Politik

Ukraine-Krieg: Europas Beitrag und die Rolle der USA im Konflikt

Der Ukraine Krieg stellt Europa und die USA vor immense Herausforderungen. Während Europa finanzielle und militärische Unterstützung leistet, bleibt die Frage: Kann es diesmal effektiver handeln als bei früheren Krisen? Zugleich beeinflussen US-amerikanische Entscheidungen unter Trump oder Biden die Dynamik des Konflikts maßgeblich.
Autor
avtor
14.01.2025 08:07
Aktualisiert: 14.01.2025 08:07
Lesezeit: 4 min
Ukraine-Krieg: Europas Beitrag und die Rolle der USA im Konflikt
Europa zwischen Solidarität und Eigenständigkeit: Herausforderungen im Ukraine Krieg und die Suche nach Lösungen. (Foto: iStock.com/btgbtg) Foto: btgbtg

„Wenn es ein Problem gibt, das die Europäer lösen können, dann ist es das jugoslawische Problem“, erklärte der damalige luxemburgische Außenminister Jacques Poos 1991. Die Sowjetunion hatte sich Ende jenes Jahres formell und weitgehend friedlich aufgelöst, aber die ethnischen Spannungen auf dem Balkan nahmen zu, und Poos war der festen Überzeugung, dass Europa und nicht die USA die sich verschärfende Krise in Jugoslawien bewältigen sollten, da Jugoslawien ein europäisches Land sei. „Dies ist die Stunde Europas“, erklärte er stolz. Doch in den folgenden Jahren erlebte Jugoslawien einen blutigen Zerfallsprozess, und Europa erwies sich als unfähig, viel dagegen zu unternehmen.

Heute wird ein weiteres europäisches Land auseinandergerissen: die Ukraine. Nach Poos’ Logik ist es also an Europa, sie zu „retten“. Wird sich Europa diesmal als effektiver erweisen?

In den kruden Vorwürfen des designierten US-Präsidenten Donald Trump, Europa sei in Sachen Sicherheit nicht selbständig genug, steckt ein Körnchen Wahrheit. Tatsächlich gibt sich in Europa niemand der Illusion hin, dass Europa allein das ukrainische „Problem“ lösen könne; es wurde immer erwartet, dass die USA eine führende Rolle übernehmen würden. Diese Realität sollte jedoch nicht über die Beiträge Europas zugunsten der Ukraine hinwegtäuschen.

Laut dem „Ukraine Support Tracker“ des IfW Kiel hat Europa – d. h. die Europäische Union, ihre Mitgliedstaaten, Norwegen und das Vereinigte Königreich – die USA als führende Quelle der Hilfe für die Ukraine überholt: Bis Ende letzten Jahres wurden rund 125 Milliarden Euro (128 Milliarden Dollar) bereitgestellt, verglichen mit 88 Milliarden Dollar aus den USA. In dieser Summe ist ebenso viel Militärhilfe enthalten wie seitens der USA geleistet wurde (etwa 60 Milliarden Euro). Darüber hinaus hat Europa bereits weitere 120 Milliarden Euro zugesagt, die in den nächsten Jahren ausgezahlt werden sollen, während die künftige Hilfe der USA fraglich ist.

Angesichts der Größe der Volkswirtschaften und Militärbudgets der Geberländer ist keiner der beiden Beiträge sonderlich beeindruckend. Für die USA, deren Wirtschaftsleistung sich auf 27 Billionen Dollar jährlich beläuft, sind 88 Milliarden Dollar über einen Zeitraum von fast drei Jahren ein Rundungsfehler, und 60 Milliarden Dollar entsprechen 7,5 Prozent der gesamten Militärausgaben der USA, die sich derzeit auf über 800 Milliarden Dollar jährlich belaufen. Die europäische Wirtschaft ist etwas kleiner, aber die Gesamthilfe für die Ukraine (einschließlich der Hilfe Norwegens und des Vereinigten Königreichs) hat immer noch weniger als 0,6 Prozent vom BIP gekostet. Die Folgerung ist klar: Finanzielle Erwägungen sind kaum ein unüberwindbares Hindernis für die „Rettung“ der Ukraine.

Auch politisch sieht es für die Ukraine einigermaßen gut aus. Obwohl sich der Krieg seit mehr als drei Jahren hinzieht, hat sich die öffentliche Unterstützung für das Land gut gehalten. Zwar hat der Enthusiasmus der Europäer, der Ukraine Hilfe zukommen zu lassen, nachgelassen, da die Erzählung vom Kampf David gegen Goliath, die sich in den ersten Tagen des Krieges als so mitreißend erwiesen hatte, an Wirkung verloren hat, doch befürwortet die Mehrheit der Bevölkerung in fast allen europäischen Ländern weiterhin die Unterstützung der Ukraine.

Die politischen Entscheidungsträger der EU sehen es als gegeben an, dass ein russischer Sieg die Existenz der Union bedrohen würde. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula Von der Leyen, hat sich in dieser Hinsicht besonders deutlich geäußert und eine beispiellose Reihe von Sanktionen und anderen Maßnahmen vorangetrieben, um Russland zu einem Kurswechsel zu zwingen.

Entscheidend ist, dass die meisten europäischen Entscheidungsträger auf nationaler Ebene die Überzeugung teilen, dass die Unterstützung für die Ukraine im Interesse ihrer Länder liegt. Der russische Präsident Wladimir Putin, der seine Verachtung für die Werte und Normen, für die die EU steht, deutlich gemacht hat, führt schon jetzt einen Schattenkrieg gegen den Westen. Wenn man ihm erlaubt, sich gewaltsam ukrainische Gebiete anzueignen, was sollte ihn dann abhalten, sein Ziel, die Landkarte Europas neu zu zeichnen, weiter zu verfolgen?

Diese Gefahr beunruhigt nicht nur die engsten Nachbarn der Ukraine, sondern auch diejenigen, für die die Ukraine – in Anlehnung an Neville Chamberlains berüchtigten Ausspruch – ein fernes Land ist, von dem man wenig weiß. Diese gemeinsame Bedrohungswahrnehmung erklärt, warum 26 EU-Mitgliedsregierungen Ende 2023 den Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine durchsetzten. Ein derartiger Schritt sollte eigentlich nur einstimmig möglich sein, aber da der ungarische Ministerpräsident Victor Orbán sich weigerte, ihn mitzutragen, forderten die EU-Staats- und Regierungschefs Orbán auf, den Raum zu verlassen, während die Abstimmung stattfand.

Diese Episode machte deutlich, wie die EU-Vorschriften, die häufig Einstimmigkeit erfordern, eine zeitnahe und wirksame Reaktion auf interne Herausforderungen und externe Bedrohungen behindern können. Sie zeigte aber auch, dass eine überwältigende Mehrheit, wenn sie hinreichend entschlossen ist, verhindern kann, dass sie von Außenseitern aus kleinen Ländern ausgebremst wird. Tatsächlich erwägt eine große Koalition von EU-Mitgliedstaaten nun die Einrichtung eines 500 Milliarden Euro schweren gemeinsamen Fonds für Verteidigungsprojekte außerhalb der EU-Verträge, damit er nicht dem Vetorecht unterliegt.

Keine noch so große europäische Unterstützung kann das politische und militärische Gewicht der USA vollständig ersetzen. Aber wenn Trump versuchen sollte, ein „Friedensabkommen“ auszuhandeln, das Putin auf Kosten der Ukraine nützt, muss Europa bereit sein, sich den Erfordernissen der Stunde zu stellen und der Ukraine die politische und finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen, die sie braucht, um ihren Widerstand aufrechtzuerhalten. Europa kann zwar nicht den Ausgang des Krieges entscheiden, aber es kann die Aussichten der Ukraine erheblich verbessern. Seine Entschlossenheit wird das Kalkül sowohl von Trump als auch von Putin beeinflussen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2025.

www.project-syndicate.org

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Daniel Gros ist Direktor des europapolitischen Instituts der Università Commerciale Luigi Bocconi.

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