Politik

Geheimplan für die Ukraine: Wie weit geht Amerika für ein Ende des Krieges?

Laut Medienberichten haben Diplomaten aus den USA und Russland einen neuen Friedensvorschlag ausgearbeitet. Er verlangt von der Ukraine territoriale Abtretungen und eine drastische Verkleinerung der Armee. In Kiew spricht man von einem Plan, der „nur Russlands Wünsche erfüllt“. Washington setzt Präsident Selenskyj dennoch unter Druck, zentrale Punkte zu akzeptieren.
21.11.2025 05:47
Lesezeit: 2 min
Geheimplan für die Ukraine: Wie weit geht Amerika für ein Ende des Krieges?
Ukrainische Rettungsmannschaften arbeiten an einem Gebäude in der Stadt Ternopil in der Ukraine, am frühen Mittwochmorgen schlug eine russische Rakete ein. (Foto: dpa) Foto: Vlad Kravchuk

Territoriale Zugeständnisse und Armee-Abbau: Kernpunkte des vertraulichen Entwurfs

Beamte aus den USA und Russland sollen einen neuen Ansatz zur Beendigung des Ukraine-Krieges entwickelt haben. Wie Financial Times und Reuters berichten, sieht der Vorschlag vor, dass die Ukraine den gesamten verbliebenen Teil der östlichen Donbas-Region einschließlich Gebieten aufgibt, die sich derzeit unter ukrainischer Kontrolle befinden.

Zudem solle die Ukraine ihre Streitkräfte auf die Hälfte der aktuellen Stärke reduzieren. Dieser Punkt, so die Financial Times, gehört zu den zentralen Forderungen der russischen Seite, da er die militärische Handlungsfähigkeit Kiews langfristig einschränken würde. Mehrere Quellen berichten übereinstimmend, dass Washington Präsident Wolodymyr Selenskyj bereits signalisiert habe, er solle die Hauptkomponenten des Plans akzeptieren, so das dänische Portal Borsen.

Kiew reagiert entsetzt: Ukraine wurde offenbar nicht einbezogen

In Kiew stößt der Vorschlag auf scharfe Ablehnung. Ukrainische Regierungsbeamte erklärten gegenüber der Financial Times, die Inhalte entsprächen nahezu vollständig den Vorstellungen des Kreml. In der jetzigen Form sei der Plan für die Ukraine „nicht akzeptabel“. Eine hochrangige Quelle sagte Reuters, Kiew sei zu keinem Zeitpunkt in die Ausarbeitung einbezogen worden. Der Vorschlag habe die ukrainische Regierung vielmehr „vor vollendete Tatsachen gestellt“.

Weder das Weiße Haus noch der Kreml haben die Berichte bislang kommentiert. Zur selben Zeit führte Selenskyj Gespräche in der Türkei, wo er auf Präsident Recep Tayyip Erdoğan traf. Für Donnerstag sind Treffen mit US-Beamten in Kiew geplant – ein mögliches Indiz dafür, dass Washington den Druck weiter erhöhen will.

Washingtons Signal an Selenskyj: Zeit für Entscheidungen?

Dass die USA den Vorschlag aktiv vorantreiben, zeigt die wachsende Sorge in Washington über den langwierigen Kriegsverlauf und die angespannten Hilfsdebatten im eigenen Land. Die jüngsten militärischen Entwicklungen, die schwindenden Munitionsbestände und der Druck auf westliche Haushalte erhöhen den politischen Anreiz, eine diplomatische Lösung zu fördern, selbst wenn sie mit schmerzhaften Kompromissen für Kiew verbunden wäre. In diplomatischen Kreisen heißt es, die US-Regierung wolle verhindern, dass der Krieg in eine jahrelange Pattsituation mündet, die Russland strategisch begünstigt und den Westen finanziell überlastet.

Sollte die Ukraine zur Abgabe von Gebieten gedrängt werden, würde dies die Glaubwürdigkeit des westlichen Sicherheitsversprechens beschädigen und Fragen zur langfristigen Stabilität Europas aufwerfen. Deutschland z.B. hat sich stets klar gegen „Frieden durch Kapitulation“ ausgesprochen. Ein Abkommen, das russische Gebietsgewinne festschreibt, würde die europäische Sicherheitsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg infrage stellen und könnte als Einladung für weitere Revisionismus-Projekte interpretiert werden. Zudem wäre ein halbiertes ukrainisches Militär langfristig kein Garant für die Sicherheit der EU-Ostflanke und damit auch nicht für Deutschland.

