Politik

Berliner Bürger fordern Neuwahl: „Wowereit ist politisch nicht legitimiert“

Lesezeit: 6 min
26.04.2014 00:07
Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit muss weg, fordert eine Bürgerinitiative. Die Initiatoren werfen Wowereit vor, dass das Berliner Abgeordnetenhaus zur reinen Show-Veranstaltung verkommen ist. Sie fordern die Direktwahl des Regierenden Bürgermeisters und Neuwahlen in Berlin.

Die Bundeshauptstadt Berlin glänzt derzeit vor allem durch kaputte Straßen, marode Schulen und die Unzuverlässigkeit der Berliner S-Bahn. Dazu kommen Kostenexplosionen bei Großbau-Projekten wie dem Berliner Stadtschloss, der neuen BND-Zentrale und dem Großflughafen BER. Für all das trägt der regierende Bürgermeister Berlins, Klaus Wowereit, zumindest eine politische Mitverantwortung. Die Bürgerinitiative „Außerparlamentarische Ergänzung“ (APE) fordert nun die Absetzung von Wowereit und will dies mit einem Volksbegehren durchsetzen (mehr hier). Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten sprachen mit Martin Wittau, einem der beiden Initiatoren, über die Beweggründe der Bürgerinitiative, den Ablauf des Volksbegehrens und die Ziele der APE.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was war für Sie der Auslöser ein Volksbegehren zur Absetzung Wowereits zu starten?

Martin Wittau: Der Auslöser war für uns die Schmitz-Affäre. Nicht nur die Tatsache, das der Schmitz Steuern hinterzogen hat – das könnte man ja fast gewöhnt sein – sondern die Tatsache, dass sein Dienstvorgesetzter, nämlich Wowereit, das seit über einem Jahr gewusst hat und nichts dagegen unternommen hat (mehr hier). Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

Der wissenschaftliche Dienst des Parlaments hat vor kurzem ein Gutachten herausgegeben, dass es tatsächlich ein Rechtsverstoß ist, kein Disziplinarverfahren [gegen Schmitz] eingeleitet zu haben. Das sitzt also einer, grinst sich eins und bricht Gesetz. Wenn man von anderen Recht und Gesetz einfordert, muss man sich auch selbst daran halten. Man kann sich nicht nur über das Gesetz stellen, nur weil es der beste Kumpel ist.

Wir haben uns dann zusammengetan. Felix Herzog hat schnell eine Webseite und eine Facebook-Seite eröffnet. An nächsten Tag haben wir morgens miteinander telefoniert, mittags eine erste Pressemitteilung geschrieben und zwei Stunden später hatten wir den ersten Interview-Termin.

Wir hatten das Gefühl „den Mantel der Geschichte zu ergreifen“, wie Helmut Kohl immer so schön gesagt hat. Man hat einfach gemerkt, dass das ein Thema ist, was die Menschen bewegt. Ich bin an dem Tag mit der S-Bahn zum Abgeordnetenhaus zu einem Termin gefahren. Normalerweise sitzen die Menschen in der S-Bahn ja eher schweigend nebeneinander und machen irgendetwas auf dem Handy. Doch dieses Mal gab es tatsächlich Gespräche, die sich um dieses Thema gedreht haben. Es war ein Stadtgespräch.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wowereit ist ein Politiker, der polarisiert. Was genau werfen Sie ihm vor?

Martin Wittau: Zuerst mal seine flachen Sprüche. Als es damals um die Schließung des Flughafens Tempelhof ging, hat Wowereit gesagt „Egal, wie ihr entscheidet, ich mach was ich will“. Das ist ein Ausdruck seines demokratischen Selbstverständnisses. Wir hatten schon immer das Gefühl, dass es eher ein „Nicht-Regieren“ ist, was er betreibt. Das was er macht, ist ja gar nichts. Das heißt, er sitzt nur da und lässt die Senatoren machen. Das hat man jetzt bei der Diskussion um das Flüchtlingscamp am Oranienplatz gesehen. „Man hätte früher kommen können“. Genau das ist es: Man hätte, man müsste, man sollte. Er macht sich halt die Füße nicht nass. „Arm, aber sexy“ ist ja nur einer seiner Sprüche, der nun wie ein Bumerang auf ihn zurückkommt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Für welche politischen Fehlentscheidungen trägt Herr Wowereit ihrer Meinung nach die Verantwortung?

