Wirtschaft

EU investiert Milliarden in eigene KI-Gigafabriken: Brüssel will Abhängigkeit von US-Datenmonopolen beenden

Die Europäische Kommission plant eine industriepolitische Offensive von historischer Dimension: Mit bis zu 20 Milliarden Euro sollen KI-Gigafabriken auf europäischem Boden entstehen. Die Botschaft an Washington ist klar: Die Zeit der einseitigen Abhängigkeit ist vorbei.
21.04.2025 10:57
Lesezeit: 2 min
EU investiert Milliarden in eigene KI-Gigafabriken: Brüssel will Abhängigkeit von US-Datenmonopolen beenden
Henna Virkkunen, EU-Kommissar für technische Souveränität, Sicherheit und Demokratie, gibt eine Pressekonferenz am Ende der wöchentlichen Sitzung des Kommissionskollegiums im EU-Hauptquartier. (Foto: dpa) Foto: Omar Havana

Europäische Kommission will Abhängigkeiten verringern

Inmitten wachsender Spannungen mit den USA treibt die Europäische Union die technologische Selbstermächtigung voran. Mit dem „AI Continent Action Plan“ stellt die Europäische Kommission ein milliardenschweres Programm vor, das Europas Rückstand im globalen KI-Wettrennen aufholen – und die Dominanz amerikanischer Datenkonzerne gezielt brechen soll.

Geplant ist der Aufbau großskaliger Datenzentren, sogenannter KI-Gigafabriken, die als infrastrukturelles Rückgrat für Supercomputer und hochentwickelte Sprachmodelle dienen sollen. Bis zu 20 Milliarden Euro stehen hierfür aus EU-Mitteln bereit – ergänzt um nationale Fördergelder der Mitgliedstaaten.

Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Die Maßnahme folgt auf die jüngste Eskalation im transatlantischen Handelskonflikt: Seit Dienstag gelten in den USA neue Strafzölle von 20 Prozent auf bis zu 70 Prozent europäischer Exporte. Einige der gerade eingeführten Abgaben wurden nun jedoch für 90 Tage ausgesetzt. EU-Kommissarin Henna Virkkunen mahnt zur Deeskalation, stellt jedoch klar: „Wenn nötig, schützen wir unsere Industrie.“

Ein klarer geopolitischer Schnitt

In dem Brüsseler Strategiepapier heißt es unmissverständlich: „Eine übermäßige Abhängigkeit von nicht-europäischer Infrastruktur birgt erhebliche wirtschaftliche und sicherheitspolitische Risiken.“ Die EU will künftig geopolitisch autonome Datenräume schaffen – und dabei besonders auf die Einhaltung hoher Klima- und Energieeffizienzstandards achten.

Damit nimmt Brüssel auch indirekt Silicon Valley ins Visier. Europas Wirtschaft solle nicht länger auf den Serverfarmen US-amerikanischer Monopolisten wie Amazon, Microsoft oder Google basieren – vor allem, wenn deren Heimatland zeitgleich mit Strafzöllen, Visa-Hürden und wirtschaftlichem Protektionismus operiert.

Widerstand der US-Lobby – erste Warnschüsse aus Washington

Der Widerstand ließ nicht lange auf sich warten: Thomas Boué, Europa-Chef der Business Software Alliance (BSA), einem Lobbyverband mit Mitgliedern wie Microsoft, IBM und OpenAI, warnt davor, „bewährte Anbieter aus nicht-europäischen Ländern vom Markt auszuschließen“. Doch Brüssel zeigt sich entschlossen.

Hinter den Kulissen wird bereits an einer zweiten Liste von Gegenzöllen gearbeitet – diesmal mit möglichen Maßnahmen gegen US-Technologiedienste in Europa. Schon jetzt kursieren in Kommissionskreisen Ideen, US-amerikanische Anbieter künftig strenger zu regulieren – bis hin zu Marktzugangsbeschränkungen.

