Starlink vs. Kuiper: Machtkampf um das Internet im All
Nach jahrelangen Vorbereitungen und mehreren Verzögerungen nimmt Amazons Ziel, schnelles Internet in entlegene Regionen der Erde zu bringen, nun Gestalt an. Das berichtet das Nachrichtenportal Verslo žinios.
An einem warmen Aprilabend hob eine „Atlas V“-Rakete des Unternehmens United Launch Alliance vom Cape Canaveral in Florida ab – an Bord die ersten Satelliten des „Project Kuiper“, Amazons neuer Breitband-Internetdienst. Innerhalb weniger Minuten erreichte die Rakete über 6.400 km/h und setzte 27 „Kuiper“-Satelliten in 450 km Höhe aus. Von dort steigen sie auf ihre endgültige Umlaufbahn in 630 km Höhe.
Doch dieser erfolgreiche Start markiert mehr als nur einen neuen Anbieter am Internetmarkt. Es ist der erste Schuss in einem neuen globalen Wettlauf um die Kontrolle über den digitalen Orbit. Im Zentrum stehen zwei Tech-Milliardäre: Amazon-Gründer Jeff Bezos und Elon Musk, dessen Unternehmen SpaceX mit „Starlink“ das größte Satellitennetz der Welt betreibt. Sie konkurrieren nicht nur miteinander, sondern auch mit China und der EU. Diese Rivalität könnte die künftige digitale Weltordnung prägen: Einige Länder würden westliche Systeme nutzen, andere unterliegen den streng kontrollierten Netzen Chinas. „Wir befinden uns in einem globalen Weltraumrennen mit erheblichen Auswirkungen auf wirtschaftliche Chancen, Internetverfügbarkeit und nationale Sicherheit“, erklärt Brendan Carr, Kommissar der US-Telekomaufsicht FCC.
Das neue Schlachtfeld heißt LEO
Im Fokus steht der erdnahe Orbit (Low Earth Orbit, LEO) bis 2.000 km Höhe – heute die gefragteste Zone für Unternehmen. Vor zehn Jahren kreisten dort rund 1.300 aktive Satelliten, überwiegend für Erdbeobachtung, Wissenschaft und Militär. Heute sind es durch die wiederverwendbaren „Falcon“-Raketen von SpaceX über 11.000. Experten erwarten bis 2035 rund 100.000 Satelliten in dieser Umlaufbahn – getrieben von der Nachfrage von Unternehmen, Regierungen und Militärs. Der Haupttreiber: der unersättliche Hunger nach Internet.
LEO-Systeme bieten niedrigere Latenzzeiten als geostationäre Satelliten in 36.000 km Höhe, die etwa TV-Signale übertragen. Die Nähe zur Erde ermöglicht schnellere Verbindungen – ein entscheidender Vorteil.
„Project Kuiper“ ist nur einer von vielen neuen Akteuren. Die acht größten Anbieter haben Genehmigungen für über 50.000 Satelliten – allein „Starlink“ für 12.000, so die Analysefirma Analysys Mason. Unter den Konkurrenten: Eutelsat mit „OneWeb“, dem zweitgrößten LEO-Netz mit 648 Satelliten, ausgerichtet auf den öffentlichen Sektor und Unternehmen. Telesat (Kanada) plant mit „Lightspeed“ rund 200 Satelliten, ebenfalls mit Fokus auf Geschäftskunden. Andere Anbieter wollen entlegene Regionen versorgen, wo Mobilfunkmasten nicht rentabel sind. China entwickelt mindestens zwei Systeme: „Guowang“ und „SpaceSail“ mit je rund 26.000 geplanten Satelliten.
Starlink ist unerreicht – noch
Alle diese Anbieter müssen sich an „Starlink“ messen lassen. Seit 2019 hat Musk über 8.400 Satelliten gestartet. „Starlink“ stellt 39 % aller Satelliten, die seit dem Sputnik 1957 ins All gebracht wurden – aktuell etwa 7.300 aktive Einheiten. „Das sind fast zwei Drittel aller aktiven Satelliten“, sagt Astrophysiker Jonathan McDowell.
Starlinks Erfolgsrezept: niedrige Startkosten durch „Falcon 9“, eine hocheffiziente Produktionslinie mit acht Satelliten pro Tag, sowie Innovationskultur und Milliardeninvestitionen durch Musk. Das System ist auf Verbraucherfreundlichkeit ausgelegt. Kompakte Flachantennen („Terminals“) richten sich automatisch aus und kosten nur noch wenige Hundert Dollar – dank wöchentlicher Raketenstarts konnte SpaceX die Preise massiv senken. „Starlink kann seinen Satellitenschwarm flexibel erweitern“, sagt Patricia Cooper (Constellation Advisory). „Sie besitzen sowohl die Fertigung als auch die Startinfrastruktur. Das ist ihre Superkraft.“
Die Folge: schnelles Internet mit niedriger Latenz für über 5 Mio. Nutzer in 125 Ländern. „Quilty“ prognostiziert für 2025 einen Umsatz von 12 Mrd. USD und 2 Mrd. USD freien Cashflow. Langfristig will Starlink auf über 40.000 Satelliten wachsen.