Martin Wittau: Wowereit hat sicher dazu beigetragen, Berlin ein kosmopolitisches Image zu verleihen. Aber Berlin lebt von der Substanz, seit er an der Macht ist. Herr Wowereit führt immer die Touristen an, die viel Geld in die Stadt bringen. Aber warum kommen denn die Touristen nach Berlin? Die kommen nicht zuerst wegen der Sehenswürdigkeiten. Dafür vielleicht auch, aber zuerst kommen sie, weil Berlin den Ruf hat, eine kreative, junge und weltoffene Stadt zu sein, in der man viel erleben kann. Das ist aber Fassade. Das ist ein Ruf, der sich mühsam in den neunziger Jahren erarbeitet wurde durch Subkultur, Underground, künstlerisch-kreative Projekte, die später zum Mainstream geworden sind. Aber was früher kreativ war, ist seit 2001 – als Wowereit die Regierung übernommen hat – Kreativwirtschaft geworden. Und darin erkennt man eigentlich, worum es geht, nämliche eine Ausbeutung einer Idee zu merkantilen Zwecken. Das ist ein Marketingbegriff geworden. Und wenn man die Substanz nicht erhält, dann betreibt man einen Raubbau an der Zukunft der Stadt. Und das werfen wir ihm vor. Und die Touristenzahlen werden runter gehen, weil Berlin einfach nicht mehr hipp ist und die Leute das langsam merken. Und dann reicht es halt nicht bloß Sehenswürdigkeiten zu haben.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie geht es voran mit dem Volksbegehren?

Martin Wittau: Wir haben am 20. März die Unterschriften-Aktion offiziell gestartet. Vorausgegangen ist eine ganze Reihe von Abstimmungsprozessen mit der Senatsverwaltung. […] Es brauchte beispielsweise eine amtliche Kostenschätzung, ohne die darf man gar nicht anfangen. Zum Glück ist das in unserem Fall recht einfach. Unser Volksbegehren zielt darauf ab, das Abgeordnetenhaus neu zu wählen. Da braucht man keine Begründung mehr. Wir richten gerade Sammelstellen ein. Wir sind im Moment drauf angewiesen, dass die Menschen auf die Webseite www.neuwahlen.berlin gehen und sich die Unterschriftenliste ausdrucken. Diese schicken sie uns dann unterschrieben zurück.

Wir erhalten zurzeit etwa 100 Unterschriften täglich. 50.000 brauchen wir, um erstmal den Antrag zu stellen, dass wir das Volksbegehren machen dürfen. Wenn der Antrag abgegeben worden ist und das richtige Volksbegehren losgeht, dann haben wir vier Monate Zeit um 500.000 Unterschriften zu sammeln. Das entspricht etwa 20 Prozent der Wahlberechtigten Berliner. Das sind natürlich Hürden, die weit über das hinausgehen, was ein normales Volksbegehren – wenn es um einen Gesetzesentwurf geht – erfordert. Verfassung ändern und Neuwahlen in Berlin, das sind die höchsten Hürden. Und dann haben wir wieder vier Monate Zeit, in welcher sich das Abgeordnetenhaus auch nochmals damit befasst. Danach kann es zum Volksentscheid kommen. Und in diesem Volksentscheid über Neuwahlen braucht es die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, mindestens aber 1,2 Millionen Berliner, die dafür stimmen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kritiker werfen Ihnen vor, eine gezielte politische Kampagne gegen Wowereit zu starten, die von den Gegenparteien der SPD ausgeht. Was sagen Sie dazu?

Martin Wittau: Wir sind parteipolitisch völlig unabhängig. Keiner von uns ist in irgendeiner Partei. Wir sind auch froh und erwarten es auch nicht, dass Parteien uns unterstützen. Wir verfolgen mit dem Volksbegehren nicht nur Wowereits Rücktritt. Wowereits Rücktritt ist der Aufhänger, Neuwahlen sind die Krücke dafür, weil man den Bürgermeister in Berlin ja nicht direkt wählen oder abwählen kann. Also muss man das über Neuwahlen lösen, weil die Parteien im Abgeordnetenhaus darüber bestimmen, wer der regierende Bürgermeister Berlins ist.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die Absetzung Wowereits ist also nur ein Vorwand und Ihnen geht es in Wahrheit um mehr Bürgerbeteiligung?

