Nukleares Wettrüsten: Warnung von Sipri
Die globale Lage ist derzeit hochexplosiv. Mehrere Atommächte sind in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt – mit hohem Eskalationspotenzial, wie etwa der Konflikt zwischen Israel und dem Iran zeigt. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri schlägt angesichts der weltweiten Spannungen Alarm und warnt eindringlich vor einem neuen nuklearen Wettrüsten. Der aktuelle Jahresbericht des renommierten Instituts dokumentiert eine fortlaufende Aufrüstung und technische Verbesserung der nuklearen Arsenale durch zahlreiche Staaten.
Nahezu alle Länder mit Atomwaffen hätten im Jahr 2024 weiter massiv in die Modernisierung ihrer Waffenarsenale investiert, heißt es in dem Bericht. Neben der Nachrüstung existierender Systeme seien auch neue Waffentypen hinzugekommen. Ein erneutes Wettrüsten sei in vollem Gange – besonders kritisch angesichts der zunehmenden Erosion internationaler Rüstungskontrollverträge.
Über 12.000 atomare Sprengköpfe weltweit
Laut Sipri beläuft sich der Gesamtbestand an Atomwaffen auf 12.241 Sprengköpfe. Rund 9.614 davon befinden sich in militärischen Lagern mit potenzieller Einsatzbereitschaft – 29 mehr als im Vorjahr. Etwa 3.912 dieser Sprengköpfe seien aktiv auf Trägersystemen stationiert, darunter rund 2.100 in unmittelbarer Gefechtsbereitschaft. Diese Daten spiegeln den Stand von Januar 2025 wider.
Weltweit gelten neun Staaten als Atommächte. Dazu zählen vor allem die USA und Russland, die weiterhin rund 90 Prozent aller Atomwaffen besitzen. Weitere Staaten mit Nuklearwaffen sind Großbritannien, Frankreich, China, Indien, Pakistan, Nordkorea sowie Israel – letzteres ohne offizielle Bestätigung. Deutschland besitzt keine eigenen Atomwaffen.
Konflikt zwischen Iran und Israel heizt Wettrüsten an
Neue Diskussionen über Atomwaffen in Europa, Ostasien und dem Nahen Osten deuten laut Sipri darauf hin, dass weitere Staaten den Erwerb von Kernwaffen anstreben könnten. Die nuklearen Ambitionen des Irans würden zunehmend durch die militärische Konfrontation mit Israel beeinflusst: Während innenpolitisch über Abschreckung diskutiert werde, signalisiere die iranische Regierung in Gesprächen mit den USA weiterhin Offenheit für eine Rückkehr zum Atomabkommen.
Israel hatte vor kurzem Luftangriffe auf iranische Städte und Nuklearanlagen geflogen und diese mit der Behauptung begründet, Teheran strebe "nach dem Bau einer Atombombe in nächster Zeit". Der Iran weist diese Anschuldigungen zurück.
Dreht sich der Trend – bald wieder mehr Atomwaffen?
Seit dem Kalten Krieg ist die weltweite Zahl an Atomwaffen deutlich gesunken – damals lag sie mehr als fünfmal höher als heute. Verantwortlich für den Rückgang waren vor allem die USA und Russland, die veraltete Sprengköpfe systematisch außer Dienst stellten. Gleichzeitig meldet das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri jedoch schon länger einen gegenteiligen Trend bei einsatzbereiten Waffen: Die Abrüstung verlangsamt sich, während neue Systeme rascher in Dienst gestellt werden. Das Wettrüsten könnte sich somit verstärken. Der weltweite Bestand könnte in naher Zukunft erstmals wieder wachsen.
„Die Ära der Reduktion nuklearer Arsenale, wie sie seit dem Ende des Kalten Krieges bestand, scheint sich dem Ende zuzuneigen“, sagt Hans Kristensen von Sipri. „Wir sehen ein klares Wettrüsten, gepaart mit aggressiver Rhetorik und dem Scheitern zentraler Abrüstungsverträge“, erklärt er.
Zunehmender Verfall von Abrüstungsverträgen
Mehrere bedeutende Verträge zur Begrenzung atomarer Waffen wurden in den letzten Jahren ausgesetzt. 2019 stiegen die USA unter Donald Trump aus dem INF-Vertrag aus, der landgestützte Kurz- und Mittelstreckenraketen regulierte. Kurz darauf kündigte Washington auch den Rückzug aus dem Vertrag Open Skies über militärische Beobachtungsflüge an, woraufhin Russland ebenfalls ausstieg.
2022 erklärte Russland – nach dem Angriff auf die Ukraine – den Austritt aus dem KSE-Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa. Auch den New-Start-Vertrag mit den USA setzte das Land aus. Ein Ersatzabkommen ist nicht in Sicht – der Vertrag läuft im Februar 2026 aus.
China treibt nukleares Wettrüsten voran
Abseits des bipolaren Machtzentrums USA-Russland wächst mit China eine dritte große Atommacht heran. Laut Sipri befindet sich das Land inmitten einer weitreichenden Modernisierung und Erweiterung seines Nuklearwaffenprogramms. Die chinesischen Arsenale umfassen etwa 600 Sprengköpfe – mehr als Frankreich (290) und Großbritannien (225) zusammen.
„Chinas Atomwaffenarsenal wächst schneller als das jedes anderen Landes: seit 2023 um rund 100 neue Sprengköpfe jährlich“, heißt es im Bericht. Ein weiterer Ausbau sei sehr wahrscheinlich.
Atommächte Indien und Pakistan in angespannter Ruhe
Auch zwischen Indien und Pakistan – zwei langjährigen Atommächten – war die Lage zuletzt angespannt. Nach neuen militärischen Provokationen gilt seit Mitte Mai eine Waffenruhe. Eine Eskalation zu einem nuklearen Konflikt sei laut Sipri-Experte Matt Korda durchaus möglich gewesen. „Dies ist ein ernstes Warnsignal für alle Staaten, die ihr Vertrauen in Atomwaffen setzen.“ Atomwaffen hätten erneut nicht zur Deeskalation beigetragen, stellt Korda fest. „Es ist wichtig, sich klarzumachen: Nukleare Abschreckung garantiert keine Sicherheit.“
Auch Greenpeace warnt eindringlich: „Die Verbindung von atomarer Aufrüstung mit dem Erstarken nationalistischer und populistischer Kräfte in den Atomwaffenstaaten ist beängstigend“, erklärt Abrüstungsexperte Alexander Lurz. Mit dem Kauf nuklearfähiger F-35-Kampfjets für die nukleare Teilhabe sei auch Deutschland Teil des globalen Wettrüstens geworden.