Die Realität hinter den Kulissen: Energiehunger und politische Sprengkraft

Offiziell betont die Kommission, dass die geplanten Gigafabriken streng klimaneutral ausgerichtet sein sollen. Inoffiziell jedoch warnen Insider bereits vor einem erheblichen Energieverbrauch: Viermal mehr Strom, Wasser und Netzkapazität als heutige Rechenzentren sollen die KI-Fabriken benötigen. Eine Herausforderung – und zugleich ein Weckruf für Europas Energiepolitik.

13 Pilotprojekte sind bereits gestartet – unter anderem in Deutschland, Frankreich, Polen und Finnland. Doch mit dem neuen Plan will Brüssel eine kontinentale Infrastrukturrevolution einleiten, die weit über einzelne Pilotstandorte hinausgeht.

Fazit: Brüssel setzt auf technologische Souveränität – und riskiert den offenen Bruch mit Washington

Die EU ist bereit, in einen industriepolitischen Schlagabtausch mit den Vereinigten Staaten zu treten – nicht mehr defensiv, sondern selbstbewusst. Mit einem klaren Ziel: digitale Unabhängigkeit. Der Aufbau eigener KI-Gigafabriken ist mehr als eine technische Maßnahme. Es ist ein strategisches Signal an Washington, Peking und das eigene Volk: Europa will nicht länger nur Markt sein – sondern auch Macht.

Doch der Weg ist steinig: Die transatlantischen Beziehungen stehen vor einem historischen Belastungstest. Und der Erfolg des Plans wird davon abhängen, ob Europas Regierungen den Worten aus Brüssel auch Taten folgen lassen – in Form massiver Investitionen, politischer Entschlossenheit und industriepolitischer Geschlossenheit.

Der digitale Wettlauf hat begonnen – diesmal mit europäischem Kurs.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Bürgergeldreform „Bullshit“: Arbeitsministerin Bas muss bei Jusos einstecken - wackelt die neue Grundsicherung?
01.12.2025

Die Bürgergeldreform steht bevor, der erste Teil der neuen Grundsicherung soll noch im Dezember durch das Bundeskabinett von Kanzler Merz...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Industrie: Materialmangel trifft Autoindustrie am härtesten – Ursache wohl in China
01.12.2025

Materialmangel trifft die deutsche Industrie unerwartet hart und legt Schwachstellen in globalen Lieferketten offen. Besonders Halbleiter...

DWN
Politik
Politik NATO-Krise: Ex-Spitzenoffizier fordert im DWN-Interview totale Umstellung von Gesellschaft und Wirtschaft
01.12.2025

Ein früherer NATO-Spitzenoffizier warnt in einem exklusiven Interview, dass Europa nur wenige Jahre hat, um sich auf einen möglichen...

DWN
Finanzen
Finanzen Hugo Boss-Aktie: Machtkampf mit Großaktionär Frasers?
01.12.2025

Beim Modekonzern Hugo Boss knirscht es im Machtgefüge: Der wichtigste Investor zieht dem Aufsichtsratschef die Unterstützung weg,...

DWN
Finanzen
Finanzen Airbus-Aktie fällt nach A320-Software-Update
01.12.2025

Ein Pflicht-Update für die A320-Reihe schickt die Airbus-Aktie auf ein Zweimonatstief. Airlines reagieren hektisch, doch der Hersteller...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs rutscht zum Wochenstart ab: Liquidationswelle bringt Kryptowährungen unter massiven Druck
01.12.2025

Der Bitcoin-Kurs startet tiefrot in den Dezember: Ein Wochenend-Schock hat den Markt binnen Stunden umgekrempelt. Liquidationen rollen auf...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Wird 2026 alles steigen? Prognose für Aktien, Bitcoin-Kurs und Goldpreis
01.12.2025

Der November brachte an den US-Börsen einen synchronen Aufschwung über sämtliche Anlageklassen hinweg. Jetzt legen die größten Häuser...

DWN
Finanzen
Finanzen Dividenden-Aktien: Wie Anleger jetzt potenzielle Dividendenrenditen erkennen
01.12.2025

Dividenden-Aktien gewinnen für Anleger in unsicheren Zeiten an Bedeutung, da sie regelmäßige Ausschüttungen mit potenziellem...