KI-Euphorie an den Börsen: Gold schwächer, Zinsen fallen
Die US-Aktienindizes kletterten vergangene Woche auf Rekordniveaus. Die Wall Street zeigte sich mit den Quartalszahlen zufrieden. „Der Markt erholt sich typischerweise während der Berichtssaison, solange die Wirtschaft einigermaßen stabil bleibt“, erklärte Jay Hatfield, CEO von InfraCap in New York, gegenüber Reuters. „Es liegt teils an den Unternehmensgewinnen, teils an den niedrigeren Zinsen; die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen ist unter vier Prozent gefallen.“
Die kommende Woche dürfte zeigen, ob sich der Trend fortsetzt. Dann werden weitere Ergebnisse der Schwergewichte erwartet, und im Fokus steht die Sitzung der US-Notenbank (Fed). Analysten rechnen mit einer Zinssenkung. Laut CME-Daten liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Senkung um 25 Basispunkte bei 96 Prozent. Der Goldpreis erlebte eine Korrektur, die sich laut Saxo Bank bereits stabilisiert. Da sich auch viele Kleinanleger an der Aufwärtswelle beteiligt hatten, dürfte die Volatilität hoch bleiben. Seit Jahresbeginn ist Gold um 57 Prozent gestiegen, der S&P 500 um 14 Prozent (35 Prozent seit dem April-Tief).
Wöchentliche Veränderungen der Indizes:
- SBI TOP: +3,3 %
- S&P 500: +1,9 %
- Nasdaq: +2,3 %
- Dow Jones: +2,2 %
- MSCI World: +1,7 %
- Eurostoxx 600: +1,3 %
- Gold (Unze): -3,2 % (4.113 US-Dollar)
- Bitcoin: +1,0 % (111.689 US-Dollar)
Ed Yardeni: Ölpreise runter, Anleiherenditen runter
Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen könnten zusammen mit den Ölpreisen weiter sinken, meint der langjährige Wall-Street-Veteran Ed Yardeni, Gründer und CEO von Yardeni Research. Sie könnten auf 3,75 Prozent fallen, wenn die Ölpreise weiter nachgeben, während die Fed die Leitzinsen senkt. Yardeni begründet dies mit der langfristigen Korrelation zwischen einzelnen Anlageklassen. „Ein wachsender Ölüberschuss und Sorgen um eine globale Konjunkturabkühlung haben die Preise für US-Rohöl WTI auf das niedrigste Niveau seit der Post-Covid-Erholung gedrückt“, zitiert Bloomberg seine Analyse. „Das hilft, die Inflation zu senken und stärkt die Kaufkraft der Verbraucher.“ Das könnte die Anleihekurse zusätzlich beflügeln. Im Oktober fielen die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen auf etwa 4 Prozent, ein Rückgang um 18 Basispunkte. Renditen und Anleihepreise bewegen sich in entgegengesetzte Richtungen.
Zwischen KI-Boom, Blasenrisiko und neuen Chancen
Jonathan Gray, Präsident des Private-Equity-Riesen Blackstone, warnte auf einer Financial Times-Konferenz in London, die Wall Street unterschätze das disruptive Potenzial der künstlichen Intelligenz. Ganze Branchen könnten ausgelöscht werden. „Wir haben unseren Teams im Bereich Fremd- und Eigenkapital gesagt: Schreibt über KI bereits auf den ersten Seiten eurer Berichte für Investoren“, so Gray. Zu den Befürchtungen, dass KI-Aktien in einer Blase stecken, meinte er: „Bei einer solchen Euphorie wird Kapital falsch zugewiesen. Erinnern Sie sich an Pets.com im Jahr 2000.“ Das Beispiel aus der Dotcom-Ära gilt als Synonym für überzogene Erwartungen.
„Die Leute sprechen von einer Blase, aber sie stellen sich nicht die Frage, was mit traditionellen Unternehmen passiert, die diese Transformation hart treffen wird“, fügte er hinzu. Blackstone analysiere deshalb nicht nur neue Investitionen, sondern bewerte auch das bestehende Portfolio unter dem Einfluss der KI-Revolution. „Wenn man an Geschäftsmodelle denkt, die auf Regeln beruhen, Recht, Buchhaltung, Zahlungsverkehr, Versicherungsregulierung, steht ein fundamentaler Umbruch bevor“, sagte Gray.
