Europa kontert Trumps Handelskrieg mit Stabilität und Strategie
Auch wenn das Wirtschaftswachstum in Europa nicht mit dem Tempo Chinas oder der USA mithalten kann, steht die EU im globalen Vergleich vor deutlich geringeren wirtschaftlichen Unsicherheiten als andere große Volkswirtschaften der Welt. Das berichtet das Nachrichtenportal Borsen.
Trotz vieler struktureller Probleme in der europäischen Wirtschaft mehren sich die Stimmen, die der Gemeinschaftswährung Euro eine zunehmend realistische Chance zuschreiben, zumindest teilweise in die Rolle des US-Dollars als dominierende Weltleitwährung und „sicherer Hafen“ hineinzuwachsen.
Für viele globale Investoren, die ihr Kapital irgendwo platzieren müssen, zählt letztlich die relative Lage. Ausdruck dieses Trends war jüngst, dass Moody’s innerhalb weniger Wochen die Bonität der USA von Aaa herab- und gleichzeitig Italiens Kreditwürdigkeit heraufstufte.
Die EU: Stabilitätsanker in unsicheren Zeiten
Heute gilt die EU als langfristig stabilste große Volkswirtschaft der Welt. Zwar steigt der Anteil älterer Menschen in fast allen Mitgliedsstaaten weiter an, was zu einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung und einer sinkenden potenziellen Wachstumsrate führt. Prognosen der EZB sowie diverser makroökonomischer Modelle gehen derzeit von einem langfristigen Wachstumspotenzial von lediglich 1,3 Prozent pro Jahr für die Eurozone aus.
Das liegt deutlich unter den rund 2 Prozent, die das Congressional Budget Office (CBO) für die USA erwartet – und noch weiter unter den Wachstumsraten, die China regelmäßig veröffentlicht. Entsprechend schwer fällt es Europa, wirtschaftlichen Optimismus aus den Zukunftsaussichten zu schöpfen.
Andererseits liegt die Beschäftigungsquote in der EU mit 75,9 Prozent auf einem historischen Höchststand, während die Arbeitslosenquote mit 5,8 Prozent historisch niedrig ist. Laut dem aktuellen Ageing Report der EU-Kommission aus dem Jahr 2024 wird der gesamte demografisch bedingte Anstieg öffentlicher Ausgaben (für Renten, Gesundheit, Bildung und Pflege) bis 2070 lediglich 1,2 Prozent des BIP betragen.
Zum Vergleich: Das CBO rechnet für die USA mit einem Anstieg der Bundesausgaben für Renten- und Gesundheitsprogramme um 4–5 Prozent des BIP bis 2055. Der IWF erwartet für China sogar einen Anstieg der Pensionsausgaben um 9 Prozent des BIP bis 2052.
Europa steht vor Reformstabilität – nicht vor Reformzwang
Ja, Europas Wirtschaft dürfte künftig langsamer wachsen. Doch im Unterschied zu anderen Großmächten steht die EU nicht vor dramatischen und unpopulären Sozialreformen. Die strukturelle Unsicherheit über die wirtschaftliche Zukunft ist in Europa derzeit geringer als anderswo.
Makroökonomische Antwort auf Trumps Zollpolitik liegt bereit
Zwar dürfte auch die europäische Wirtschaft in den kommenden Monaten die volle Wucht der von Donald Trump angekündigten Zölle zu spüren bekommen. Eine Wachstumsrate von mehr als 0,5 Prozent des BIP für das Jahr 2025 scheint daher unwahrscheinlich.
Doch die jüngsten Inflationsdaten lassen der Europäischen Zentralbank weiterhin Spielraum für Zinssenkungen – auf womöglich 1,25 bis 1,50 Prozent im Laufe des Jahres – ohne das Inflationsziel von zwei Prozent zu gefährden.
Deutschland bringt fiskalpolitischen Befreiungsschlag
Hinzu kommt: Die Bundesregierung hat soeben das größte fiskalpolitische Stimulusprogramm seit der Wiedervereinigung angekündigt. Über die nächsten zwölf Jahre sollen 20 bis 25 Prozent des deutschen BIP in Infrastruktur- und Verteidigungsausgaben fließen – ein Konjunkturimpuls für die schwächelnde Binnenwirtschaft.
Im Unterschied zu den 1990er Jahren, als die Bundesbank in Reaktion auf staatliche Ausgaben die Zinsen anhob, wird diesmal keine geldpolitische Straffung folgen. Die Investitionsoffensive dürfte daher langfristige Wachstumsimpulse setzen – für Deutschland wie für die gesamte EU.
Europa hat somit das klassische makroökonomische Rezept für Trumps Wirtschaftskonfrontation längst bereitgelegt: expansivere Geldpolitik gepaart mit fiskalischer Lockerung.
Handelskrieg trifft die USA womöglich härter als Europa
Protektionisten behaupten oft, dass Länder mit Handelsdefizit einen Handelskrieg gar nicht verlieren könnten – ein Trugschluss, wie sich zeigt.
Denn in der aktuellen geopolitischen Lage ist es nicht nur die EU, gegen die Washington wirtschaftlich mobilmacht, sondern weite Teile der Weltwirtschaft. In dieser globalen Konfrontation ist die USA nicht der dominierende Akteur, sondern makroökonomisch eher die kleinere Einheit.
Zudem steht Washington vor deutlich größeren fiskalischen Herausforderungen als die EU: Trotz Vollbeschäftigung verzeichnet der US-Bundeshaushalt ein Defizit von 6 bis 7 Prozent – mit steigender Inflationsgefahr durch neue Zölle und daher geringem Spielraum für Zinssenkungen durch die Fed.
Noch brisanter: Die Zerstörung multilateraler Wirtschaftsstrukturen durch Donald Trump, die politische Erosion der amerikanischen Rechtsstaatlichkeit und eine US-Kongressmehrheit, die unbeirrt weitere Defizite produziert, lassen viele Investoren zunehmend Abstand von US-Anlagen nehmen.
Die Folge: Langfristige US-Zinsen steigen kontinuierlich weiter.
Wenn Trump Ernst macht, schadet er Amerika mehr als Europa
Sollte Donald Trump seine Drohung wahr machen und ab dem 9. Juli Zölle von 50 Prozent auf sämtliche EU-Waren einführen – und Brüssel entsprechend reagieren –, käme es mitten in der sensibelsten Phase der Haushaltsverhandlungen zwischen US-Senat und Repräsentantenhaus zu einem transatlantischen Handelskrieg.
Die Reaktion der Finanzmärkte dürfte dabei für die USA härter ausfallen als für die EU – ein Szenario, das dem Handelskonflikt zwischen Washington und Peking im April ähnelt.
In einem solchen eskalierenden Wirtschaftskrieg wäre es wohl Donald Trump selbst, der als Erster zurückrudern müsste.