Martin Wittau: Wir wurden in letzter Zeit oft angefeindet. „Was soll das? Dieses Volksbegehren ist doch Geldverschwendung!“ und „Ist das überhaupt demokratisch?“. Ja natürlich ist das demokratisch. Denn es ist steht in einem Satz mit Volksvertretung in der Verfassung von Berlin. Das ist auch der Grund, warum wir sagen, das ergänzt sich. Daher der Name: Außerparlamentarische Ergänzung (APE). Wir sind außerhalb des Parlaments, weil wir das ganze aus der Bürgerschaft heraus initiieren wollen. APE heißt im Englischen Affe. So sind wir auf das Logo mit den drei Affen gekommen. Jeder kennt sie: Nicht sehen, nichts hören, nicht sagen. Wir haben das Ganze mal umgedreht: Sehen, Hören und Sprechen.

Unser Motto ist: „Initiative für mehr gewagte Demokratie“, ein Bezug auf einen Spruch von Willy Brandt. Es ist anstrengend zu zuhören, braucht Mitverantwortung und ist anstrengend sich gegenseitig zu verstehen. Letztlich geht es nicht um Wowereits Rücktritt, das wäre auch zu kurz gedacht. Es gibt auch kaum Alternativen für den Posten. Ich sehe auch in der CDU niemanden, dem ich diesen Posten in die Hände geben würde.

Es geht darum: Das Abgeordnetenhaus will sich nicht reinreden lassen vom Volk. Die wollen ihre fünf Jahre absitzen. Und wenn man sich die Plenarsitzungen mal anschaut, dann muss man sagen: Das ist eine reine Show-Veranstaltung. Inhalte werden da gar nicht rübergebracht. Die müssen sich daran gewöhnen, dass es das Mittel des Volksentscheids gibt. Aber die Bürger müssen sich auch daran gewöhnen, dass sie dieses Mittel überhaupt zur Verfügung haben. Es wissen immer noch zu wenige Leute, dass es sowas überhaupt gibt, sonst würden solche Fragen  wie „Ist das überhaupt demokratisch?“ ja nicht aufkommen. Unsere Aufgabe ist es, die Bevölkerung daran zu erinnern, dass es diese Methode gibt.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Unabhängig vom Ausgang des Volksbegehrens, was sind die weiteren Ziele der Außerparlamentarischen Ergänzung (APE)?

Martin Wittau: Unser mittelfristiges Ziel ist die Direkt-Wahl des Berliner Bürgermeisters. Das ist herausfordernd, aber auf der anderen Seite auch ganz normal, denn in jeder anderen deutschen Großstadt wird der Bürgermeister direkt gewählt. Der Bürgermeister sollte die Bürger der Stadt repräsentieren und nicht nur ein politisches Klientel. Herr Wowereit hat nur 28,3 Prozent im Abgeordnetenhaus geholt. Das heißt, dass 71,7 Prozent haben ihn ja nicht gewählt. Das reicht einem Machtpolitiker, um seine Macht zu festigen. Aber als Bürgermeister, der den Anspruch haben sollte, die gesamte Stadt zu vertreten, sollte es nicht reichen. Ihm fehlt zwar nicht die demokratische, aber die politische Legitimation. Ich erwarte von einem Bürgermeister, dass er mit über 50 Prozent der Stimmen gewählt wird und das geht nur in der Direktwahl.

Martin Wittau, 50 Jahre alt, ist am Bodensee aufgewachsen. Er studierte in Freiburg im Breisgau Politologie und Geschichte. Im Oktober 1989 ist er nach Berlin gezogen und fing im Berliner Abgeordnetenhaus als persönlicher Referent eines Abgeordneten und ehemaligen Senators an. Zudem ist er freiberuflich als Medien- und Kommunikationsberater tätig. Er ist Vorstand des Kunstvereins Pulszeit e.V. für angewandte Kunst, Bildung und Wissenschaft und Vize-Präsident der Bundesvereinigung Nachhaltigkeit. Wittau bezeichnet sich selbst als Traditionalist und lebt nach dem Motto Benjamin Franklins: „Verkaufe nicht Tugend, um Wohlstand zu erlangen, und auch nicht Freiheit für Macht.“

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