Doppelte Verluste für Europas Investitionsmagneten
Laut dem aktuellen „EY Europe Attractiveness Survey“ kündigten Unternehmen im Jahr 2024 weltweit insgesamt 5.383 neue Expansionsprojekte in 45 europäischen Ländern an – ein Rückgang gegenüber den 5.694 Projekten des Vorjahres. Ursachen dafür sind vor allem das schwache Wirtschaftswachstum, anhaltend hohe Energiepreise und ein geopolitisch aufgeheiztes Klima. Damit gingen die ausländischen Direktinvestitionen (FDI) in Europa bereits zum zweiten Mal seit 2020 zurück.
Frankreich, das Vereinigte Königreich und Deutschland bleiben zwar die wichtigsten Empfängerländer von FDI-Projekten – zusammen entfielen auf sie rund 50 Prozent aller Vorhaben. Doch in allen drei Staaten wurden zweistellige Rückgänge verzeichnet: Frankreich verlor 14 Prozent, Großbritannien 13 Prozent und Deutschland sogar 17 Prozent. Der zunehmende Unsicherheitsdruck bringt viele Investoren dazu, Projekte zu verschieben oder ganz aufzugeben.
Rund 42 Prozent der von EY befragten 500 internationalen Führungskräfte gaben an, dass die Politik der USA die Attraktivität Europas schwäche. Nur 27 Prozent erwarteten einen positiven Effekt. Dennoch zeigen sich erste Anzeichen für ein mögliches Comeback Europas – insbesondere in Zukunftsbranchen wie erneuerbare Energien, Halbleiter, Pharma, Künstliche Intelligenz und Elektromobilität.
Spanien überstrahlt den Kontinent
Während die Eurozone 2024 nur um magere 0,7 Prozent wuchs – weit hinter den USA (2,8 %) und China (5 %) –, punktete Spanien mit einem Plus von 15 Prozent bei angekündigten Investitionsprojekten. Das Land rangiert nun auf Platz vier in Europa. Niedrige Energie- und Arbeitskosten, ein großes Angebot an Industrieflächen sowie solide Konjunkturdaten machen Spanien zur Investoren-Hoffnung. Hinzu kommt der zweitgrößte Mittelzufluss aus dem EU-Wiederaufbauprogramm „NextGenerationEU“ in Höhe von 163 Milliarden Euro.
Carlos Cuerpo, Wirtschaftsminister der sozialistisch geführten Regierung, erklärte gegenüber der BBC, das spanische Wachstumsmodell sei ausgewogen und damit nachhaltig. Spanien habe im Vorjahr 40 Prozent des gesamten Wachstums der Eurozone getragen. Neben dem Tourismussektor nennt er Finanzdienstleistungen, Technologie und gezielte Investitionen als zentrale Erholungsfaktoren nach dem pandemiebedingten BIP-Einbruch von elf Prozent.
Mit Milliardeninvestitionen in die Bahn-Infrastruktur, emissionsarme Städte, E-Mobilität und kleine Unternehmen stützt Madrid aktiv die Wirtschaft. Laut Ökonomin Maria Jesus Valdemoros von der IESE Business School stammte rund die Hälfte des Wachstums seit der Pandemie direkt aus öffentlichen Ausgaben.
Auch bei der Energiepolitik ging Spanien eigene Wege: Gemeinsam mit Portugal handelte das Land die sogenannte „Iberische Ausnahme“ mit Brüssel aus, um Gaspreise für Stromproduktion zu deckeln – eine Entlastung für Verbraucher.
Trump-Effekt: FDI-Ströme verlagern sich
Gleichzeitig könnte auch Spaniens Erfolg von Donald Trumps Handelspolitik bedroht werden. Die Aussicht auf neue US-Zölle sowie eine protektionistische Grundhaltung in Washington verschärfen die langfristigen Sorgen um Europas Wettbewerbsfähigkeit.
Seit Trumps Rückkehr ins Weiße Haus im Januar 2025 hat sich das Investitionsklima in den USA deutlich verändert. Laut fdiintelligence.com wurden 527 neue ausländische Projekte angekündigt – ein Plus von 30,8 Prozent gegenüber dem entsprechenden Zeitraum unter Präsident Biden. Die zugesagten Investitionen summieren sich bereits auf 177 Milliarden Dollar – ein Anstieg um über 380 Prozent.
Besonders stark profitierten dabei der Halbleitersektor, Telekommunikation sowie die industrielle Ausrüstung. Umgekehrt investierten US-Unternehmen im Ausland bevorzugt in Kommunikations-, Halbleiter- und IT-Dienstleistungen. Interessant: Die USA nähern sich mittlerweile einem Gleichgewicht zwischen ein- und abfließendem Kapital (FDI-Ratio: 44 %) – der höchste Wert seit über 20 Jahren.
China hingegen geht den entgegengesetzten Weg: Das Land exportiert deutlich mehr Kapital, als es selbst aufnimmt. Seit Trumps Amtsantritt liegt Chinas FDI-Ratio bei lediglich 31,3 Prozent.
Schwächen der USA: Europas zweite Chance?
Trotz ihrer Investitionsdynamik offenbaren die USA unter Trump strategische Schwächen – vor allem im Wissenschafts- und Technologiesektor. Angesichts des politischen Drucks auf Forschungseinrichtungen sehen sich viele internationale Talente nach Alternativen um.
Die EU plant, bis 2027 zusätzliche 500 Millionen Euro in den Forschungsstandort Europa zu investieren. Eine überschaubare Summe im Vergleich zum US-Budget – aber möglicherweise ein Anfang. Denn laut einer Nature-Umfrage erwägt ein Großteil der US-Doktoranden und -Postdocs aufgrund der politischen Lage einen Abgang.
Patrick Lemaire, Präsident des französischen Akademikerrats College de Sociétés Savantes, sieht in Europas Sozial- und Gesundheitssystemen einen entscheidenden Vorteil. Auch wenn Gehälter niedriger seien, bleibe Europa für Wissenschaftler attraktiv – zumal die USA derzeit einen Kurs der Verunsicherung fahren.
Energie: Europas Stabilität als Standortvorteil
Ein weiteres Problemfeld für die USA ist der Energiesektor. Trump hat angekündigt, Öl- und Gasförderung massiv zu stärken – auf Kosten von Klimaschutz und grüner Transformation. Während Analysten davon ausgehen, dass der Wandel zu sauberer Energie langfristig fortschreitet, bremsen regulatorische Unsicherheit und politische Rückschritte den Fortschritt.
Hinzu kommt die Abhängigkeit von asiatischen Solarmodulen. 2023 importierten die USA laut „Jefferies“ rund 55 Gigawatt – doch Verzögerungen und Kostensteigerungen werden wahrscheinlicher, wie das Wall Street Journal berichtet.
Europa bietet hier ein stabileres Umfeld. Der „Green Deal“ bleibt – im Gegensatz zur US-Politik – weitgehend konsistent. Für internationale Investoren auf der Suche nach verlässlichen Rahmenbedingungen könnte das zum entscheidenden Argument werden.