Wirtschaft

Brüsseler Kompromiss: EU führt Handelsquoten für Ukraine wieder ein – Litauen hofft auf Preisstabilisierung

Handelsstreit mit Folgen: Die EU führt wieder Quoten für ukrainische Agrarimporte ein. Litauen atmet auf, Kiew warnt vor milliardenschweren Verlusten.
13.06.2025 14:33
Lesezeit: 3 min
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Brüsseler Kompromiss: EU führt Handelsquoten für Ukraine wieder ein – Litauen hofft auf Preisstabilisierung
Ein Bauer streicht über frisch geerntetes Getreide auf einem Lastwagen: Die Rückkehr der EU-Zollquoten könnte Agrarmärkte in Osteuropa spürbar verändern. (Foto:dpa) Foto: ---

Handelsquoten für ukrainische Agrarimporte: Regierung in Kiew rechnet mit Verlusten

Nach milliardenschweren Getreideimporten aus der Ukraine steuert die EU auf eine neue Phase protektionistischer Agrarpolitik zu. Litauen rechnet mit Entlastung für heimische Produzenten – doch Kiew warnt vor drastischen Exportverlusten. Im Jahr 2024 importierte die Europäische Union landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wert von rund 24,5 Milliarden Euro aus der Ukraine – allein Getreide im Umfang von 4,4 Milliarden Euro. Doch dieser markante zollfreie Zugang zum Binnenmarkt läuft mit dem 30. Juni 2025 weitgehend aus. Die Europäische Kommission hat am 6. Juni eine Übergangsregelung aktiviert, welche neue Zollkontingente für über 30 Produktkategorien vorsieht, darunter zentrale Exportgüter der Ukraine wie Getreide, Mais, Raps, Eier und Geflügel.

Während Brüssel den Schritt als Balanceakt zwischen wirtschaftlicher Solidarität und dem Schutz europäischer Bauern verkauft, zeichnet sich in Kiew ein anderes Bild ab: Die Regierung rechnet mit Verlusten von bis zu 3,5 Milliarden US-Dollar noch in diesem Jahr – bei einer Wirtschaft, deren 60 Prozent der Deviseneinnahmen aus dem Agrarsektor stammen.

Ukraine unter Druck – Brüssel sucht Kompromiss

Die ukrainische Regierung hofft auf ein neues umfassendes Handelsabkommen bereits bis August 2025. Bis dahin gelten wieder streng limitierte Zollkontingente, wie sie bereits vor dem russischen Angriffskrieg üblich waren. In einigen Fällen – etwa bei Zucker oder Geflügel – sind die neuen Quoten sogar restriktiver als vor 2022.

Svajūnas Banelis, Getreidehandelschef beim litauischen Agrokonzern Linas Agro, relativiert die Auswirkungen: „Unsere Exporte richten sich überwiegend an Drittstaaten. Für das EU-Geschäft erwarten wir daher keine gravierenden Veränderungen.“ Allerdings könnten sich Rohstoffpreise für Futtermittel verschieben – mit moderatem Effekt, da die Versorgungslage in der EU als stabil gilt.

Litauen: Sorge um Preisverfall – Hoffnung auf Besserung

Auch in Litauen, das als Transit- und Verarbeitungsstandort für ukrainisches Getreide eine wichtige Rolle spielt, wurde die zollfreie Einfuhr seit 2022 kontrovers diskutiert. Audrius Vanagas, Vorsitzender des litauischen Getreidebauernverbands, verweist auf eine Zunahme von Importen bei Weizen, Raps und Mais sowie auf Verkehrsengpässe durch ukrainische Transportfahrzeuge. Trotz dieser Entwicklung sieht er keine dramatischen Marktverzerrungen.

Dennoch sei der regionale Preisdruck, etwa im Süden Litauens, spürbar. Mit dem Ende der zollfreien Periode erwartet Vanagas eine Wettbewerbsentlastung für heimische Produzenten: „Wenn extreme Wetterlagen und historisch niedrige Getreidepreise zusammentreffen, kann jede Entlastung neue Perspektiven schaffen.“

Hühner, Eier, Mais: Wettbewerbsbedingungen auseinanderdriftend

Die neuen Quoten treffen insbesondere tierische Produkte. Für Geflügel sinkt das zollfreie Importvolumen von 137.000 Tonnen (2024) auf 109.000 Tonnen (2025). Die Geflügelfarm Vilniaus Paukštynas sieht darin jedoch keinen Wettbewerbsvorteil: „Unser Geschäftsmodell setzt auf Qualität, transparente Produktionsketten und einen anspruchsvollen Kundenkreis“, betont Geschäftsführer Tadas Sprindžiūnas. Die Produktionsstandards der Ukraine unterschieden sich weiterhin erheblich von den strengen EU-Regeln – etwa bei Tierschutz, Antibiotikaeinsatz und Hygiene.

Beim Eierimport ist die Datenlage unklar. Dmitrij Bushnev, Chef der litauischen Firma Lit Egg, spricht von einer „Black Box“: Wie viele Eier importiert und in der Verarbeitung verwendet wurden, lasse sich kaum beziffern. Auswirkungen auf den Binnenpreis seien daher schwer prognostizierbar.

Zwischen Schutz und Solidarität

Politisch betrachtet steht die EU unter wachsendem Druck aus Osteuropa: In Polen, der Slowakei und Ungarn formieren sich Proteste gegen ukrainische Agrarimporte. Teilweise werden bereits Grenzblockaden vorbereitet. Auch in westlichen Mitgliedstaaten wächst die Sorge, durch zollfreien Handel Bauernproteste weiter anzuheizen – in einem ohnehin prekären agrarpolitischen Klima. Gleichzeitig betont die ukrainische Abgeordnete Jewgenija Krawtschuk, dass das Scheitern eines neuen Handelsabkommens mit der EU das BIP der Ukraine um rund ein Prozent schrumpfen lassen könnte – mit schwerwiegenden Folgen für die Kriegsfinanzierung. „Unsere Steuerbasis bricht ein, wenn die EU den wirtschaftlichen Zugang wieder einschränkt.“

Krawtschuk verweist auf einen zentralen Widerspruch: Während Brüssel in den vergangenen Jahren mehr Geld für russische Energieträger ausgegeben habe als für Hilfe an Kiew, diskutiere man nun über Exportrestriktionen für ein von Russland angegriffenes Land. In den kommenden Tagen wird mehr Klarheit über den künftigen Handelsrahmen zwischen der EU und der Ukraine erwartet.

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