Ray Dalio - Zölle besonders wertvoll?
Wall-Street-Veteranen und Analysten großer Banken tun sich schwer, sich in einer Situation zurechtzufinden, in der viele bewegliche Teile gleichzeitig wirken – um den Einfluss der Zölle auf die Märkte zu beurteilen, muss eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigt werden.
So beschreibt etwa der erfahrene Investor Ray Dalio, Gründer des größten Hedgefonds der Welt, Bridgewater Associates, die Lage nach Trumps Ankündigung in den ersten Tagen:
„Zölle können erscheinen wie eine attraktive Steuer für das einführende Land, um zusätzliche Einnahmen von ausländischen Herstellern und eigenen Verbrauchern zu erzielen, jedoch verringern sie die durch Globalisierung ermöglichte Produktionseffizienz, sie haben einen stagflationären Effekt auf die Weltwirtschaft – sie wirken eher deflationär für das von Zöllen betroffene Produktionsland und inflationär für das Land, das die Zölle verhängt, sie schützen die Hersteller im importierenden Land (machen sie aber gleichzeitig ineffizienter), sie sind notwendig im Kontext von Konflikten zwischen großen Weltmächten, um inländische Produktionskapazitäten zu sichern und können dabei helfen, Ungleichgewichte in Leistungs- und Kapitalbilanzen zu reduzieren.“
Letzterer Punkt bedeutet laut Dalio in einfachen Worten, dass Zölle die Abhängigkeit von ausländischer Produktion und ausländischem Kapital verringern können. „Das ist besonders wertvoll in Zeiten globaler geopolitischer Konflikte oder Kriege“, schreibt Dalio auf X. Welche tatsächlichen Auswirkungen Zölle haben werden, hängt maßgeblich davon ab, wie andere Länder darauf reagieren. Entscheidend werden Veränderungen der Wechselkurse, geldpolitische Reaktionen durch Zinsschritte der Zentralbanken sowie fiskalische Maßnahmen als Antwort auf die Zölle sein.
So kündigte China am Freitag an, ab dem 10. April 34 Prozent Zölle auf alle Waren aus den USA zu erheben. „Wenn auf Zölle mit Gegenzöllen reagiert wird, führt das zu breit angelegter Stagflation“, erklärt der Wall-Street-Veteran, dessen Hedgefonds vor allem für seine makroökonomischen Strategien bekannt ist.
In Ländern mit sinkender Inflation dürften die Zinsen und auch die Währungen fallen, wenn Zentralbanken auf die Entwicklung mit Zinssenkungen reagieren. In Ländern mit steigender Inflation wird dagegen eine Straffung der Geldpolitik erwartet – samt höheren Zinsen und stärkeren Währungen. Analog dazu sollte auch die Fiskalpolitik der betroffenen Länder angepasst werden, prognostiziert Dalio. „Was offensichtlich ist: Ungleichgewichte in Produktion, Handel und Kapital – insbesondere Schulden – müssen sich auf die eine oder andere Weise ausgleichen, denn sie sind geldpolitisch, ökonomisch und geopolitisch nicht nachhaltig. Daher muss sich die gegenwärtige Ordnung der Geld-, Wirtschafts- und Geopolitik ändern“, stellt Dalio fest und erwartet, dass diese Veränderungen „plötzlich und auf unkonventionelle Weise“ stattfinden werden.
Laut Ökonom Mohamed El-Erian erhöhen Trumps Handelszölle das Risiko einer Rezession in den USA
Auch der bekannte Ökonom Mohamed El-Erian warnt, dass Trumps Handelszölle das Risiko einer Rezession in den USA deutlich erhöhen. „Das Rezessionsrisiko ist nun beunruhigend hoch“, sagte El-Erian, Chef-Wirtschaftsberater bei Allianz, in einem Interview mit CNBC. „Es findet gerade eine massive Neubewertung der Wachstumsaussichten statt. Die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession liegt bei 50 Prozent, die Inflationserwartungen sind auf 3,5 Prozent gestiegen“, erklärte er. Zwar halte er eine Rezession nicht für unausweichlich, da die Struktur der Wirtschaft robust sei, doch das Risiko sei nun „unangenehm hoch“.
