Wirtschaft

Deutschland am Wendepunkt: Wirtschaftsmodell zerbricht, Polen rückt vor

Deutschlands Wirtschaftsmaschinerie galt jahrzehntelang als unaufhaltsam. Doch wie Dr. Krzysztof Mazur im Gespräch mit Polityka Bezpieczeństwa eindringlich analysiert, hat der Motor längst zu stottern begonnen. In Anlehnung an Wolfgang Münchaus Buch „Kaputt“ spricht Mazur über eine tiefgreifende Strukturkrise – nicht nur eine Delle, sondern ein Paradigmenwechsel.
25.04.2025 12:32
Lesezeit: 2 min
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Ein Wirtschaftswunder in der Rückspiegel-Perspektive

Die deutsche Industrieproduktion stagniert nicht erst seit gestern. Seit der globalen Finanzkrise 2008 ist keine nachhaltige Aufwärtsdynamik mehr zu erkennen. Seit 2017 sinkt die Produktion sogar – auf ein Niveau, das dem Stand vor 20 Jahren entspricht. Mazur bringt es auf den Punkt: Wer jenseits der Oder noch nach einem Vorbild sucht, wird enttäuscht.

Ein Modell verliert seine Kraft

Das Fundament der deutschen Stärke – der Neomerkantilismus – ist ins Wanken geraten. Die Allianz aus Staat, Industrie und Finanzwelt, einst Motor für den Exportweltmeister, wird heute mehr als Bremsklotz denn als Wachstumstreiber wahrgenommen. Hinzu kommt: Die politische Unterstützung aus den USA bröckelt. Washington – ob unter Biden oder Trump – duldet keine massiven Handelsüberschüsse mehr.

Digital blind, analog bürokratisch

Erschreckend ist vor allem die technologische Rückständigkeit: Deutschland, einst Leuchtturm der industriellen Revolution, hat den Anschluss an die digitale Welt verloren. SAP und Infineon sind die letzten digitalen Mohikaner unter den globalen Technologie-Giganten. Während im Silicon Valley Milliarden in KI, Chips und Quantenforschung fließen, steckt man in Berlin noch im Faxzeitalter. Mazur beschreibt es treffend: Ein Grafiker in Brandenburg muss seine Datei auf dem Pferd zur Druckerei bringen – das Netz ist zu schwach.

Ein neues „Kaputt“ – diesmal selbstverschuldet

Der dramatische Unterschied zur Nachkriegszeit: Damals war Deutschland physisch zerstört – heute ist es geistig blockiert. Die Wissenschaftsflucht nach 1933, die riskante Ordnungsliebe, das Scheitern am „Neuen Markt“ – alles Symptome einer Kultur, die Innovation nur zögerlich zulässt. Stabilität hat sich in Stillstand verwandelt.

Polen als Profiteur?

Mazur sieht für Polen eine historische Chance. Die wirtschaftlichen Verflechtungen mit Deutschland – insbesondere in der Automobilindustrie – sind eng. Doch die strukturelle Schwäche des Nachbarn könnte für Warschau zur Gelegenheit werden. Während Berlin zaudert, investiert Polen – in Atomkraft, Luftfahrt, Digitalisierung. Die junge Generation will nicht mehr zusehen, sondern handeln.

Energie, Russland, Klimafalle: Deutschland unter Druck

Auch geopolitisch wird der Druck größer. Das Ende des billigen Gases aus Russland hat eine zentrale Säule der deutschen Industrie weggerissen. Und während Berlin weiter auf eine von Emotionen getriebene Klimapolitik setzt, fordern steigende Strompreise und zunehmende Deindustrialisierung ihren Tribut. Der Atomausstieg – einst als moralischer Fortschritt gefeiert – wird heute mehr und mehr als strategischer Fehler entlarvt.

Schuldenbremse gefallen – letzter Akt oder Neubeginn?

Der jüngste Bruch mit der Schuldenbremse – eine fiskalische Revolution in Deutschland – wird von Mazur als möglicher Wendepunkt gesehen. Doch: Die Früchte dieser Entscheidung werden frühestens in drei bis vier Jahren reifen. Bis dahin könnte die politische Landschaft bereits völlig neu gezeichnet sein. Die AfD ist im Aufwind – die etablierten Parteien verlieren weiter an Bindungskraft.

Fazit: Ein Modell zerfällt – und Europa ordnet sich neu

Deutschland steht an einem historischen Wendepunkt. Die industrielle Dominanz bröckelt, die technologische Relevanz sinkt, und die politische Vision fehlt. Was bleibt, ist ein offenes Spielfeld – auch für Länder wie Polen, die bereit sind, das entstandene Vakuum zu füllen.

Ein kaputtes Modell ist nicht das Ende – aber es markiert den Anfang einer neuen Ordnung.

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