Post über Gehalt ging viral
„Hier ist mein Gehaltsscheck.“ So begann ein Beitrag auf LinkedIn, der weit mehr auslöste als ein paar Likes und Kommentare. Marketingberater David Jeppesen stellte sich öffentlich hin – mit nackten Zahlen. 72.441 Dänische Kronen (etwa 9,694 Euro) brutto, inklusive Rente, pro Monat. Der Post ging viral, sein Posteingang wurde überflutet. Doch es waren nicht die öffentlichen Reaktionen, die ihm zu denken gaben – sondern die stillen, privaten Nachrichten. Sie offenbaren ein gesellschaftliches Unbehagen, das tief sitzt.
In Zeiten, in denen über Geschlechtsidentitäten, Impfungen und Klimapolitik hitzig debattiert wird, bleibt das Thema Gehalt erstaunlich unangetastet. Fast schon heilig. Warum eigentlich?
Die Angst vor dem sozialen Gefälle
Die Zahlen auf dem Lohnzettel sind längst mehr als nur eine Bezahlung für geleistete Arbeit. Sie sind Ausdruck von Status, Anerkennung und – ja – Macht. Wie der Arbeitspsychologe Søren Schøler treffend beschreibt: Gehalt ist ein Signal für den eigenen Wert innerhalb des Systems. Und wer will schon öffentlich zugeben, dass sein Marktwert vielleicht niedriger ist als der des Kollegen?
Diese Form der Selbstzensur kommt nicht von ungefähr. In Ländern wie Dänemark, wo Gleichheit und Gewerkschaftstradition tief verankert sind, wirkt das Offenlegen des Gehalts beinahe wie ein Akt der Rebellion. Das sogenannte Jante-Gesetz – die ungeschriebene Regel, sich nicht für etwas Besseres zu halten – lebt in den Köpfen weiter. Ein offenes Gespräch über das Gehalt? Für viele ein gesellschaftlicher Affront.
Die Illusion der Fairness
In Deutschland ist es nicht anders. Trotz Tarifverträgen, Entgelttransparenzgesetz und EU-Richtlinien bleibt der Lohn ein gut gehütetes Geheimnis. Und das aus gutem Grund – zumindest aus Sicht der Arbeitgeber. Wer nicht weiß, was die Kollegin verdient, kann sich auch schwer beschweren.
Die neue EU-Richtlinie zur Lohntransparenz, die bis 2026 greifen soll, könnte hier Bewegung bringen. Doch ob sie das Tabu wirklich bricht, ist fraglich. Denn strukturelle Transparenz ersetzt keine kulturelle Offenheit. Es braucht den gesellschaftlichen Konsens, dass Gehalt kein schmutziges Geheimnis ist, sondern eine berechtigte Diskussionsgrundlage.
Mut oder Mangel an Alternativen?
Jeppesen steht stellvertretend für eine wachsende Bewegung, die sich weigert, das Spiel länger mitzuspielen. Auf Plattformen wie LinkedIn, Reddit und in Medienformaten skandinavischer Länder teilen Menschen ihre Gehälter freiwillig – oft anonym, manchmal mit vollem Namen. Doch was wie ein Befreiungsschlag wirkt, zeigt in Wirklichkeit, wie weit der Weg noch ist.
Denn wer heute sein Gehalt offenlegt, wird nicht selten als mutig bezeichnet. Allein dieses Wort zeigt, wie abnormal Transparenz derzeit noch ist. Wäre es wirklich normal, müsste man dafür keinen Mut aufbringen.
Der stille Machtkampf
Transparenz ist nicht nur eine Frage der Fairness – sie ist eine Machtfrage. Solange Unternehmen besser wissen, was ihre Angestellten „wert“ sind als die Angestellten selbst, bleibt das Gefälle bestehen. Wer das Tabu aufbricht, verschiebt Machtverhältnisse. Und das macht Angst – nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch bei denen, die plötzlich in einen Vergleich treten, den sie verlieren könnten.
Was jetzt passieren muss
Jeppesen hat sein Gehalt geteilt, nicht weil er sich profilieren wollte, sondern um anderen zu helfen. Das ist bemerkenswert – und gleichzeitig ein Armutszeugnis für ein System, in dem solche Aktionen Ausnahme und nicht Regel sind.
Will Europa wirklich eine gerechtere Arbeitswelt schaffen, reicht es nicht, Richtlinien zu erlassen. Es braucht einen Kulturwandel. Einen, der nicht von oben verordnet, sondern von unten erzwungen wird – durch Mut, durch Offenheit, durch die Bereitschaft, auch unangenehme Wahrheiten zuzulassen.
Vielleicht ist David Jeppesen nicht der Anfang eines Erdrutsches. Aber er ist ein Riss im Fundament. Und manchmal reicht ein kleiner Riss, um das ganze Gebäude zum Einsturz zu bringen. Solange über Geld nicht gesprochen wird, bleibt Macht ungleich verteilt. Der Weg zur Lohntransparenz ist kein administrativer, sondern ein kultureller Kampf. Und jeder, der sein Gehalt offenlegt, kämpft an vorderster Front.