Finanzen

Die große Umverteilung: Mario Draghi ordnet die Banken in Europa neu

Lesezeit: 11 min
08.05.2014 00:37
Die EZB verlangt, beraten von der umstrittenen US-Finanzfirma Oliver Wyman, einen Striptease aller wichtigen europäischen Banken. Die nationalen Parlamente haben keine Kontrolle über die bevorstehenden Umwälzungen. Hedge Fonds und Investmentbanken reiben sich schon die Hände.

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Eigentlich sollte Frankfurt als Amtssitz der Europäischen Zentralbank (EZB) ein Signal für die Euro-Zone sein: Der Geist der Deutschen Bundesbank und damit solider, von der Politik unabhängiger Geldpolitik solle auch für den Euro gelten.

Doch die Zeiten haben sich geändert.

Der Geist der Bundesbank hat sich verflüchtigt.

Der Hausherr in Frankfurt, Mario Draghi, ein früherer Goldman-Banker und Boss der italienischen Zentralbank, mag deutsche Kritik an seiner Amtsführung nicht. In einer Pressekonferenz gegen Ende des vergangenen Jahres sprach er von „nationalistischen Tönen“ und einer „perversen Angst“ vor der Politik der EZB, die in Deutschland herrsche.

Im Inneren der EZB braucht Draghi die deutschen Kritiker nicht mehr zu fürchten. Fast zwei Drittel der Mitglieder des EZB-Rats, des höchsten Entscheidungsgremiums der EZB, kommen aus dem sogenannten ClubMed der Süd- oder Schwachländer und Frankreich/Belgien/Luxemburg, was eine ähnliche Orientierung garantiert (Abb. 18350).

Den Vertreter der Bundesbank kann Draghi bequem überstimmen oder isolieren. Unter den Vorstandsmitgliedern, die zum festen Personal der EZB gehören, ist Deutschland mit Sabine Lautenschläger derzeit nur noch durch ein in der Geldpolitik ziemlich unerfahrenes „Leichtgewicht“ vertreten. Ihre Vorgänger Jürgen Stark und Jörg Asmussen hatten entweder das Handtuch geworfen (Stark) oder waren direkt in die Politik gewechselt (Asmussen). Mit Benoît Cœuré steht Draghi dagegen an führender Stelle ein ausgefuchster Franzose zur Seite, der aus der französischen Regierung kommt und mit dieser engsten Kontakt hält.

Bankenrettung als Hauptaufgabe

Angesichts der Schwäche der EU-Kommission und wegen unterschiedlichen Interessen im Europäischen Rat und unter den Finanzministern der Eurozone ist die EZB immer mächtiger geworden. In enger Verzahnung mit den Geschäftsbanken hat sie viel getan, um die Banken mit billigstem Kredit im Volumen von 1 Billion Euro (in Zahlen: 1.000000000000) zu 1 % und einer Politik real negativer Zinsen (Abb. 16317) über Wasser zu halten, ohne dass es, anders als in den USA, zu größeren Bankenschließungen und Übernahmen gekommen wäre.

Mit dieser Form von Bankenrettung wurden vor allem die meist gut betuchten Gläubiger der Banken, die deren hoch verzinste Anleihen gekauft hatten, geschont. Die Bankenrettung ohne Beteiligung der Gläubiger war nun Aufgabe der EZB und, soweit die Regierungen dazu antraten, des europäischen Steuerzahlers geworden.

Beispielsweise zwang im Falle des kleinen Irlands die EZB zusammen mit der EU-Kommission und dem widerstrebendem IWF als drittes Troika-Mitglied die irische Regierung, die enormen Schulden der Anglo-Irish Bank und anderer Pleitebanken von 64 Milliarden Euro voll auf den irischen Steuerzahler zu übernehmen. Bei 1,6 Millionen privater Haushalte sind das im Durchschnitt immerhin 40.000 Euro für jeden davon.

Hinter EZB und EU-Kommission standen vor allem die Banken aus Deutschland und Frankreich, die die Hauptgläubiger der irischen Pleitebanken waren und durch die Troika vor Verlusten geschützt wurden. Wer einen sehr guten Eindruck von der miesen Rolle der EZB zu Lasten der irischen Steuerzahler gewinnen will, sollte sich diese Diskussion mit dem EZB-Vertreter ansehen.