Torsten Reil, Mitgründer des deutschen Drohnen-Start-ups Helsing, sieht ebenfalls Parallelen zu überhitzten Märkten. Helsing gilt als eines der wichtigsten europäischen Unternehmen im Bereich Verteidigungstechnologie und entwickelt KI-Systeme zur Steuerung militärischer Fluggeräte. Nach seinen Worten fließt derzeit viel Kapital in den Verteidigungssektor – auch solches, das früher in Kryptowährungen investiert war. „Momentan hat sich tatsächlich eine Blase gebildet“, sagte Reil auf dem Bloomberg Tech Summit. „Vor einigen Jahren war der Verteidigungssektor noch unattraktiv, heute will jeder ein Stück davon haben. Es zirkuliert viel Geld, das keine Rendite bringen wird.“
Justin Hotard: „Wir stehen am Beginn eines KI-Superzyklus“
„Grundsätzlich glaube ich, dass wir am Beginn eines Superzyklus der künstlichen Intelligenz stehen – ähnlich wie beim Internet in den 1990er-Jahren“, sagte Justin Hotard, CEO von Nokia, in einem Interview mit Reuters. „Selbst wenn es eine Blase gibt und danach einen Rückgang, sehen wir langfristige Trends. Und diese sind derzeit ausgesprochen positiv“, so Hotard weiter. Nokia übernahm im vergangenen Jahr den US-Hersteller optischer Telekommunikationssysteme Infinera und hat im KI-Bereich eine Goldgrube gefunden, da wachsende Datenzentren immer mehr Kommunikationsverbindungen benötigen – sowohl Glasfasernetze als auch Cloud-Infrastruktur. „Offensichtlich treiben schrittweise Investitionen in Wachstum die Nachfrage nach Rechenzentren an. Das ist ein großer Sprung in der Größenordnung“, so Hotard. Obwohl die mobile Netztechnik das Kerngeschäft von Nokia bleibt, ist der Fokus auf KI die größte strategische Veränderung seit 2013, als das Unternehmen seine Handysparte verkaufte.
Amundi: Wir verkaufen KI-Hype, kaufen reale Chancen
Analysten des größten europäischen Vermögensverwalters Amundi begegnen dem Risiko einer überhitzten KI-Aktien-Blase mit Strategien, die schon während der Dotcom-Ära funktionierten. „Wir machen genau das, was zwischen 1998 und 2000 funktioniert hat“, sagt Francesco Sandrini, Leiter Multi-Asset-Investments und Chief Investment Officer der italienischen Amundi-Einheit. Das bedeutet: Positionen verkaufen, deren Kurse bereits Hochpunkte erreichen, und stattdessen Unternehmen mit ungenutztem Potenzial suchen, die der Markt noch nicht entdeckt hat.
Sandrini verweist auf Anzeichen „irrationaler Übertreibung“: den massiven Handel mit riskanten Optionsprodukten auf bekannte KI-Titel. Dennoch erwartet er, dass die Euphorie anhalte und dass sich Gewinne dort erzielen lassen, wo die Rallye noch nicht angekommen ist. „Die größten unentdeckten Wachstumschancen sehen wir im Bereich Software, Robotik und bei asiatischen Technologiewerten“, so Sandrini.
KI-Aktien überhitzt
Während US-Giganten wie Nvidia und Microsoft die globalen Indizes treiben, reagieren deutsche Investoren vorsichtiger. Banken und Vermögensverwalter wie DWS oder Union Investment warnen vor zu hohen Bewertungen im KI-Sektor und sehen Chancen in Infrastruktur, Energie und Industrie 4.0. Gleichzeitig profitieren deutsche Technologiezulieferer, etwa Infineon oder SAP, indirekt vom globalen KI-Ausbau, ohne im Zentrum der Blasendebatte zu stehen.
Die Euphorie um KI-Aktien befeuert die Märkte, doch Experten warnen: Wo Kapital zu schnell fließt, drohen Fehlallokationen und Blasenbildung. Während sich die Wall Street auf mögliche Korrekturen vorbereitet, suchen erfahrene Investoren nach Substanz: in Anleihen, Verteidigung, Robotik und Industrie. Europa steht vor der Herausforderung, Innovation mit Stabilität zu verbinden. Wer jetzt selektiv bleibt, könnte im nächsten Zyklus zu den Gewinnern gehören.

