Politik

Gefängnis, Gericht, Geschichte – Stammheim 50 Jahre nach dem RAF-Prozess

Vor 50 Jahren begann in Stammheim der RAF-Prozess – ein juristisches Mammutverfahren gegen den Terror. Wie viel Rechtsstaat blieb im Ausnahmezustand? Und was bleibt von Stammheim?
18.05.2025 08:47
Lesezeit: 3 min
Gefängnis, Gericht, Geschichte – Stammheim 50 Jahre nach dem RAF-Prozess
Ein Justizbeamter steht im Gerichtssaal in Stuttgart-Stammheim - vor 50 Jahren fand hier der RAF-Prozess statt (Foto: dpa). Foto: Bernd Weißbrod

50 Jahre RAF-Prozess: Dunkles Kapitel der bundesrepublikanischen Geschichte

Seit fünf Jahrzehnten ist Stammheim mehr als nur ein Stadtteil Stuttgarts. Der Ort ist untrennbar mit dem RAF-Terror verbunden. Am 21. Mai 1975 begann dort der erste bedeutende RAF-Prozess gegen die Terroristen. Stammheim bleibt im kollektiven Gedächtnis. Es steht für ein schweres Kapitel der deutschen Geschichte – für den sogenannten "Deutschen Herbst" 1977 und eine Gesellschaft im Ausnahmezustand. Zugleich erinnert der Name an den RAF-Prozess gegen die erste Generation der linksterroristischen "Roten Armee Fraktion" (RAF), der als "Baader-Meinhof-Prozess" in die Justizgeschichte einging. Nur ein halbes Jahr nach Urteilsverkündung waren vier Angeklagte tot.

Auch nach 50 Jahren ist der RAF-Prozess sichtbar im Stadtbild geblieben. Neben dem massiven Gefängnis, in dessen siebtem Stock einst die RAF-Terroristen einsaßen, steht noch die ruinierte Mehrzweckhalle. Komplett entkernt, wartet sie auf den Abriss im Herbst. Dieser historische Schauplatz des RAF-Terrors wird dann endgültig verschwinden.

Gerichtsstart in einer militärischen Sicherheitszone

Am 21. Mai 1975 beginnt der RAF-Prozess in einem eigens dafür errichteten Gerichtsgebäude neben dem Hochsicherheitstrakt in Stammheim. Die Szenerie wird in einem Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung drastisch beschrieben: "400 bewaffnete Polizisten in und auf dem Gebäude und drumherum, ein Stahlnetz über dem Hof gegen Befreiung mit Hubschraubern, Überwachungskameras, Außenscheinwerfer, Spanische Reiter vor dem Gebäude."

Vor dem Oberlandesgericht verantworten sich Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe – die erste Generation der RAF. Ihnen werden unter anderem zwei Bombenanschläge 1972 auf das US-Hauptquartier in Heidelberg sowie ein US-Offizierskasino in Frankfurt mit mehreren toten Soldaten vorgeworfen.

Ein Prozess von nie dagewesener Dimension

Rund 20 Millionen Mark kostet der RAF-Prozess – allein die Hälfte davon fließt in den Bau des Gerichtssaals. Aus Sicherheitsgründen will man die Terroristen nicht täglich durch Stuttgart transportieren. Auch sonst sprengt der Prozess alle Maßstäbe: rund 40.000 Beweismittel, knapp 1.000 Zeugen, etwa 14.000 Seiten Protokoll.

Die 192 Verhandlungstage von Stammheim nennt der Rechtshistoriker Uwe Wesel ein "Monstrum in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik". Die RAF-Terroristen provozieren – und die Richter reagieren. Baader, Ensslin und Raspe verteidigen ihr Handeln als Widerstand gegen ein "imperialistisches System", das auch für Kriegsverbrechen wie in Vietnam verantwortlich sei. Der Senat wird mit Anträgen überflutet, es kommt zu lautstarken Auseinandersetzungen. Beleidigungen durch Angeklagte und deren Anwälte sind häufig.

Dokudrama blickt zurück auf den RAF-Prozess

"Der Staat, getrieben von einem hysterischen Sicherheitsbedürfnis, hat den Fehler gemacht, der RAF quasi ein Theater zu bauen und sie haben es als Bühne benutzt", so der Regisseur Niki Stein. Zum Jubiläum des RAF-Prozesses zeigt Das Erste am 19. Mai um 20.15 Uhr das Dokudrama "Stammheim – Zeit des Terrors". Der RAF-Prozess zeigt das Dilemma eines Staates, der einerseits rechtsstaatliche Prinzipien wahren will, andererseits mit politischen Straftätern konfrontiert ist. Die Justiz steht vor der Aufgabe, zwischen Strafverfahren und ideologischer Bühne zu unterscheiden.

Erst nach langem Streit über die Verhandlungsfähigkeit der RAF-Angeklagten beginnt drei Monate nach Start die Anklageverlesung. Auch danach bleibt der RAF-Prozess eine Gratwanderung. Schon früh werden Stimmen laut, das Verfahren verletze rechtsstaatliche Standards.

Ein juristischer Dauerkonflikt in Stammheim

Die RAF-Häftlinge verweigern die Teilnahme, werden in den Saal gezwungen. Ärzte schlagen Alarm: Die Bedingungen im siebten Stock seien gesundheitsgefährdend. Später kommt heraus: Auch Gespräche mit den Verteidigern wurden abgehört. Otto Schily, Ensslin-Verteidiger und späterer SPD-Innenminister, spricht von systematischem Rechtsbruch.

Ist Stammheim also Sinnbild für Isolation – oder Beleg für rechtsstaatliche Disziplin? Klar ist: Der RAF-Prozess war mehr als ein juristisches Ereignis. Die Gesellschaft wurde gezwungen, Haltung zu beziehen. Begleitet wurde der RAF-Prozess von tragischen Ereignissen. Ulrike Meinhof erhängt sich in ihrer Zelle. Holger Meins stirbt schon vor Prozessbeginn infolge eines Hungerstreiks.

RAF-Terror vor Gericht – damals wie heute

Zwei Jahre dauert das zermürbende Ringen im Gerichtssaal. Wenige Monate nach dem Urteil sterben Baader, Ensslin und Raspe durch Suizid. Der letzte Versuch der RAF, sie mit der Entführung von Hanns Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine "Landshut" freizupressen, scheitert an der Haltung der Bundesregierung.

RAF-Prozesse gibt es weiterhin. Aktuell steht die mutmaßliche RAF-Terroristin Daniela Klette vor dem Oberlandesgericht Celle. Ihr werden versuchter Mord, illegaler Waffenbesitz sowie versuchter und vollendeter schwerer Raub vorgeworfen. Dieser Prozess ist kein Alltag – aber auch kein Vergleich zum RAF-Prozess von 1975 in Stammheim.

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