Draghi perfektionierte die unter Trichet bei Irland eingeführte Politik des „Bailout“ der Banken im großen Stil noch weiter.

Ein besonders eklatantes Beispiel ist die zypriotische Laiki, die zweitgrößte Bank des Landes. Sie war schon im Konkurs, wurde aber über mehr als ein Jahr mit Liquiditätshilfen von der EZB über Wasser gehalten. Im Ergebnis solcher zweifelhafter Fürsorge ohne echte Schnitte gibt es in der Eurozone jede Menge kränkelnder Banken, die ihrer Aufgabe der Kreditversorgung von Wirtschaft und Verbrauchern sehr oft nicht mehr nachkommen.

Nach der jüngsten Statistik der EZB gingen die Kredite der Banken im März 2014 insgesamt um weitere 2,2 % gegenüber Vorjahr zurück und davon an Unternehmen um 3 % (Abb. 18344). Dabei sitzen die Banken weiterhin auf einem ungesund aufgeblähten Bilanzvolumen (Abb. 16936). Bis 2013 stiegen die Schulden (liabilities) der Banken bis auf 319 % der Wirtschaftsleistung der Eurozone, viel mehr als die der Regierungen mit 94 %. Besonders exponiert sind dabei die französischen Banken mit 386 % der französischen Wirtschaftsleistung (gegenüber 274 % bei den deutschen, Abb. 18349).

Auch sonst hat Draghi mit seiner EZB immer wieder zugunsten von Banken interveniert. So hat er sich dafür verwandt, die Beihilfevorschriften nicht strikt anzuwenden, wenn Banken ohne eine volle Beteiligung der untergeordneten Gläubiger durch Staatsknete gerettet werden sollen. Ein anderes Mal hat er gegen jegliche Eigenkapitalrückstellungen der Banken selbst für Anlagen in miesesten Staatsanleihen Stellung bezogen. Die Verbindung zwischen den Geschäftsbanken und Mario Draghi kommt nicht nur von dessen Vergangenheit als Vize-Boss von Goldman Sachs. Seit 2006 ist er auch Mitglied der Group of Thirty, einer einflußreichen Lobbygruppe der Finanzindustrie. Nicht zu Unrecht nennt Achim Dübel von Finpolconsult die EZB den „sugar daddy of the banks“.

Rettung von Pleite-Staaten

Unter Draghi hat die EZB den Regierungen der Krisenländer durch Aufkauf von Staatsanleihen und zuletzt durch Drohungen, notfalls unbegrenzt solche Anleihen zu kaufen, massiv unter die Arme gegriffen. Auf die Risiken für die Bilanz der EZB und damit den Steuerzahler wurde dabei ebenso wenig Rücksicht genommen wie auf die unter der Zinspolitik leidenden Sparer oder auf das Verbot der Finanzierung von Regierungen. Das Verbot der Finanzierung von Regierungen wurde mit der Ausrede umschifft, es handele sich nur um notwendige Schritte der Geldpolitik, mit der die EZB ähnliche Zinsen in der gesamten Eurozone durchsetzen wolle. Das Bundesverfassungsgericht wird darüber noch endgültig zu entscheiden haben. Seine sehr kritische Zwischenentscheidung ist im EZB-Tower nicht besonders ernst genommen worden.

Denn die EZB schafft weiter Fakten.

Es war ein besonders schwarzer Tag für die Bürger Europas als Steuerzahler und für deren demokratischen Rechte: In den frühen Morgenstunden des 29. Juni 2012 beschloss der Europäische Rat die Schuldenunion der Banken mit einer gemeinsamen Bankenaufsicht. Frau Merkel hatte unter dem Druck Frankreichs und der anderen ClubMed-Mitglieder die letzten Positionen deutschen Widerstandes geräumt und war sogar bereit, bei der als besonders dringlich erklärten Rettung spanischer Banken mit deutschem Steuerzahlergeldüber den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mitzuwirken.