Der fortgesetzte Ausverkauf an den Märkten sei hauptsächlich auf Rezessionsängste zurückzuführen, doch laut El-Erian unterschätzen die Investoren bislang die inflationären Auswirkungen der Zölle. Der Terminmarkt für Geldpolitik signalisiert inzwischen deutlichere Zinssenkungen der US-Notenbank in diesem Jahr. Erwartet wird eine Senkung um 100 Basispunkte, zuvor waren es 75 Basispunkte. El-Erian gibt sich jedoch skeptisch: „Ich denke, wir haben Glück, wenn wir überhaupt eine Zinssenkung sehen. Vier Zinssenkungen? Ich wäre nicht überrascht, wenn wir gar keine bekommen.“
JPMorgan-Chefökonom befürchtet einen wirtschaftlichen Schock
Ähnlich kritisch sieht man die Lage bei JPMorgan. Sollten Trumps Handelszölle wie angekündigt in voller Form umgesetzt werden, steigt die Wahrscheinlichkeit einer globalen Rezession auf 60 Prozent, so Bruce Kasman, Chefökonom der Bank. Vor der Ankündigung lag die Schätzung bei 40 Prozent. „Wir nehmen derzeit keine sofortigen Änderungen an unseren Prognosen vor – wir wollen erst sehen, wie die Umsetzung beginnt und wie die Verhandlungen verlaufen. Aber die vollständige Umsetzung der Zölle würde einen wirtschaftlichen Schock verursachen, der bisher in unseren Prognosen nicht enthalten ist“, so Kasman in einem Kundenbericht.
Seiner Einschätzung nach könnte die Umsetzung der Zölle bereits in diesem Jahr die USA und womöglich die Weltwirtschaft in eine Rezession stürzen.
Bank of America
Eine drastische Einschätzung kommt auch von der Bank of America: Sollten US-Handelspartner auf Trumps Zölle mit gleichwertigen Gegenzöllen reagieren, könnten Unternehmen aus dem S&P 500 Index bis zu ein Drittel ihres operativen Gewinns verlieren. Diese Prognose basiert allein auf Annahmen über steigende Kosten und Auswirkungen auf den Auslandabsatz. Bereits ohne Gegenzölle würde der Anstieg der Importpreise durch Inflation die operativen Gewinne um rund 5 Prozent schmälern. „Langanhaltende Verhandlungen könnten die Geschäftstätigkeit lähmen und eine Rezession auslösen“, heißt es von der Bank.
Es gebe kein Lehrbuch für den Umgang mit solchen Zöllen, aber Gegenzölle könnten die Gewinne der S&P-500-Unternehmen um bis zu 32 Prozent drücken. Besonders betroffen wären Unternehmen mit kleiner Marktkapitalisierung – deren Gewinne könnten im Falle von Gegenzöllen um 100 Prozent einbrechen, bei einseitigen Zöllen um 22 Prozent. Für mittelgroße Unternehmen wären es 60 Prozent (mit Gegenzöllen) bzw. 11 Prozent (einseitig).
Gleichzeitig erkennt die Bank of America auch eine mögliche positive Seite: Die mit Spannung erwartete Bekanntgabe der Zölle habe nun Klarheit geschaffen. Die bevorstehenden Verhandlungen könnten ein positiver Katalysator für die Märkte werden. Sollte Trumps Zollpolitik tatsächlich zu Stagflation in den USA führen, wären Unternehmen mit stabilen Gewinnen und geringer Abhängigkeit vom Ausland am besten aufgestellt.
Wall-Street-Veteran Ed Yardeni sieht mögliche Kaufgelegenheit
Einer der wenigen, die inmitten der Marktkorrektur eine Kaufgelegenheit sehen, ist der Wall-Street-Veteran Ed Yardeni, Chef von Yardeni Research. Er meint, der Markt reagiere mit einem „Daumen nach unten“ auf Trumps Zölle, was jedoch hervorragende Kaufchancen eröffne. „Die USA zeichnen sich weiterhin durch Stärke im Technologie- und Kommunikationssektor aus. Die Aktien des glorreichen Siebener sind ein einzigartiges Merkmal der USA. Auch Finanz- und Industriesektor entwickeln sich stark“, sagte Yardeni im Interview mit Bloomberg TV.
