Drei Jahre, zwei Monate, 15 Tage und 8 Stunden: So lange ist Olaf Scholz nun Bundeskanzler, als er um 18:40 Uhr vor seine Parteifreunde tritt, die trotz der aussichtslosen Lage zur Wahlparty ins Berliner Willy-Brandt-Haus gekommen sind. Zu diesem Zeitpunkt ist bereits klar: Es werden nur noch wenige Wochen, höchstens Monate bleiben. Dann endet die kürzeste Amtszeit eines SPD-Kanzlers in der Geschichte der Bundesrepublik.
Und sie endet in einem Desaster. Für Scholz persönlich, aber auch für die älteste Partei Deutschlands, die stets stolz auf ihre Geschichte war. „Das ist ein bitteres Wahlergebnis für die sozialdemokratische Partei“, sagt Scholz. Er übernimmt Verantwortung für das Ergebnis, gratuliert dem Wahlsieger Friedrich Merz (CDU) und macht dann deutlich, dass er an der Bildung einer neuen Regierung nicht mehr beteiligt sein wird: „Jetzt müssen andere den Weg finden, wie eine Regierung gebildet werden kann.“
Schlechtestes Ergebnis seit 138 Jahren
Zwischen 16,1 und 16,4 Prozent zeigen die Hochrechnungen, als Scholz diese Worte spricht. Es ist nicht nur das schlechteste Ergebnis der SPD bei Bundestagswahlen seit 1949, sondern das schwächste Resultat bei einer nationalen Parlamentswahl seit 138 Jahren. Noch schlechter schnitten die Sozialdemokraten nur bei der Reichstagswahl 1887 im Kaiserreich ab, als sie noch als Sozialistische Arbeiterpartei firmierten.
Es ist in erster Linie die Wahlniederlage von Olaf Scholz. Trotz des Scheiterns seiner Ampelregierung, trotz seiner konstant schlechten Sympathiewerte und trotz der Tatsache, dass es eine Alternative gegeben hätte, wollte Scholz es erneut versuchen. Nach der Entscheidung für die Neuwahlen im November wurde zwei quälend lange Wochen darüber diskutiert, ob der Kanzler wieder als Kandidat antreten solle oder der wesentlich beliebtere Verteidigungsminister Boris Pistorius.
Klingbeil fordert personellen Neuanfang
Scholz setzte sich durch, Pistorius zog sich zurück. Die Diskussion wurde von Parteichef Lars Klingbeil moderiert. Die Entscheidung zugunsten von Scholz geht damit auch auf seinen Mist, obwohl er sich den Ausgang vielleicht anders vorgestellt hatte. Welche Konsequenzen Klingbeil nun zieht, bleibt unklar.
Kann man SPD-Vorsitzender bleiben, wenn man das schlechteste Ergebnis seit fast 140 Jahren einfährt? Am Wahlabend erweckt Klingbeil jedenfalls nicht den Eindruck, zurücktreten zu wollen. Doch gleichzeitig räumt er ein: „Dieses Ergebnis wird Umbrüche erfordern in der SPD.“ Und das meint er wohl auch personell. „Ich sage hier mit absoluter Klarheit, der Generationswechsel in der SPD muss eingeleitet werden.“
Klingbeil oder Pistorius oder beide?
Was das genau bedeutet, wird in den kommenden Tagen Thema in der SPD sein. Die jüngere Generation zählt sich Klingbeil vermutlich erst einmal selbst dazu. Er wurde am Wahltag 47. Neben ihm wird bisher nur eine andere Person als potenzieller neuer starker Mann genannt – Boris Pistorius. Der 64-jährige Verteidigungsminister hat sich nach seiner Rücknahme der Kanzlerkandidatur von den großen Wahlkampfbühnen ferngehalten und kann für sich in Anspruch nehmen, wenig mit dem Wahldebakel zu tun zu haben.
Besonders fraglich gilt die politische Zukunft von Saskia Esken (63). Es wird spekuliert, dass sie sich spätestens beim Parteitag im Dezember vom Parteivorsitz zurückziehen könnte. Als mögliche Nachfolgerinnen werden die Ministerpräsidentin des Saarlands, Anke Rehlinger (48), sowie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (56) genannt.
GroKo oder NoGroKo – oder Dreierkoalition?
Neben der innerparteilichen Machtfrage steht jedoch eine weitere für die SPD: Möchte man nach der Bruchlandung bei der Wahl wirklich als geschwächter Juniorpartner in eine sogenannte große Koalition unter Friedrich Merz eintreten, dem man seit seinem umstrittenen AfD-Manöver im Bundestag nicht mehr vertraut? Ob die Hochrechnungen für eine schwarz-rote Koalition reichen, ist noch unklar. Die Alternativen wären Dreierkoalitionen mit der Union und den Grünen oder der FDP.
Auch gegen diese Optionen könnte es Widerstand innerhalb der SPD geben. Erinnerungen werden wach an 2017, als die Jusos mit ihrer „NoGroKo“-Kampagne gegen ein Bündnis mit der Union kämpften, das letztlich aber in einem Mitgliedervotum bestätigt wurde. Klingbeil machte bereits klar: „Verantwortung kann man in einer Regierung, aber auch in einer Opposition übernehmen.“
Hinterbank des Bundestags als „Abklingbecken“ für Scholz
Einer wird mit all dem nichts mehr zu tun haben. Olaf Scholz bleibt zwar Kanzler, bis eine neue Regierung gebildet wird. Doch dieser wird dann wohl nicht mehr angehören. Ganz aus der Politik will der 66-Jährige jedoch noch nicht ausscheiden. Sollte er seinen Wahlkreis in Potsdam gewinnen, möchte er bis zur nächsten Wahl im Bundestag bleiben. „Das steht schon ewig lange fest“, sagte er beim Abschluss seines Wahlkampfes in Potsdam. Ähnlich wie Helmut Kohl 1998 nach seiner Abwahl, als dieser die Hinterbank des Bundestags als „Abklingbecken“ nach einer langen politischen Karriere nutzte.