Wirtschaft

Ukraine: Wie der Krieg die Spielregeln der Kommunikation neu schreibt

Der Ukraine-Krieg macht PR zur Überlebensfrage: Firmen müssen Haltung zeigen, Helden inszenieren und russische Propaganda abwehren – sonst droht Reputations-Kollaps.
25.06.2025 16:03
Lesezeit: 4 min
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Ukraine: Wie der Krieg die Spielregeln der Kommunikation neu schreibt
Der Ukraine-Krieg verändert PR: Echtzeit, Druck, Propaganda. (Foto: dpa | Kay Nietfeld) Foto: Kay Nietfeld

Kommunikation im Ausnahmezustand: Echtzeit-Reaktion statt Marketingpläne

Der von Russland begonnene Krieg gegen die Ukraine hat das Umfeld für Öffentlichkeitsarbeit radikal verändert. Auch der Alltag der Kommunikationsprofis im Land hat sich dadurch grundlegend gewandelt. Die größte Herausforderung für sie ist heute, mit immensem Druck und permanenter Unberechenbarkeit umzugehen. Das berichtet das Wirtschaftsportal Verslo žinios. Welche Unterschiede es für Kommunikatoren in Kriegs- und Friedenszeiten gibt, wie sich Budgets und Prioritäten verschoben haben, schilderte die ukrainische Kommunikationsexpertin Alina Tymoshyk auf der Veranstaltung „PR Impact Awards 2025“.

Ihr zufolge sind Kommunikationsstrategien in Friedenszeiten meist langfristig geplant und auf Geschäftsentwicklung ausgerichtet. Mit Beginn der großangelegten Invasion in der Ukraine habe sich das grundlegend geändert – die PR-Arbeit verlagerte sich vom langfristigen Ansatz hin zum Agieren in Echtzeit. „Im Krieg muss man ständig den Finger am Puls behalten, da sich Botschaften schnell an ein volatiles Umfeld anpassen müssen. Die Notwendigkeit, jederzeit wachsam zu sein, schnell zu reagieren und mehrere Aufgaben parallel zu erledigen – unter emotionalem Stress durch russische Raketen- und Drohnenangriffe sowie Schlafmangel – macht die Arbeit der Kommunikatoren extrem herausfordernd. Die psychische Gesundheit muss daher besonders beachtet werden“, erklärt Tymoshyk.

Auch inhaltlich habe sich die Kommunikationsbranche stark verändert. Laut dem jährlichen Bericht „State of PR“ des Monitoring-Dienstleisters „Looqme“ passten zu Kriegsbeginn 71 Prozent der ukrainischen Unternehmen ihre Kommunikationsstrategien an, 26 Prozent führten radikale Veränderungen durch. Die Remote-Arbeit nahm stark zu – viele PR-Spezialisten arbeiten inzwischen vom Ausland aus. Auch die Inhalte der Kommunikation blieben von den Veränderungen nicht verschont. Tymoshyk betont, dass der Fokus sich weg von Produktwerbung hin zu Empathie und gesellschaftlicher Verantwortung verschoben hat.

Von Influencern zu Kriegshelden

„Effektive PR-Kampagnen sind heute jene, die echte Unterstützung für die Ukraine zeigen, das Bewusstsein schärfen und zum nationalen Widerstand beitragen. Während früher Meinungsführer und Prominente das Bild prägten, sind es heute oft Kriegshelden und Freiwillige, die als Markenbotschafter nationale Werte und Zusammenhalt verkörpern“, so die Expertin. Zugleich sei die Bedeutung von Reputation enorm gestiegen. Jegliche Assoziation mit Russland gilt als toxisch. Eine klare Haltung zum Krieg sei daher unumgänglich. „Das ukrainische Publikum verlangt von Marken Authentizität, Konsequenz und sichtbares soziales Engagement. Eine schlecht geplante oder ethisch fragwürdige Kampagne kann dem Image massiv schaden. Umgekehrt genießen Marken, die aktiv zum Sieg der Ukraine beitragen, Vertrauen, Loyalität und positive Sichtbarkeit“, sagt Tymoshyk.

