Wohnraum und Politik
Der Wahlkampf zur Bundestagswahl schreitet mit rapiden Schritten voran. Das Thema „Wohnraum“ und Wohnen allgemein steht bei allen Parteien groß oben auf der Agenda. Kein Wunder: 33 Prozent aller Deutschen haben laut einer Befragung von Meinungsforschungsinstitut Ipsos große Sorgen rund um Armut und soziale Ungleichheit, Tendenz steigend. Die hohen Lebenshaltungskosten sind auch laut einer Umfrage der R+V-Versicherungen für 57 Prozent der Deutschen eine primäre Angst. 52 Prozent sorgen sich genauer gesagt über (weiter) steigende Mieten.
Laut dem Statistischen Bundesamt ging die Anzahl an neu genehmigten Wohnungen von Januar bis Oktober 2024 gegenüber dem Vorjahr drastisch nach unten: So waren es 2023 175.357, während 2024 mit lediglich 143.500 Genehmigungen auffährt – das ist ein Fall von mehr als 22 Prozent. Parallel dazu sinkt die reelle Zahl an Neubau: 400.000 wurden jährlich von der Bundesregierung geplant, der Neubau-Bedarf per annum liegt laut Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln bei 372.000, tatsächlich gebaut wurden 2024 aber nur etwas mehr als 200.000 Wohnungen (die offiziellen Zahlen stehen noch nicht fest).
Der Merz-Turbo
Es müssen Lösungen her, die den deutschen Wohnungsmarkt entlasten. Jemand, der hier seinen metaphorischen Hut in den Ring werfen möchte, ist CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Der sieht die Lösung darin, „einfach“ zu bauen. Er sieht es nicht als Notwendigkeit, „für die Ewigkeit“ zu bauen, so Merz gegenüber Bild am Sonntag. Viele der Wohnungen, die in den letzten Jahrzehnten gebaut wurden, wären heute „nicht genehmigungsfähig“, obwohl man darin „sicher komfortabel leben könnte“, so Merz. Er will mit seinem „Bau-Turbo-Programm“ innerhalb kürzester Zeit Wohnmodule mit oder bis 80 Quadratmetern Wohnfläche bauen.
„Wir bauen zurzeit in Deutschland Häuser oft wie einen teuren Maßanzug. Immobilien kann man auch in Serie produzieren und trotzdem individuell gestalten“, so Merz. Die modulare Bauweise würde es laut ihm vor allem jüngeren Menschen erleichtern, bezahlbaren Wohnraum zu finanzieren. Laut Bild gibt es in Deutschland bereits mehrere Anbieter, die modulare Mini-Häuser bauen könnten; je nach Ausstattung würde das zwischen 100.000 und 200.000 Euro kosten.
Modulare Wohnbaulösungen
Der Wohnungsmangel kommt in ganz Deutschland zu tragen, besonders hart trifft es jedoch die Großstädte. Modularer Wohnbau soll helfen, diesen Mangel zu adressieren. Ein Anbieter nimmt direkt einen Stereotyp vorweg: Wer bei „modular“ direkt an den Plattenbau der 1950er und 60er Jahre denkt, liegt falsch. Beim modularen Bau werden an Ort und Stelle ganze Räume oder auch Raumteile zusammengefügt. Man kann sich das fast Lego-ähnlich vorstellen: Die Einzelteile werden zur Baustelle gebracht und dann nach und nach „ineinandergesteckt“. Der modulare Bau beschränkt sich nicht auf den Neubau; es ist auch möglich, schon bestehende Gebäude so zu „erweitern“.
Das reduziert die tatsächliche „Bauzeit“ enorm, da bis zu 90 Prozent der de facto Bauarbeiten bereits in den Werkhallen der Produzenten stattfindet. Effiziente Arbeitsbedingungen sollen gleichzeitig Abläufe optimieren, Müll verringern und Personalmangel senken. Der größte Vorteil im modularen Bau, und der Grund, wieso Merz es als Instant-Lösung anpreist, ist, dass der Bau hierbei schnell starten und ebenso schnell vollendet werden kann. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass eventuelle Baumängel leichter bemerkt und beseitigt werden können.
