Live-Shopping: Boom im E-Commerce
Online-Shopping verändert die Märkte – und das nicht nur im Einzelhandel. Live-Streaming entwickelt sich rasant zum globalen Verkaufskanal und avanciert zugleich zum Instrument für Kundenbindung und Markenbildung. Die Auswirkungen sind weitreichend: Sie betreffen den Einzelhandel, die produzierende Industrie, die Logistikbranche und nicht zuletzt die Betreiber sozialer Plattformen.
Der globale Markt für Live-Shopping – auch als Live-E-Commerce bezeichnet – belief sich 2023 laut Grand View Research auf rund 128,5 Milliarden US-Dollar. Bis 2033 soll das Volumen auf knapp 2,5 Billionen US-Dollar steigen. Das entspricht einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von nahezu 40 Prozent. Seinen Ursprung hatte das Phänomen Mitte der 2010er Jahre mit dem Start von Taobao Live, einer Plattform des chinesischen Konzerns Alibaba. Seither breitet sich das Format schnell aus – mit wachsenden Auswirkungen auf das gesamte digitale Konsumverhalten.
Verkaufen mit Charme und Kamera – alles live
Das Prinzip ist einfach: Produkte werden live präsentiert, vorgeführt und besprochen – meist von bekannten Persönlichkeiten. Diese Sessions finden auf spezialisierten Plattformen oder in sozialen Netzwerken wie TikTok oder Instagram statt. Oskar Błaszkowski vom Logistikkonzern DSV berichtet, dass viele Anbieter bereits eigene Live-Commerce-Apps entwickeln und gezielt mit Internet-Stars kooperieren. „Die Shows werden von Influencern moderiert, die durch ihre Reichweite größere Zielgruppen aktivieren“, so der Vertriebsleiter.
Der Reiz für Konsumenten liegt nicht nur in der Präsentation, sondern auch in der Interaktion und Spontaneität. Algorithmen spielen gezielt Inhalte aus, die dem Nutzerverhalten entsprechen – ein Faktor, der die Popularität weiter anheizt. Michał Czechowski, Geschäftsführer von SwipBox Polska, sieht Live-Shopping als „organische Entwicklung des Konsumverhaltens“, in dem Unterhaltung, Spontankauf und soziale Nähe verschmelzen.
Live-Commerce greift Elemente klassischer Teleshopping-Formate auf, integriert aber Mechanismen aus Influencer-Marketing und Social Media. Für den Onlinehandel ist das weit mehr als ein neuer Verkaufskanal – es ist ein neuer Zugang zum Kunden.
Live-Shopping: Auch deutsche Unternehmen stehen unter Druck
Der Wandel ist auch in Europa spürbar – nicht nur in Vorreitermärkten wie Polen. In Deutschland sind Plattformen wie TikTok, YouTube oder Instagram bereits fester Bestandteil der Marketingstrategien zahlreicher Konsumgütermarken. Doch während Chinas Unternehmen längst standardisierte Infrastrukturen für Live-Commerce besitzen, steckt der Markt in Deutschland noch in der Pilotphase. Für den hiesigen Handel, von Bekleidung über Elektronik bis hin zu Kosmetik, bietet Live-Shopping nicht nur einen Wettbewerbsvorteil – sondern bald eine Überlebensfrage. Auch Logistiker wie DHL und Hermes müssen ihre Infrastruktur anpassen, wenn Verkaufsimpulse nicht mehr planbar, sondern jederzeit per Stream ausgelöst werden.
Laut einer IBRiS-Studie haben 70 Prozent der polnischen Konsumenten bereits online eingekauft, 60 Prozent erwarten künftig eine Beschleunigung des Wachstums. Knapp ein Viertel rechnet damit, dass Social-Media-Shops klassischen Marktplätzen wie Allegro oder Amazon Marktanteile abnehmen.
Logistik im Livestream-Takt beim Live-Commerce
Mit dem Aufstieg des Live-Commerce verändert sich auch die Logistikbranche. Bisher traten Umsatzspitzen vor allem saisonal auf – etwa zu Weihnachten, am Black Friday oder Cyber Monday. Künftig rechnen Experten mit einer gleichmäßigeren Verteilung. „Die Häufung von Nachfragewellen über das Jahr hinweg kann Lager und Personal besser auslasten“, erklärt DSV-Manager Błaszkowski. Die Hersteller informieren die Logistikzentren meist vorab über anstehende Kampagnen, was die Planbarkeit erhöht und Lieferengpässe reduziert.
Auch technologische Investitionen nehmen zu. In einem DSV-Zentrum nahe Stettin arbeitet bereits ein automatisiertes System namens AutoStore: Roboter sammeln eigenständig Artikel zusammen und bringen sie zur Versandstation. Kommissionierroboter bringen sogar ganze Regale zu Mitarbeitenden. Ziel ist eine höhere Effizienz – nicht die komplette Automatisierung.
Zwischen Investition und Rendite: Rechnet sich Live-Shopping überhaupt?
Trotz des Booms bleibt die Umsetzung komplex. Für funktionierendes Live-Shopping braucht es mehr als Influencer und Plattformen. Die technische Infrastruktur, die Integration in Zahlungssysteme sowie eine hocheffiziente Logistik stellen hohe Anforderungen – sowohl organisatorisch als auch finanziell.
„Die Sendungsproduktion mit Moderatoren, Kamerateams und IT-Support ist teuer und nicht sofort profitabel“, warnt Czechowski. Der wirtschaftliche Nutzen ergibt sich langfristig eher aus Markenbindung und Kundenloyalität als aus kurzfristigen Verkäufen. Zudem bemessen viele Anbieter ihren Erfolg nicht allein an Umsatz, sondern am Grad der Nutzerinteraktion. Engagement wird zum Leitwert. Das verändert auch die betriebswirtschaftlichen Maßstäbe für Erfolg – weg vom klassischen ROI, hin zu Community-Building und Wiedererkennung.


