Deutschland

Mehrheit der Bürger will nicht, dass Deutschland die Rolle einer Weltmacht spielt

Im Gegensatz zur Politik wollen die Bürger nicht, dass Deutschland die Rolle einer Weltmacht übernimmt. Deutschland habe genug eigene Probleme, um die es sich vorrangig kümmern müsse. Militär-Einsätze und Waffenlieferungen werden mit deutlichen Mehrheiten abgelehnt. Die Bürger verweigern der Bundesregierung bei internationalen Abenteuern die Gefolgschaft - etwa im Fall der Auseinandersetzung mit Russland, wo es einen offenkundigen Dissens zwischen der Regierung und den Bürgern gibt.
16.08.2014 00:05
Lesezeit: 2 min

Einmischen oder zurückhalten? Diese beiden Möglichkeiten gibt es für die außenpolitischen Rolle Deutschlands. Seit Joachim Gaucks Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz, bei der er ein stärkeres außenpolitisches Engagement Deutschlands in der Welt gefordert hat, schließen sich immer mehr Politiker diesem Aufruf an. Am Donnerstag kündigte etwa Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier an, dass er Waffenlieferungen an den Irak nicht mehr ausschließe (mehr dazu hier).

Während die Politik auf mehr Engagement drängt, ist die überwiegende Mehrheit der Deutschen gegen eine stärkere außenpolitische Präsenz:

„Als Hauptgründe für ihren Wunsch nach einer stärkeren Zurückhaltung geben in der aktuellen Umfrage 73 Prozent an, dass Deutschland genug eigene Probleme habe, um die es sich zuerst kümmern sollte. 50 Prozent begründen ihre Zurückhaltung mit der deutschen Geschichte – insbesondere Befragte ab 60 Jahren argumentieren so. 37 Prozent finden, Deutschlands Einfluss in der Welt sei zu gering, um etwas bewirken zu können“, so das Ergebnis der Umfrage „Einmischen oder zurückhalten?“ zur Sicht der Deutschen auf die Außenpolitik, durchgeführt im Mai 2014 von der Körber-Stiftung.

Dieses Verhältnis zwischen Politik und Gesellschaft und dem Wunsch nach einem stärkeren Engagement hat sich in den vergangen 20 Jahren diametral geändert. Vor zwanzig Jahren wollten noch zwei Drittel der Deutschen ein stärkeres außenpolitisches Engagement, heute nur noch ein Drittel:

Mitte der 1990er-Jahre dominierten fast täglich erschreckende Kriegsbilder aus Bosnien die Abendnachrichten . Es gab allgemein das Gefühl, dass gegen diese Gräuel etwas getan werden muss. Heute stellt sich die internationale Lage in Europa weniger dramatisch da. Ich selber habe so eine starke Umkehr der öffentlichen Meinung allerdings auch nicht erwartet“, so Thomas Paulsen, Leiter Internationale Politik der Körber-Stiftung, zu den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.

Eine zweite Erklärung für den Meinungswandel sei, dass sich Deutschland seit 1994 bereits stärker in der Welt engagiert hat, etwa in Afghanistan, Kongo oder am Balkan, so Paulsen.

Der Wunsch der Mehrheit nach Zurückhaltung bedeutet nicht, dass die Politik sich daran hält: „Das beste Beispiel ist Afghanistan. Eine Mehrheit der Deutschen war gegen die Präsenz der Bundeswehr am Hindukusch, doch Bundesregierung und Bundestag haben den Einsatz Jahr für Jahr verlängert. Das war nur möglich, weil die Außenpolitik nicht so eine wichtige Rolle für die Bürger spielt wie andere Politikfelder, beispielsweise die Gesundheitspolitik. Es wäre sehr viel schwieriger, in diesem Bereich eine Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung solange durchzuhalten“, sagt Paulsen.

