Politik

Große Koalition entdeckt Haushaltsloch von 4 Milliarden Euro

Die Bundesregierung muss ihre offiziellen Ziele zum Schuldenabbau offenbar schon wenige Tage nach der Bekanntgabe wieder über den Haufen werfen: Plötzlich droht ein 4 Milliarden Euro-Budgetloch. Die Probleme klingen wie die Ouvertüre zu einer Steuererhöhungs-Orgie.
14.05.2014 00:28
Lesezeit: 2 min

Die große Koalition muss wegen eines Haushaltslochs von fast vier Milliarden Euro ihr Prestigeprojekt Budget-Sanierung schon wieder zu den Akten legen. Den Etatexperten im Regierungsbündnis bereitet vor allem eine vom Finanzgericht Hamburg verfügte, vorläufige Rückzahlung von 2,3 Milliarden Euro aus der Kernbrennstoffsteuer Kopfzerbrechen. Außerdem müssen fünf klagende AKW-Betreiber die Steuer vorerst nicht mehr entrichten, weshalb 2014 zunächst weitere rund 800 Millionen Euro fehlen. Hinzu kommt, dass der Bund in diesem Jahr mit 700 Millionen Euro geringeren Steuereinnahmen rechnen muss.

Wie Union und SPD das Haushaltsloch schließen wollen, ist völlig offen. Am Dienstag kamen Vertreter des Finanzministeriums und der Koalitionsfraktionen zu ersten Beratungen zusammen. Die Zeit drängt: Am 05. Juni will der Bundestags-Haushaltsausschuss letzte Hand an den Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2014 legen. Der Etatentwurf hatte sich wegen der Wahl im Herbst verzögert, seitdem gilt eine vorläufige Haushaltsführung.

In Koalitionskreisen hieß es, eine Variante zur Lösung des Problems sei, dieses Jahr mehr neue Kredite aufzunehmen als geplant. Bisher stehen neue Schulden von 6,5 Milliarden Euro im Plan. Nach jetzigem Stand könnte die Koalition hier noch 1,8 Milliarden Euro draufsatteln und würde trotzdem einen "strukturell" ausgeglichenen Etat erreichen, also ein Budget, das unter Herausrechnung von Konjunktureffekten zwischen Einnahmen und Ausgaben ausgeglichen wäre. Allerdings wäre der Haushalt damit auf Kante genäht. Würde etwa die Ukraine-Krise das Wirtschaftswachstum und damit die Steuereinnahmen dämpfen, kämen die Haushaltsziele der Koalition ernsthaft in Gefahr.

Noch ambitionierter ist das Haushaltsziel für 2015. Erstmals seit 1969 soll ganz auf neue Kredite verzichtet werden, um die Bundesausgaben zu finanzieren. Zuletzt gelang dies 1969.

Das Beispiel Kernbrennstoffsteuer zeigt, dass die Haushalts-Sanierung kein Selbstläufer ist. Zwar erwartet die Regierung, dass sie mit einer Beschwerde beim Bundesfinanzhof gegen die Eilentscheidung des Finanzgerichtes Hamburg Recht bekommt und die Milliarden aus der Kernbrennstoffsteuer noch 2014 zurück in ihren Etat fließen. Zunächst muss die Koalition aber ohne das Geld rechnen. Außerdem ist offen, wie das Verfahren in der Hauptsache ausgeht. Das Finanzgericht Hamburg hält die Steuer für verfassungswidrig und hat das Bundesverfassungsgericht und den Europäische Gerichtshof (EuGH) um Vorentscheidungen gebeten. Wenn die Koalition Pech hat, sind die Steuermilliarden futsch.

Der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Norbert Barthle, warnte vor der Illusion, die Schuldenwende sei schon geschafft: "Selbst bei denen, die beruflich mit Politik zu tun haben, ist ein Großteil der Auffassung, der ausgeglichene Haushalt sei schon Wirklichkeit." Tatsächlich seien noch einige Anstrengungen nötig, um die Etatwende zu erreichen. "Schäuble wäre nicht der erste Finanzminister, der kurz vor dem Ziel einknickt", warnte Barthle: "Das wollen wir nicht riskieren."

Um die Haushaltslücke zu stopfen, steuert die Koalition auf einen Mix von Einzelmaßnahmen zu. In der Schlussrunde der Etatberatungen im Bundestag könnten viele kleinere Kürzungen einen Beitrag liefern. "Der Ausschuss muss jetzt zeigen, dass er wirklich Sparen kann", forderte ein Koalitionsvertreter. Ein weiterer Teil könnte durch geschicktes Haushalten eingespart werden. Reicht das alles nicht aus, wird am Ende aber wohl kein Weg daran vorbeigehen, sich doch etwas mehr Geld zu leihen.

Eine solche Erhöhung der Neuverschuldung könnte allerdings politisch als Abkehr vom Sparkurs verstanden werden, weshalb die Etatexperten dies skeptisch sehen. Schließlich wird die große Koalition nicht müde zu betonen, dass die Sanierung des Bundeshaushalts ihr Markenzeichen ist - auch international.

Daher ist damit zu rechnen, dass die Diskussion bald in Richtung Steuererhöhungen laufen wird. In der Regel haben solche Ankündigungen von "völlig überraschenden" und "gänzlich unvohergesehenen" Problemen immer als Aufwärmrunde für höhere Steuern gedient.

Bezeichender Weise kann Schäuble den Haushalt auch mit den niedrigen Zinsen der EZB nicht sanieren.

Der Schuldenberg wächst Deutschland über den Kopf.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Kunstmarkt: Familienangelegenheiten im Auktionshaus Lempertz - und was Unternehmer davon lernen können
09.05.2025

Lempertz in Köln ist das älteste Auktionshaus der Welt in Familienbesitz. Isabel Apiarius-Hanstein leitet es in sechster Generation. Erst...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnquartiere als soziale Brennpunkte: Armut, Migration und Überalterung – Wohnquartiere überfordert
09.05.2025

Armut, Migration, Wohnungsmangel, Überalterung und Einsamkeit: Immer mehr Wohnquartiere in Deutschland sind überfordert. Eine neue Studie...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie auf Rekordkurs nach starkem Quartalsgewinn – und nun?
09.05.2025

Die Commerzbank-Aktie hat zum Start in den Börsenhandel am Freitag zugelegt – und im Handelsverlauf ein neues Jahreshoch erreicht. Das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU schlägt zurück: Diese US-Produkte stehen nun im Visier von Brüssel
09.05.2025

Die Europäische Kommission hat eine umfassende Liste von US-Produkten veröffentlicht, auf die im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Daimler-Sparprogramm: Was plant Daimler Truck in Deutschland?
09.05.2025

Der Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck strebt an, seine Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu erhöhen und hat sich mit dem...

DWN
Panorama
Panorama Endlos-Hitze droht im Sommer: Wetterextreme betreffen jüngere Generationen erheblich stärker
09.05.2025

Endlos-Hitze droht im Sommer - diese Schlagzeile geistert an diesem Freitag durch die Medien. Klar ist, dass die Folgen der globalen...

DWN
Technologie
Technologie Datenfalle USA: Warum viele Unternehmen in Gefahr sind - ohne es zu merken
09.05.2025

Viele Unternehmen übertragen täglich Daten in die USA – und merken nicht, dass sie damit in eine rechtliche Falle tappen könnten. Das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Chinas Exporte überraschen - Fokus auf die USA
09.05.2025

Trotz des anhaltenden Handelskonflikts mit den Vereinigten Staaten sind Chinas Exporte überraschend robust geblieben. Der Außenhandel mit...