Kosten, Kontrolle, Konkurrenz
Die Konkurrenz kämpft mit gigantischen Investitionen: Amazon wird laut Quilty 16–20 Mrd. USD für „Kuiper“ benötigen. Eutelsat muss 2 Mrd. EUR für ein OneWeb-Upgrade aufbringen, Telesat erhielt 1,54 Mrd. USD Staatskredit. China hingegen hat Kapital: „SpaceSail“ wurde 2023 mit fast 1 Mrd. USD von Shanghai und der Akademie der Wissenschaften gefördert, „Guowang“ mit 1,4 Mrd. USD vom Staat gegründet. Zwar funktioniert noch kein chinesisches System vollständig, doch „SpaceSail“ hat 90 Satelliten im Orbit. Probleme mit den ersten Geräten sollen bis Jahresende überwunden sein. Der Flaschenhals: Raketenstarts. China braucht wiederverwendbare Trägerraketen, um kosteneffizient in den Orbit zu gelangen.
Geopolitik im Orbit
Musk wird zunehmend zum politischen Risikofaktor. Seine Nähe zu Trumps Regierung und die Verweigerung von „Starlink“-Zugang über der Krim irritieren Regierungen. „Unabhängiger Zugang zum All wird entscheidend“, sagt Llucas Palermas Serra (Analysys Mason).
Die EU plant mit „Iris²“ ein eigenes Multi-Orbit-System für 6–10 Mrd. EUR, betriebsbereit ab 2030 – fünf Jahre nach Kuiper, zehn Jahre nach Starlink. Auch Taiwan, Deutschland und Italien wollen eigene Systeme. Doch „Iris²“ leidet bereits unter Bürokratie, nationalem Konkurrenzdenken und technologischer Rückständigkeit. Kritiker zweifeln an seiner Wettbewerbsfähigkeit. Joanna Darlington (Eutelsat): „Europa erkennt, dass es eigene Lösungen braucht, um nicht abhängig von China oder den USA zu bleiben.“
Pekings Antwort auf Musk
Chinas Führung sieht „Starlink“ als sicherheitspolitische Bedrohung. Seit 2020 wird satellitengestütztes Internet zur strategischen Infrastruktur erklärt. Ein RAND-Bericht stellt fest: Die KP Chinas und das Militär sehen „Starlink“ als „Werkzeug militärischer Macht“. Zudem soll „SpaceSail“ den „Digitalen Seidenstraßen“-Ansatz ergänzen: Infrastrukturverträge mit Ländern wie Malaysia, kombiniert mit Technologietransfer und langfristiger Datenstrategie. „Peking spielt das lange Spiel“, sagt Blaine Curcio (Orbital Gateway). Afrika könnte ein Schlüsselmarkt werden – dort ist Starlink zu teuer. Larry Wortzel (American Foreign Policy Council): „Gewinn ist nicht das Ziel. Es geht um Abhängigkeit in Finanzierung, Standards und Hardware.“ FCC-Kommissar Carr warnt: „Wenn China Internet und Seidenstraße kombiniert, hat das geopolitische Sprengkraft.“
Die FCC lockert nun US-Regularien – höhere Energielimits für LEO-Satelliten sollen schnelleres Internet ermöglichen. Doch Tim Farrar (TMF) sieht auch Risiken: „Das spielt Starlink noch mehr in die Karten.“
Amazon – der stille Herausforderer
„Sie sind weit voraus“, sagt Telesat-Chef Goldberg über Starlink. „Aber es bleibt Platz für andere.“ Eutelsat-Investoren glauben an Nachfrage nach Ausweichsystemen – mit höheren Margen. Doch Starlink und Kuiper zielen ebenfalls auf Unternehmen und Behörden – mit günstigen Terminals. Kuiper will 2025 global verfügbar sein. Die Details des Geschäftsmodells sind unklar. Ein Ex-Manager: Ziel sei „bessere Qualität zu geringeren Preisen als SpaceX“. Amazon kann AWS-Cloud-Dienste integrieren – und hat etwas, das SpaceX fehlt: einen globalen Handelskanal. Rutha Pritchard-Kelly (ehemals OneWeb): „Bezos könnte Prime-Kunden Laptops liefern, die sich automatisch mit Kuiper verbinden – 200 Mio. Nutzer über Nacht.“
Doch Kuiper hinkt hinterher. Als börsennotiertes Unternehmen muss Amazon Rendite liefern – anders als die private SpaceX. Zudem gab es Verzögerungen. Zwar plant Amazon 80 Raketenstarts in 5 Jahren – aber nicht alle Träger sind erprobt. Das gesetzte Ziel der FCC, bis Juli 2026 die Hälfte der Kuiper-Satelliten im Orbit zu haben, wird wohl nicht zu halten sein. Fachleute rechnen mit 18 bis 24 Monaten bis zum vollwertigen Service. Ein Ex-SpaceX-Mitarbeiter: „Amazon versteht Konsumenten. Der Kundenservice ist ihre Stärke.“ Caleb Henry (Quilty): „Amazon hat Geld und Technologie. Wenn Kuiper skaliert, werden die Kosten sinken – und die Marktdurchdringung explodieren.“
Ein Preiskrieg sei absehbar, warnt Farrar: „Musk kümmert sich nicht um Rendite. Wenn Amazon, ein rationaler Player, auf Starlink trifft, drohen Bankrotte.“


