Politik

Vergreisung in Deutschland: Mehr Windeln für Senioren, weniger für Babys

Die Alterung der Gesellschaft lässt sich inzwischen auch an realen Verkaufszahlen ablesen: Windeln sind nicht mehr nur Produkte für Babys, sondern zunehmend für Senioren. Die Hersteller beginnen, ihre Produktion auf die veränderte Nachfrage umzustellen.
07.11.2014 01:36
Lesezeit: 2 min

Die Vergreisung der Gesellschaft macht sich zunehmend im Handel bemerkbar: Der Umsatz für Inkontinenz-Produkte stieg in Deutschland allein in den vergangenen zwölf Monaten um 7,4 Prozent. Gleichzeitig ging der Umsatz für Baby-Windeln im vergangenen Jahr um 0,4 Prozent zurück. Der Trend geht also eindeutig zu Ungunsten der Babys, wie aus Daten des Marktforschungsinstituts Nielsen hervorgeht, die den Deutschen Wirtschafts Nachrichten vorliegen.

Hochgerechnet auf die Zukunft bedeutet das: Geht die Entwicklung so weiter wie bisher, werden in Deutschland ab dem Jahr 2067 mehr Windeln an Senioren als an Babys verkauft.

Der Vergleich dieser beiden Entwicklungen illustriert die Alterung einer Gesellschaft, da Inkontinenz hauptsächlich Babys und Senioren betrifft - wenn auch nicht ausschließlich, wie die Tena-Marketingdirektorin Martina Röck den Deutschen Wirtschafts Nachrichten erläutert: „Mehr als 8 Millionen Erwachsene in Deutschland leiden an Blasenschwäche, doch die Dunkelziffer liegt weit höher“ so Rück. Denn längst nicht jeder Betroffene kaufe sich die entsprechenden Produkte oder wisse überhaupt, dass es sie gibt.

Das könnte auch erklären, warum in absoluten Zahlen in Deutschland immer noch rund sechs mal mehr Umsatz mit Baby-Windeln gemacht wird als mit Inkontinenz-Produkten. Ein Baby verbraucht pro Jahr dreimal so viel Windeln wie ein Erwachsener mit Blasenschwäche. Langfristig gesehen rentieren sich die Inkontinenz-Produkte dennoch. Denn anders als Babys, die in der Regel nur drei Jahre auf Windeln angewiesen sind, verwenden inkontinente Erwachsene die Produkte teils über Jahrzehnte.

Tena ist der Markführer für Inkontinez-Produkte und vertreibt mit SCA seine Produkte weltweit. Allein im vergangenen Jahr machte Tena einen globalen Umsatz von über 10 Milliarden. Aus den Jahresberichten geht hervor, dass der Markt für Inkontinenz-Produkte das größte Wachstumspotential aufweist. SCA macht damit bereits 56 Prozent seiner Umsätze, Baby-Windeln, die SCA allerdings nicht in Deutschland vertreibt, machen lediglich 29 Prozent der Verkäufe aus.

Weltweit wächst der Markt für Inkontinenz-Produkte jedes Jahr um über 8 Prozent. Allein in den USA hat sich der Umsatz in den vergangenen 15 Jahren verdreifacht. Wie das Wall-Street-Journal berichtet, ging der Absatz von Babywindeln dort in den vergangenen 5 Jahren sogar um 8 Prozent zurück, der Absatz von Seniorenwindeln wuchs hingegen um 20 Prozent. Eine Entwicklung, die sogar den Pampers-Hersteller Procter & Gamble jüngst veranlasste, in den Seniorenmarkt einzusteigen. Ein japanischer Hersteller, der sowohl Baby-Windeln als auch Windeln für Erwachsene vertreibt, verkauft bereits seit dem vergangenen Jahr mehr Produkte für Senioren als für Säuglinge. Die Verkaufszahlen spiegeln auch hier die demografische Entwicklung der fortgeschrittenen Vergreisung: Statistisch gesehen sind die Japanern derzeit das älteste Volk der Welt. Direkt danach kommt in der globalen Altersstatistik Deutschland.

