Matt King, Ökonom bei der Citi, war einer der wenigen Analysten, die den Lehman-Crash vorhergesehen hat. Nun warnt er davor, dass die Zentralbanken mit ihrer massiven Geldschwemme das Verhalten der Märkte erneut negativ beeinflussen: Es entstehen Blasen, die, wenn sie platzen, weltweit zu Verwerfungen führen werden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Ihrer neuesten Analyse schreiben Sie, dass in den letzten Jahren die Liquiditäts-Spritzen die wesentlichen Treiber der Märkte gewesen sind und nicht die Fundamentaldaten. Wenn das der Fall ist, was ist der Ausweg?
Matt King: In der Präsentation gibt es eine kleine Folie (über einen Paradigmenwechsel). Der wahrscheinlichste Ausweg besteht darin, dass die Zentralbanken weiter neue Blasen aufblasen, aber mit dem Risiko großer Schmerzen, wenn sie schließlich platzen.
Am besten wäre es meiner Ansicht nach, wenn sie die Blasen nicht zu sehr aufblasen und einfach Zeit kaufen. Dann könnten wir langsam die Schulden abbauen wie in Japan (bis vor kurzem). Die Leute werden geschockt die Hände hochreißen und sagen, dass es schrecklich ist. