigten in einem Betrieb weniger Stunden arbeiten, als sie normalerweise arbeiten müssten.

Die Auszahlung des Kurzarbeitergeldes durch die Agentur für Arbeit soll Arbeitgeber bei den Kosten entlasten und Kündigungen verhindern. „Mit der Verlängerung des konjunkturellen Kurzarbeitergeldes bauen wir Brücken: für Betriebe, große wie kleine, um gestärkt aus der Krise zu kommen, und für Beschäftigte, um ihre Arbeit zu halten“, so Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.

Verlängerung statt Stellenabbau: Fluch oder Segen?

Grund für die Verlängerung ist der deutliche Anstieg der Kurzarbeit in Deutschland. Darauf weist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in einer Pressemitteilung hin. Ohne die Verlängerung könne es in den kommenden Monaten zu erheblichem Personalabbau in schon von Kurzarbeit betroffenen Betrieben kommen. Ziel sei es, mit der „3. Änderungsverordnung zur Ausweitung der Bezugsdauer beim Kurzarbeitergeld“ (3. KugBeV) Betrieben in schwierigen Zeiten mehr Planungssicherheit zu geben.

„Die seit Januar 2024 von der Kurzarbeit betroffenen Betriebe können aufgrund der Verlängerung bis zum 31. Dezember 2025 die Kurzarbeit in ihrem Betrieb fortführen“, heißt es in der Begründung zur Verordnung. Betriebe, die schon seit Herbst/Winter 2023 von der Kurzarbeit betroffen seien, können nach einer Unterbrechung der Kurzarbeit von nicht mehr als zwei zusammenhängenden Monaten diese wiederaufnehmen.

Eine neue Verordnung – gültig bis zum 31. Dezember 2025 – sichere eine verlängerte Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes auf bis zu 24 Monate.

Kurzarbeitergeld beantragen: Informationen rund um das Thema

Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) kann das Kurzarbeitergeld einen Verdienstausfall der Arbeitnehmer zumindest teilweise wieder ausgleichen. Die gesetzliche Grundlage bilden die Paragraphen ab Paragraph 95 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Folgende Voraussetzungen muss der Arbeitgeber erfüllen:

  • Erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall
  • Erfüllung der betrieblichen Voraussetzungen
  • Erfüllung der persönlichen Voraussetzungen (das heißt Voraussetzungen bei Ihren Beschäftigten)
  • Anzeige des Arbeitsausfalles bei der Arbeitsagentur am Betriebssitz
  • Im Betrieb oder der Betriebsabteilung muss mindestens eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer beschäftigt sein
  • Sie müssen Kurzarbeit nicht für den gesamten Betrieb einführen und anzeigen. Die Kurzarbeit kann auch auf einzelne Betriebsabteilungen beschränkt sein.
  • Die Anzeige des Arbeitsausfalls muss in dem Monat eingehen, in dem die Kurzarbeit beginnt: schriftlich, bei der Agentur für Arbeit am Betriebssitz. Eine Begründung des erheblichen Arbeitsausfalls ist erforderlich.

Weiterführende Antworten auf wichtige Fragen zum Kurzarbeitergeld, zu den verschiedenen Formen dieser Förderung, der Beantragung und die notwendigen Formulare finden Sie in unserem Kurzarbeit-Ratgeber sowie auf der Homepage der Bundesagentur.

Woran Sie denken sollten: Das Kurzarbeitergeld richtet sich nach dem Nettoentgeltausfall. Faustregel: 60 Prozent des ausgefallenen pauschalierten Nettoentgelts bekommt der Beschäftigte. Durch das reduzierte Einkommen kann es zu eventuellen Kürzungen bei der Urlaubsvergütung oder später auch zu Steuernachzahlungen kommen.

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Mirell Bellmann

Mirell Bellmann schreibt als Redakteurin bei den DWN über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zuvor arbeitete sie für Servus TV und den Deutschen Bundestag.

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