Schulden-Union im Eiltempo

In den späteren Detailberatungen der Finanzminister wurde ein System in drei Schritten beschlossen. Am Anfang soll nun eine gemeinsame Bankenaufsicht durch die EZB stehen. Der sollen möglichst rasch der „Einheitliche Bankenabwicklungsmechanismus für Banken“ und ein europäisches Einlagensicherungssystem folgen.

Wegen der Schieflage vieler Banken war nach Ansicht der Partner aus dem ClubMed Eile geboten. Die Bankenaufsicht durch die EZB soll nun darüber mitentscheiden, ob eine Bank aufzulösen ist oder aus Finanzmitteln des über 8 Jahre neu zu schaffenden Fonds von 55 Milliarden Euro beziehungsweise in der Zwischenzeit aus Mitteln der Steuerzahler zu sanieren ist, soweit Verzichte der Gläubiger der Banken dazu nicht ausreichen. Die angestrebte Beteiligung der Gläubiger wurde, auch von Schäuble in Deutschland, mit dem öffentlichen Versprechen verkauft, dass nie wieder der Steuerzahler zur Rettung von Banken antreten sollte. Allerdings sind für die Gläubigerbeteiligung viele Hintertürchen mit Notausgängen vorgesehen. So soll im Verständnis einiger Regierungen die Beteiligung bei systemischen Krisen im Bankensektor nicht stattfinden.

Ursprünglich hatte die Bundesregierung das gemeinsame Einlagensicherungssystem unbedingt vermeiden wollen, weil damit die Banken anderer Länder vor allem in den ersten Jahren notfalls Zugriff auf die bereits gut gefüllten Töpfe in Deutschland, vor allem die der Sparkassen, bekommen. Doch schrittweise wurde auch hier der deutsche Widerstand aufgegeben. Die Vergemeinschaftung von 40 % der bereits vorhandenen Sicherungsmittel soll bereits vom ersten Jahr an und von weiteren 20 % vom zweiten Jahr an gelten. Nach zwei Jahren hätten also die Banken der anderen Euroländer noch wenig in den Fond gegeben, aber schon könnten 60 % der dann vor allem deutschen Mittel abgerufen werden, um für Einlagen in anderen Euroländern einzuspringen und auch deren Banken zu stützen, so dass sie nicht abgewickelt werden müssten.

Schäuble hatte zunächst auch verhindern wollen, dass der Fond zusätzliche Mittel an den internationalen Finanzmärkten aufnimmt, wenn seine eigenen Mittel noch zu gering sind. Doch da widersprach ihm unter anderem der französische Finanzminister: „Der Fond muss die Kapazität zur Aufnahme von Krediten haben und zwar unabhängig von der Geschwindigkeit, mit der einzelne Länder einzahlen.“

In jeder systemischen Bankenkrise oder schon beim gleichzeitigen Notleiden mehrerer Banken werden die Mittel des Fonds bei Weitem nicht ausreichen. In Hinblick auf die Risiken wird der Fond in einer Krisensituation ohne zusätzliche Garantien der Regierungen keine Mittel an den Finanzmärkten aufnehmen können. Man kann deshalb mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass es dann zu Regierungsgarantien vor allem des relativ finanzstarken Deutschlands oder einem Rückgriff auf die Mittel des ESM zu Lasten der Steuerzahler kommen würde. Die Schlagzeile in der Welt „Nun müssen sich die Banken selbst helfen“ kann sich noch als sehr irreführend erweisen.

Die finalen Verhandlungen mit dem EU-Parlament über die neue Schuldenunion der Banken dauerten 16 Stunden. Am 20. März 2014 um 6 Uhr morgens wurde Schäuble aus dem Bett geklingelt, um die letzten deutschen Konzessionen zu machen. Der französische EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier feierte das Ergebnis: „Dies ist wahrscheinlich die wichtigste Reform seit Gründung des Euro.“ EU-Kommissionspräsident Barroso aus ClubMed Portugal twittert: „Großartige Nachrichten. Die Einigung ist der Schlüssel zu Stabilität und Vertrauen“.