Ein Plan, der die Machtbalance verschieben könnte

Dass Russland territoriale Gewinne wiederum behalten und zugleich eine militärisch geschwächte Ukraine hinterlassen würde, kommt den strategischen Grundinteressen des Kreml entgegen. Es würde Putins Darstellung bestätigen, dass Gewalt und langfristiger Druck Ergebnisse bringen. Für Washington könnte der Plan hingegen ein Versuch sein, Ressourcen in Richtung Asien umzulenken und den Fokus auf China zu verstärken. Doch geopolitisch birgt er ein beträchtliches Risiko: Eine aufgezwungene Lösung ohne ukrainische Zustimmung dürfte kaum stabil sein und könnte zu einem eingefrorenen Konflikt führen – ähnlich wie in Georgien oder Moldau.

Der angebliche US-Russland-Plan markiert eine brisante Phase im Krieg. Wenn sich bestätigt, dass Washington Selenskyj zu territorialen Zugeständnissen drängt, würde dies einen tiefen Bruch in der westlichen Ukraine-Strategie bedeuten. Für Kiew ist der Entwurf in der aktuellen Form untragbar. Für Moskau wäre er ein strategischer Sieg. Und für Europa könnte er ein gefährlicher Präzedenzfall werden. Der Krieg ist damit keinen Schritt näher am Frieden, aber einen Schritt näher an einer möglichen geopolitischen Zerreißprobe innerhalb des Westens.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
avtor1
Marius Vaitiekūnas

Zum Autor:

Marius Vaitiekūnas ist ein ausgewiesener Experte für Geopolitik und internationale Wirtschaftsverflechtungen. Geboren 1985 in Kaunas, Litauen, schreibt er als freier Autor regelmäßig für verschiedene europäische Medien über die geopolitischen Auswirkungen internationaler Konflikte, wirtschaftlicher Machtverschiebungen und sicherheitspolitischer Entwicklungen. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind die globale Energiepolitik und die sicherheitspolitischen Dynamiken im osteuropäischen Raum.

DWN
Finanzen
Finanzen Falsche Gehaltsgruppe: Was kann ich tun, wenn meine Gehaltseinstufung nicht zum Tarifvertrag passt?
13.12.2025

Viele Beschäftigte merken erst spät, dass ihre Gehaltsgruppe im Tarifvertrag nicht zur Arbeit passt. Das kann monatlich bares Geld...

DWN
Technologie
Technologie Lidl krempelt den Einkauf um: Warum die Scan-and-Go-Technologie den Handel umdreht
13.12.2025

Litauens Handelsketten treiben den digitalen Umbruch voran. Das Selbstscansystem Scan & Go kommt nun in die Lidl Filialen. Bisher wurde...

DWN
Politik
Politik Billigfluglinien bereiten sich bereits auf Flüge in die Ukraine vor
13.12.2025

Wizz Air, Ryanair und EasyJet bringen sich in Stellung. Europas Billigfluglinien planen bereits ihre Rückkehr in die Ukraine und rechnen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europa-Krise vertieft sich: JPMorgan warnt vor dramatischen Folgen für Amerika
13.12.2025

Die Warnungen von JPMorgan Chef Jamie Dimon treffen Europa in einer Phase wachsender politischer Unsicherheit. Seine Kritik an der...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Textilrecycling: Wie eine schwedische Gründerin die Branche unter Druck setzt
12.12.2025

Ein junges schwedisches Unternehmen behauptet, die nachhaltigste Lösung für das Textilrecycling gefunden zu haben. Die Methode nutzt CO2,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Shein, Temu & Co. betroffen: EU erhöht Kosten für Billigpakete aus Drittstaaten
12.12.2025

Um die Flut günstiger Online-Pakete aus Ländern wie China einzudämmen, beschließt die EU eine neue Importabgabe. Ab Juli 2026 sollen...

DWN
Politik
Politik Regierung reagiert auf Cyberangriffe: Russlands Botschafter einbestellt
12.12.2025

Nach einer Reihe hybrider Angriffe, darunter Falschnachrichten, manipulierte Videos und eine Hacker-Attacke, hat die Bundesregierung...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Flix bestellt 65 neue Fernzüge: Ausbau ab 2028 geplant
12.12.2025

Flix will das Fernverkehrsangebot deutlich ausbauen: Das Unternehmen hat beim spanischen Hersteller Talgo bis zu 65 neue Züge geordert....