Auch im Krieg müsse Kommunikationserfolg gemessen werden – allerdings nicht nur mit klassischen Marketingmetriken. „Die Kommunikationsrendite wird zur Frage von Vertrauen und Reputation – beides ist heute entscheidend für Markentreue und Kaufverhalten. Für viele ukrainische Unternehmen ist Reputation zum Kern der Verkaufsstrategie geworden, da Konsumenten zunehmend vertrauenswürdige und sozial verantwortliche Marken wählen. Die Bewertung dieses Vertrauens umfasst das Monitoring positiven Engagements in sozialen Medien, das Volumen und die Tonalität von Medienberichten sowie Kundenfeedback“, erklärt Tymoshyk. Ukrainische PR-Profis setzen dabei laut Tymoshyk immer häufiger auf kontinuierliche Messungen, um in der dynamischen Realität jederzeit belastbare Echtzeiteinschätzungen zu erhalten.

So verändern sich die Budgets

Auch die Finanzierungsstruktur für Kommunikation hat sich seit Kriegsbeginn drastisch verschoben. Laut „State of PR“ verzeichneten 2022 – während der wohl heftigsten Phase der russischen Invasion – 44 Prozent der ukrainischen Unternehmen deutliche Kürzungen ihrer PR-Budgets, 4 Prozent strichen sie komplett. Nur 16 Prozent konnten ihre Ausgaben erhöhen. Tymoshyk verweist auf den deutlichen Kontrast zu 2021, als noch 40 Prozent der Firmen ihre PR-Budgets steigerten und nur 12 Prozent diese kürzten. Die Zahlen für 2023 zeigen laut Tymoshyk eine erste Erholung im Kommunikationssektor: Nur noch 20 Prozent der Unternehmen meldeten sinkende Ausgaben, 30 Prozent steigerten ihre Budgets – ein klares Signal für erneute Investitionen in PR. Der Aufwärtstrend setzte sich 2024 fort: 33 Prozent der Unternehmen erhöhten ihre Kommunikationsbudgets, 26 Prozent hielten das Niveau von 2023. „Zwei Jahre stabile Zahlen deuten auf eine Phase relativer finanzieller Stabilität im Segment hin. Die Unternehmen haben sich an die neue Kriegsrealität angepasst“, fasst Tymoshyk zusammen.

Medienkompetenz wird zum Verteidigungsinstrument

Ein weiteres zentrales Element für Kommunikation im Krieg sei laut Tymoshyk die Stärkung der Medienkompetenz. „Sie ist ein essenzieller Verteidigungsmechanismus, um Manipulationen zu erkennen, die Glaubwürdigkeit von Quellen einzuschätzen und Fakten von Fälschungen zu unterscheiden. Reines Faktenchecken reicht nicht mehr aus. Je raffinierter die Propaganda wird, desto wichtiger wird die Widerstandskraft der Zielgruppen“, so Tymoshyk. Die Ukraine setzt hierzu konkrete Maßnahmen um: Medienkompetenztrainings in Schulen, Aufklärung über Faktenchecks und digitale Sicherheit über die Regierungsplattform „Diia.Osvita“ sowie spezielle Schulungen für Meinungsmacher zum verantwortungsvollen Umgang mit Informationen. Der öffentlich-rechtliche Sender „Suspilne“ produziert zudem eine Doku-Reihe, die russische Propaganda aufdeckt und erklärt – um das Verständnis für die Destabilisierungsmechanismen gezielt zu schärfen.

„Die stärkste Waffe gegen Propaganda bleibt aber die Wahrheit – faktenbasierte, verifizierte Informationen. Ein Paradebeispiel ist die Arbeit des ukrainischen Zentrums für strategische Kommunikation und Informationssicherheit im Rahmen des Projekts SPRAVDI, das gezielt russische Desinformationskampagnen aufspürt, analysiert und enttarnt“, erklärt Tymoshyk. Abschließend betont sie, dass niemand vollständig auf das Chaos eines Krieges vorbereitet sein könne. Aber gezielte Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz seien möglich: „Das beginnt mit der Sorge um die mentale Gesundheit der Kommunikationsprofis. Die Förderung von Work-Life-Balance, psychologische Unterstützung und die Möglichkeit für Erholungszeiten helfen, den emotionalen Belastungen unter hohem Druck standzuhalten.“

Operativ sei die wichtigste Fähigkeit die Vorbereitung – also das Training, schnell zu reagieren und sich flexibel auf veränderte Realitäten einzustellen. „Die Grundprinzipien der PR bleiben dabei dieselben: Seien Sie vorbereitet, handeln Sie schnell, belegen Sie Ihre Wirkung und kommunizieren Sie mit Substanz. Selbst im Krieg bleibt die größte Herausforderung, die Aufmerksamkeit des Publikums durch relevante Botschaften zu gewinnen“, so Tymoshyk bei den „PR Impact Awards 2025“.

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