Dass die Verkaufszahlen für Inkontinenz-Produkte die der Baby-Windeln auch hierzulande eines Tages einholen ist daher ein Szenario, dass sich die SCA-Marketingleiterin auch für Deutschland vorstellen könnte. Tena-Marketing-Direktorin Röck zufolge birgt der Markt für Tena jedenfalls noch großes Wachstumspotential, denn immerhin werde im Jahr 2040 bereits jeder Dritte Deutsche über 65 sein. „Deutschland ist das zweitälteste Land überhaupt, gleichzeitig gehen die Geburtenraten immer mehr zurück – wenn man diese beiden demografischen Entwicklungen übereinanderlegt, ergibt sich eine eindeutige Trendkurve“. Die Geburtenrate in Deutschland ist derzeit die niedrigste in der gesamten EU.

Dieser Trend, der in den vergangen Jahren auch in anderen Teilen der Welt zu beobachten ist, zeigt immer deutlichere wirtschaftliche Machtverhältnisse. Denn bereits jetzt besitzen Senioren ein Drittel der privaten Konsummittel. Wie lukrativ der Markt für Senioren tatsächlich ist entdecken die Händler allerdings eher langsam. Laut Marktanalysen des Nielsen-Instituts sind immernoch die meisten Geschäfte schlecht auf ältere Konsumenten eingestellt. Nielsen schlägt daher unter anderem vor, Drogeriemärkte und auch Supermärkte künftig durch eigene Senioren-Regale nach dem Vorbild der Baby-Regale zu ergänzen.

In Anbetracht der demografischen und wirtschaftlichen  Entwicklung  könnten die Baby-Regale durch die Senioren-Regale jedoch bald nicht mehr ergänzt werden, sondern vielmehr ersetzt werden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Weltwirtschaft: IWF warnt vor Folgen von Trumps Zollpolitik
22.04.2025

Trumps neue Zolloffensive sendet Schockwellen durch die Weltwirtschaft. Der IWF sieht die globale Konjunktur in der Krise und senkt seine...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Der Preis der Führungsdiplomatie: Zwischen Beziehung und Ergebnis
22.04.2025

Harmonie und Klarheit: Warum effektive Führung mehr verlangt als nur gutes Zuhören – und wie man den Spagat meistert.

DWN
Panorama
Panorama Wie lange können wir noch mit Bargeld zahlen?
22.04.2025

Trotz digitaler Bezahlmöglichkeiten will eine klare Mehrheit der Deutschen am Bargeld festhalten. Die Bundesbank teilt diese Haltung –...

DWN
Finanzen
Finanzen Wie der Dollar seinen Thron verliert – Das Ende einer Ära hat begonnen
22.04.2025

Die Weltordnung bröckelt – auch auf den Währungsmärkten. Der Dollar, lange Zeit unangefochtener „König“ unter den...

DWN
Panorama
Panorama Einbruchschutz: So sichern Sie Ihr Zuhause wirksam
22.04.2025

Die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland steigt wieder, bleibt aber unter dem Vor-Pandemie-Niveau. Die meisten Täter geben nach...

DWN
Finanzen
Finanzen Gold erreicht erstmals 3.500 Dollar
22.04.2025

Ein turbulenter Präsident, ein unter Druck stehender Notenbankchef – und Anleger, die das Vertrauen verlieren. Während Donald Trump...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Attacke auf Fed: Wenn Trump Powell unter Druck setzt, drohen wirtschaftliche Turbulenzen
22.04.2025

Am Gründonnerstag senkte die Europäische Zentralbank (EZB) erneut die Leitzinsen – ein Schritt, der unter normalen Umständen das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft USA: Höchste Zahl an Firmeninsolvenzen seit der Finanzkrise
22.04.2025

Zinsdruck, Konsumflaute, Strukturprobleme: Immer mehr US-Unternehmen gehen pleite – ein wirtschaftlicher Selbstreinigungsprozess mit...