Für den Schutz der Menschenrechte oder Frieden in der Welt ist die gesellschaftliche Bereitschaft höher, einzugreifen. 66 Prozent halten diese Aufgabe für wichtig - 27 Prozent mehr als im Jahr 1994. „Werden die Bürger allgemein und abstrakt befragt, ist die Ablehnung höher. Werden sie konkret gefragt, etwa ob das Engagement zur Verhinderung eines Völkermordes oder zur Erhaltung des Friedens in Europa führen soll, ist die Bereitschaft der Bürger höher, einem Einsatz zuzustimmen.“ Wirtschaftliche Interessen sind hingegen kein Argument, um ein stärkeres Engagement zu fordern.

Vor allem die Jüngeren sind für eine größere außenpolitische Rolle Deutschlands. Liegen massivste Menschenrechtsverletzungen vor, etwa bei Völkermord, sollte Deutschland auch ohne internationales Mandat die Bundeswehr schicken, so die Meinung dieser Altersgruppe. „Viele der älteren Bürger haben den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt. Vermutlich sind sie deshalb zurückhaltender“. Die Jungen seien sowohl idealistischer als auch internationalistischer.

Für die Bürger gibt es klare Vorstellungen darüber, wie ein internationaler Einsatz auszusehen habe: Humanitäre Hilfe und diplomatische Verhandlungen sollen verstärkt werden. Militär-Einsätze und Waffenlieferungen werden von 80 Prozent der Befragten abgelehnt.

Trotz der gegenwärtigen Spannungen erkennen Deutsche weiterhin die Notwendigkeit, mit Russland zusammenzuarbeiten: „Es gibt in Deutschland eine hohe traditionelle Wertschätzung gegenüber Russland und lange gewachsene Verbindungen. Das umfasst fast alle Bereiche wie Kultur, Handel und Politik. Die Wertschätzung Russlands ist aber nicht gleichbedeutend mit einer Wertschätzung Putins“, so Paulsen.

 

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Landtagswahlen Baden-Württemberg 2026: AfD liegt vor den Grünen – eine Partei gewinnt noch mehr
09.05.2025

Die AfD überholt erstmals laut Insa-Umfrage die grüne Partei in Baden-Württemberg, die seit 13 Jahren regiert und die größte...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Kunstmarkt: Familienangelegenheiten im Auktionshaus Lempertz - und was Unternehmer davon lernen können
09.05.2025

Lempertz in Köln ist das älteste Auktionshaus der Welt in Familienbesitz. Isabel Apiarius-Hanstein leitet es in sechster Generation. Erst...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnquartiere als soziale Brennpunkte: Armut, Migration und Überalterung – Ghettobildung nimmt zu
09.05.2025

Armut, Migration, Wohnungsmangel, Überalterung und Einsamkeit: Immer mehr Wohnquartiere in Deutschland sind überfordert. Eine neue Studie...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie auf Rekordkurs nach starkem Quartalsgewinn – und nun?
09.05.2025

Die Commerzbank-Aktie hat zum Start in den Börsenhandel am Freitag zugelegt – und im Handelsverlauf ein neues Jahreshoch erreicht. Das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU schlägt zurück: Diese US-Produkte stehen nun im Visier von Brüssel
09.05.2025

Die Europäische Kommission hat eine umfassende Liste von US-Produkten veröffentlicht, auf die im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Daimler-Sparprogramm: Was plant Daimler Truck in Deutschland?
09.05.2025

Der Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck strebt an, seine Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu erhöhen und hat sich mit dem...

DWN
Panorama
Panorama Endlos-Hitze droht im Sommer: Wetterextreme betreffen jüngere Generationen erheblich stärker
09.05.2025

Endlos-Hitze droht im Sommer - diese Schlagzeile geistert an diesem Freitag durch die Medien. Klar ist, dass die Folgen der globalen...

DWN
Technologie
Technologie Datenfalle USA: Warum viele Unternehmen in Gefahr sind - ohne es zu merken
09.05.2025

Viele Unternehmen übertragen täglich Daten in die USA – und merken nicht, dass sie damit in eine rechtliche Falle tappen könnten. Das...