Und selbst der mehrfach eingeknickte Schäuble feiert in seiner Pressemitteilung das „größte europäische Projekt seit der Einführung des Euro“. Es gibt Vermutungen, wie sie auch Achim Dübel von Finpolconsult äußert, dass Frau Merkel ohne dieses schrittweise deutsche Einlenken bereits 2012 mit deutschem Steuerzahlergeld zur Rettung spanischer Banken hätte antreten müssen, weil sie das ursprünglich in der Nachtsitzung vom Juni 2012 leichtfertig zugestanden hatte und die spanische Regierung mit Unterstützung des ClubMed damals darauf pochte.

Übrigens hat später der Bundestag die Gesetze zur Kompetenzübertragung auf die EZB in einer Sitzung von gerade einmal 45 Minuten kurz vor Mitternacht ohne namentliche Abstimmung verabschiedet. Man könnte sagen: naiv durchgewunken.

Interessenskonflikte

Ursprünglich hatte Deutschland statt der EZB eine neue selbstständige Aufsichtsbehörde für die Bankenaufsicht gewollt (man hätte natürlich auch die vorhandenen Bankenaufsichten näher koordinieren können). Nach Ansicht vieler kompetenter Kritiker sprach und spricht gegen die Rolle der EZB in der Bankenaufsicht der enorme Interessenkonflikt, weil die EZB nicht gleichzeitig die Unterstützung der Banken mit Krediten und über die Geldpolitik betreiben und dann unabhängig genug sein kann, um über die Schließung von Banken, die sie eben noch gestützt hat, mitzuentscheiden.

Doch Draghi, der die Bankenaufsicht unbedingt für die EZB wollte, versprach einen besonders raschen Aufbau der Aufsicht und eine interne Trennung der Bereiche durch sogenannte „chinesische Wände“ (chinese walls). Inzwischen hat die EZB begonnen, rund 1.000 neue Mitarbeiter anzuheuern. Dabei fehlt der EZB jede Erfahrung mit der Bankenaufsicht, und auch die Organisation so vieler Mitarbeiter aus so vielen Ländern dürfte sie vor riesige Schwierigkeiten stellen.

Nicolas Veron vom Bruegel und vom Peterson Institut warnt, dass die jetzt am Anfang vorgesehene Überprüfung der Banken starke Auswirkungen auf die Märkte haben kann und von der EZB selbst als das größte jemals in der Welt durchgeführte derartige Unternehmen dargestellt wird. Praktisch geht es um 130 Banken in 18 Ländern mit der Erfassung von 85 % aller Bankenaktiva der Eurozone. Dabei erhält die EZB sämtliche relevante Informationen von den nationalen Aufsichtsbehörden. In den falschen Händen können diese Informationen zum eigenen Vorteil missbraucht werden und den Spekulanten Tor und Tür öffnen.

Die beiden Frauen an der Spitze der neuen EZB-Bankenaufsicht, nämlich Mme. Nouy aus Frankreich und Frau Lautenschläger aus Deutschland, haben sich übrigens in ihren früheren Tätigkeiten in der nationalen Bankenaufsicht nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Nouy hat mit ihrer Aufsicht das enorm kostenträchtige Dexia-Debakel nicht verhindert. Lautenschläger trägt in Deutschland Mitverantwortung für die Pleiten von IKB, Hypo Real Estate, Sachsen LB und Commerzbank, ebenfalls für den Steuerzahler sehr teuere Vorgänge. Klaus Engelen weist darauf in seinem sehr lesenswerten Aufsatz „Draghi‘s German Nightmare“ in Banking-Union-Watch hin.

Oliver Wyman - die Spinne im Netz

Ein Jahr nach der schicksalsträchtigen Nachtsitzung vom Juni 2012 vergab die selbst total inkompetente EZB das Aufsetzen der Regeln für die Überprüfung der Bankbilanzen und die Betreuung deren Durchführung an die umstrittene amerikanische Beratungsfirma Oliver Wyman, eine Tochter des Finanzdienstleistungskonzerns Marsh & McLennan Companies (MMC) mit Büros in mehr als 50 Städten und 25 Ländern der Welt, mehr als 3.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz im Milliarden-US-Dollar-Bereich.