Um auch den Anforderungen ans Klima gerecht zu werden, verspricht der modulare Wohnbau die Vermeidung von Emissionen unter anderem durch Reduktionen im Bereich Transport. Allgemein verbraucht modularer Bau durch seine kompakteren Arbeitsabläufe weniger Ressourcen, unter anderem auch Elektrizität und Benzin. Manche Anbieter werben mit besonders klimafreundlichen Materialien; darunter auch der smarte Fertighausbau aus Holz. Das bewegt sich aber in anderen Preissegmenten.
Man sieht, dass die modulare Bauweise grundsätzlich ein spannender Ansatz ist. Insbesondere die Möglichkeit, so bereits bestehende Gebäude zu erweitern, lässt in dicht bebauten Großstädten hellhörig werden. Aktuell steht dem modularen Wohnbau vor allem die deutsche Bürokratie im Weg: Hier ist nämlich eine spezielle Baugenehmigung nötig, die noch komplizierter und langwieriger ist, als es Baugenehmigungen zum aktuellen Zeitpunkt sowieso schon sind.
Zukunftslösung oder Lösung ohne Zukunft?
Über die Sinnhaftigkeit von Merz Vorschlag kann man streiten. Wenn alle Standards von jetzt auf nachher fallen, so ist es sicherlich leichter, Baugenehmigungen zu bekommen. In der Theorie führt der Abbau von Rahmenbedingungen auch dazu, dass Wohnungen schneller und kostengünstiger gebaut werden können.
Gleichzeitig ergeben sich aus der Lösung aber auch Fragen: Was machen wir in der Zukunft mit den Wohnungen, die „nicht für die Ewigkeit“ gebaut wurden und dann aus verschiedensten Gründen ruinöse Sanierungskosten mit sich bringen, wenn man sie überhaupt retten kann? Was bedeutet absichtlicher „Ramschbau“ im Kontext der Klimakrise, wobei 30 Prozent der Emissionen in Deutschland allein von Bau und Nutzung von Gebäuden kreiert werden? Und wieso ignoriert der Turbo klar greifbare Gründe für die Schwierigkeiten im Wohnbau, die eben nichts mit Effizienzklassen und Bürokratie zu tun haben? Um Focus-online-Autor Christoph Sackmann zu zitieren: „Die Baukrise hat mehrere Gründe und nicht alle kann die Politik beeinflussen.“
Immer mehr Projektentwickler sehen sich mit Insolvenz konfrontiert. 2024 ging scheinbar im Wochentakt eine Firma nach der anderen Pleite. Baustoffkosten steigen; Beton und Zement sind heute 70 Prozent teurer als noch vor zehn Jahren. Auch fehlendes Bauland bremst den Bauwunsch.
Selbst Wohnungsriese Vonovia hielt sich in den letzten zwei Jahren klar mit Bauprojekten zurück. Hauptgründe dafür waren Inflation und gestiegen Zinsen. Viele Projekte, so Unternehmenssprecher Marc Friedrich, schaffen es aufgrund der schwierigen Marktumstände gerade so bis zum Baurecht, aber keinen Schritt weiter.
Auch bei schon existierenden Wohnungen besteht nicht nur heiterer Sonnenschein: Leerstand ist eben eine Folge von „Ramschbau“ – laut Zensus 2022 stehen in Deutschland rund 1,9 Millionen Wohnungen leer; viele von ihnen brauchen umfassende Arbeit, um bewohnbar zu sein – Arbeit, die niemand finanzieren will.
Der Wohnbau in Deutschland braucht Lösungen; diese müssen aber auch Zukunft haben und reell umsetzbar sein. Schnell ist gut, zukunftsfähig besser.