Staus, Streiks, Stillstand: Warum Europas Häfen am Limit sind
Die hartnäckigen Blockaden, die Gütertransporte in europäische Häfen verzögern, werden sich laut Branchenkennern so schnell nicht auflösen. Staus vor Europas Schlüsselhäfen setzen erneut Frachtkunden unter Druck. Derzeit warten Schiffe tagelang – und laut dem Logistikkonzern Freja mitunter wochenlang – vor den Hafenanlagen, ehe sie ihre Container entladen dürfen. Und eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht, berichtet das Wirtschaftsportal Børsen.
„Im Moment ist der Druck einfach sehr hoch, und wir sagen unseren Kunden, dass sie eine zusätzliche Pufferzeit einplanen sollen“, erklärt David Nielsen, Leiter Geschäftsentwicklung in der Luft- und Seefrachtsparte bei Freja. Seit der Corona-Pandemie habe Europa laut Nielsen keine derart massiven Verzögerungen durch Hafenengpässe erlebt. Die Ursachen liegen in einem explosiven Mix aus Hafenstreiks, Niedrigwasser im Rhein, neuen Allianzen unter Container-Reedereien, Wartungsarbeiten an Hafenanlagen und einem Anstieg der Importe aus Asien – teils bedingt durch Donald Trumps Zölle. Besonders betroffen sind die Häfen in London, Rotterdam, Hamburg und Antwerpen. Freja rechnet frühestens im September oder Oktober mit einer Lockerung der Blockaden. „Es ist schwer zu sagen, wo wir landen. Ob das nach den Sommerferien passiert oder ob wir bis nach Weihnachten warten müssen, bevor sich etwas bewegt“, sagt David Nielsen.
Auch das Analysehaus Xeneta, spezialisiert auf Frachtmarktdaten, sieht vorerst keine Lösung der Engpässe. „Die Häfen werden diese Probleme voraussichtlich nicht in absehbarer Zeit lösen. Die Herausforderungen bestehen seit Anfang 2025, und ich vermute, dass sich das durch das ganze Jahr ziehen wird“, meint Peter Sand, Chefanalyst bei Xeneta.
Weihnachtsgeschäft unter Druck
Freja bereitet seine Kunden auf die möglichen Folgen der anhaltenden Staus für die Lieferketten vor. Denn Unternehmen beginnen häufig vor oder nach dem Sommer mit den Bestellungen für die Weihnachtssaison, damit die Lager rechtzeitig gefüllt sind. „Das kann zusätzlichen Druck auf das diesjährige Weihnachtsgeschäft ausüben. Es könnte bedeuten, dass mehr Waren per Flugzeug eingeflogen werden müssen, statt auf dem Seeweg zu kommen. Je näher Weihnachten rückt, desto mehr Druck entsteht in den Lieferketten, wenn Unternehmen ihre Ware nicht bekommen“, warnt David Nielsen.
Auch der dänische Logistikriese A.P. Møller-Mærsk spürt die Engpässe an den europäischen Knotenpunkten. Allerdings betont der Konzern, dass es in den firmeneigenen APM-Terminals keine Verzögerungen gebe – im Gegensatz zu anderen Anlagen. „Wir kennen sehr genau die Kapazitätsgrenzen unserer Terminals, um sie sicher zu betreiben, und überwachen diese engmaschig“, erklärt Olaf Gelhausen, COO von APM Terminals, per E-Mail. Das Chaos der Corona-Zeit habe Maersk wichtige Erkenntnisse gebracht, wie man mit Engpässen umgehen könne. Der Konzern investierte unter anderem in digitale Planungsinstrumente, um den Containerfluss möglichst reibungslos durch die Häfen zu lenken.
Überfüllte Terminals
Ein zentrales Problem sei laut Xeneta derzeit, dass viele Hafenareale mit Containern vollgestellt sind. Je dichter das Gedränge, desto ineffizienter wird der Betrieb – vergleichbar mit einem überfüllten Tetris-Spiel, bei dem die richtige Platzierung immer schwieriger wird. In Rotterdam heißt es, die Probleme zeigten sich aktuell besonders an Land – also beim Weitertransport zu Bahn, Lkw oder kleineren Schiffen. „Lieferketten sind wie ein Puzzle: Liegt ein Teil falsch, passt das ganze Bild nicht mehr. Eine kleine Störung kann weitreichende Folgen haben“, schreibt Sigrid Hesselink, Sprecherin des Hafens Rotterdam, per E-Mail.
Auch der Hafen Antwerpen meldet, dass die Engpässe die reibungslose Abwicklung beeinträchtigen: „Das System funktioniert, aber nur mit knappen Effizienzreserven und eingeschränkter Planungsflexibilität – vor allem, da mehrere Terminals ihre Kapazitätsgrenzen erreicht haben und voll sind.“ Aktuell operiert der Hafen innerhalb eines Puffers, der für Zeiten hoher Auslastung eingeplant ist. Doch dieser Puffer könnte bald nicht mehr reichen. „Wir sind besorgt über den strukturellen Druck auf längere Sicht. Wenn die Puffer wegfallen und die Engpässe andauern, könnten schwerwiegendere Probleme entstehen“, warnt die Presseabteilung des Hafens Antwerpen.