Die EZB selbst erklärt zu diesem Auftrag in einer Bekanntmachung: „Oliver Wyman wird die EZB im Design und der Implementierung unterstützen, einschließlich der Maßnahmen zur Sicherung der Qualität. Die Dienste werden auch den nationalen Aufsichtsbehörden zur Verfügung stehen.“ Wyman ist damit zur monopolistischen Spinne im EZB-Netz der neuen Bankenaufsicht geworden.

Wer aber ist Oliver Wyman?

Warum ist das Unternehmen so umstritten?

Hier hilft ein sehr guter Artikel weiter, den der schon erwähnte Klaus Engelen am 4. Mai in Banking-Union-Watch unter dem Titel „Why the call ,Oliver Wyman go home‘ gets louder“ geschrieben hat. Engelen weist zunächst auf die unheilvolle Rolle hin, die Wyman vor dem Ausbruch der Weltkreditkrise gespielt hat. Wyman hatte Citygroup empfohlen, massiv in den hochriskanten Bereich besicherter Schuldverschreibungen einzusteigen, was zu Verlusten von 50 Milliarden US-Dollar führte und die Rettung durch die Regierung nötig machte. Eine ähnliche Empfehlung mit ähnlichen Konsequenzen hatte Wyman der Schweizer UBS gegeben.

Doch den Vogel schoss Wyman mit seiner Einschätzung einer irischen Bank ab: 2007 bezeichnete Wyman die spätere Pleitebank Ango-Irish als die in den vorangegangenen fünf Jahren bestgeführte Bank der Welt. Nur wenig später musste der irische Steuerzahler für die milliardenschwere Rettung der Ango-Irish bluten.

Besonders problematisch ist die Betrauung eines amerikanischen Großunternehmens mit einer für die Eurozone so delikaten Aufgabe. Wyman berät fast alle großen US-Banken, die mit den europäischen Instituten konkurrieren. Nach einem Bericht in der Financial Times vom 18. März hat Wyman auch einen Bericht für die Lobbygruppe der City of London (TheCityUK) zur Abwehr von für die City negativen Folgen der neuen EZB-Bankenaufsicht erstellt.

Beraten von Oliver Wyman forderte die Banken-Lobby in London eine „muskulöse Verteidigung gegen die EU-Regulierung“, um zu verhindern, dass Banken von außerhalb Großbritanniens durch die EZB unter Druck kommen, große Teile ihres Geschäfts von London in die Eurozone zu repatriieren. Engelen verweist auf die Zweifel von Insidern in Deutschland, die wegen ihrer Explosivität bisher noch nicht öffentlich geäußert werden. Jeder scheint zu spüren, dass grundlegende Veränderungen anstehen - bei denen nicht fair gespielt wird.

Kein Wunder, dass die Banken in Europa hypernervös sind.

Die Banken wissen: Hier geht es um Insider-Wissen, das sie vor fremden Dritten ausbreiten müssen, ohne die geringste Kontrolle, dass alles streng vertraulich bleibt.

Wenn Wyman erst einmal die geheimen Daten der Bilanzen europäischer Banken, vor allem ihrer Finanzanlagen, auf seinen Computern hat, besteht dann nicht die Gefahr einer Weitergabe an die führenden Investmentbanken und Hedge Fonds-Könige an Wall Street und in der City of London? Was geschieht am Ende mit dem größten Schatz an Bankdaten, der jemals in der Welt entstanden ist? Ist gar schon der Beratungsbericht für die City of London auf der Basis von Insiderinformationen aus dem Auftrag der EZB entstanden?

Auf Anfrage der Deutschen Wirtschafts Nachrichten verteidigt die EZB die Bestellung von Wyman. Das Unternehmen sei der erfolgreich aus einer Ausschreibung hervorgegangene Kandidat und habe die Bedingungen am besten erfüllt. Die Medienberichte über die Beratung der City of London gäben den Sachverhalt nicht akkurat wieder. Oliver Wyman habe bereits die FT kontaktiert. Doch die FT hat nie eine Korrektur veröffentlicht. Auch die FAZ spricht - deutlich nach dem nie widerrufenen FT-Artikel - von Interessenskonflikten, die Wyman wegen seiner gleichzeitigen Tätigkeit für die EZB und die Londoner Banken-Lobby habe. Die FAZ führt als besonders schwerwiegend an, dass es auch personelle Verflechtungen gäbe: „Als führender Vertreter von Oliver Wyman in Großbritannien engagiert sich Partner Nick Studer in der Lobbyarbeit für London. Er gehört dem Board von City UK an.“ Doch die Lobby wiegelt ab und sagt, das sei „ein persönliches Amt“.