Er glaubt zudem, dass Trump bewusst Spielraum für Rückzieher lässt, um später auf Angebote anderer Länder zu reagieren. „Ich denke, der Präsident plant, sich zurückzuziehen – auf eine Weise, die ihm erlaubt, es als Sieg zu verkaufen: Er wird Zugeständnisse erhalten und dann sagen, das sei ausreichend. Hoffentlich ist das in drei Monaten bereits Geschichte.“
Eine Rezession könne in einem halben Jahr drohen, sollte die aktuelle Zollpolitik unverändert umgesetzt werden, räumt Yardeni ein. Doch politischer Druck werde Trump zum Rückzug zwingen. „Die Republikaner wollen bei den Midterm-Wahlen im nächsten Jahr nicht ihre Mehrheit verlieren. Wenn sie eine Rezession in der zweiten Jahreshälfte verursachen, wird das den Menschen nicht gefallen. Deshalb hoffe ich auf politischen Widerstand – und dass es in drei bis sechs Monaten andere Themen geben wird, um die wir uns kümmern müssen. Ich rechne zwar mit einer Abschwächung, aber nicht mit einer Rezession.“
UBS-CIO: Umfang der Zölle hat die Märkte überrascht
Auch UBS hat ihre Einschätzung zu US-Aktien verschlechtert. Der Vermögensverwalter der Schweizer Bank senkte die Bewertung von „attraktiv“ auf „neutral“ und korrigierte das Kursziel für den S&P 500 bis Jahresende von 6.400 auf 5.800 Punkte nach unten – begründet mit den erwarteten Gewinnrückgängen und entsprechend sinkenden Unternehmensbewertungen. „Der Umfang der angekündigten Zölle hat sowohl uns als auch die Märkte überrascht“, schrieb Mark Haefele, Chief Investment Officer bei UBS Global Wealth Management, in einem Kundenbericht.
Er warnt, dass die Märkte weiterhin extrem volatil bleiben werden – im Schatten einer möglichen Eskalation mit Gegenzöllen von Handelspartnern. Am Freitag fiel der S&P 500 auf unter 5.300 Punkte, was einen Aufholbedarf von rund 9 Prozent bis zum neuen UBS-Ziel impliziert.
Citigroup: Short-Positionen aufbauen?
Bei Citigroup rechnet man mit einem Preisverfall bei Rohstoffen infolge der Zölle. Vor allem Kupfer könnte in den nächsten Wochen um weitere 8–10 % fallen. Trumps Zollpolitik und die damit verbundene Unsicherheit über das Wirtschaftswachstum dürften die weltweite Nachfrage nach Industrierohstoffen und Öl dämpfen, so die Einschätzung. Zusätzlichen Druck erhält der Ölpreis durch die Entscheidung der OPEC+, die Produktion wieder auszuweiten.
„Das ist eine ziemlich gute Gelegenheit, mit fallenden Preisen zu rechnen und in den nächsten 2 bis 3 Monaten Short-Positionen aufzubauen“, erklärte Max Layton, Leiter der Rohstoffanalyse bei Citigroup.
JD Vance: „Wir werden einen boomenden Aktienmarkt haben“
Und schließlich lohnt sich ein Blick auf die Urheber der Zölle: JD Vance, Vizepräsident der USA, kommentierte im Interview mit Newsmax: „Ehrlich gesagt, dachte ich, dass es in mancher Hinsicht schlimmer werden würde an den Märkten – das ist eine große Veränderung.“ Trump selbst bezeichnete die Maßnahme als Operation am Patienten USA – mit Verband – und sagte, die Genesung beginne.
„Sehen Sie – ein schlechter Tag an der Börse im Vergleich zu dem, was Präsident Trump gesagt hat – und ich denke, er hat recht – wir werden einen boomenden Aktienmarkt haben, langfristig, weil wir wieder in die Vereinigten Staaten investieren“, so JD Vance.