Zur Vertraulichkeit der Daten teilt die EZB den Deutschen Wirtschafts Nachrichten mit, sie werde von Wyman bei der Qualitätskontrolle unterstützt, die Vertraulichkeit der an die EZB übermittelten Daten bleibe vollständig gewahrt und sie blieben in der Kontrolle der EZB. Wie die Unterstützung stattfinden soll, ohne dass der Unterstützer Einsicht in die Daten bekommt, bleibt dabei wohl das Geheimnis der EZB.

Das Monopol von Wyman bei der EZB-Beratung verteidigt die EZB mit dem Umstand, dass die nationalen Aufseher, die der EZB zuarbeiten, von weiteren Beratungsfirmen und Wirtschaftsprüfern unterstützt würden. Das klingt so, als sei die Rolle der EZB zweitrangig.

Keine demokratische Kontrolle

In Deutschland war bisher das Bankenaufsichtsamt unter der Verantwortung des Bundesfinanzministers für die Bankenaufsicht zuständig. Dieser konnte über das Parlament zur Verantwortung gezogen werden.

Nun aber wird von einer Organisation entschieden, die sich in Europa gegenüber keinem einzigen Parlament zu verantworten hat. Klaus Engelen sieht als Draghis Ziel ein riesiges „Europäisches Gosplan System“ mit starken fiskalischen Eingriffsrechten, aber ohne jede demokratische Verantwortlichkeit.

Draghi selbst kam vor kurzem auf die Forbes-Liste der zehn mächtigsten Menschen der Welt. Um eine Wiederwahl muss er sich nicht sorgen, denn sein Vertrag endet erst 2019 im Alter von dann 72 Jahren. Dabei wird er mit 378.000 Euro/Jahr nicht schlecht bezahlt, jedenfalls doppelt so hoch wie die Chefin der amerikanischen Federal Reserve. Wie das Manager Magazin schreibt, verbringt Draghi selten mehr als zwei oder drei Tage pro Woche bei der EZB in Frankfurt und reist stattdessen oft nach Italien. In der Bank verlässt er sich ansonsten auf sein „Küchenkabinett“.

So benutzten und benutzen die Regierungen der Eurozone die Weltkredit- und Eurokrise, um immer mehr Verantwortung auf wählerferne, schlecht oder gar nicht demokratisch kontrollierte Instanzen zu verlagern, die auf die Interessen und Mitwirkungsrechte der Betroffenen keine Rücksicht nehmen. Die Freiheit jener Instanzen ist grenzenlos, die Freiheit der Menschen dagegen immer mehr eingegrenzt.

Joachim Jahnke, geboren 1939, promovierte in Rechts- und Staatswissenschaften mit Anschluss-Studium an französischer Verwaltungshochschule (ENA), Mitarbeit im Kabinett Vizepräsident EU-Kommission, Bundeswirtschaftsministerium zuletzt als Ministerialdirigent und Stellvertretender Leiter der Außenwirtschaftsabteilung. Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung in London, zuletzt bis Ende 2002 als Mitglied des Vorstands und Stellvertretender Präsident. Seit 2005 Herausgeber des „Infoportals“ mit kritischen Analysen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung (globalisierungskritisch). Autor von 10 Büchern zu diesem Thema, davon zuletzt „Euro – Die unmöglich Währung“, „Ich sage nur China ..“ und „Es war einmal eine Soziale Marktwirtschaft“. Seine gesellschaftskritischen Analysen beruhen auf fundierter und langjähriger Insider-Erfahrung.

Sein Buch über das Ende der sozialen Marktwirtschaft (275 Seiten mit 176 grafischen Darstellungen) kann unter der ISBN 9783735715401 überall im Buch- und Versandhandel für 15,50 Euro bestellt werden, bei Amazon hier.



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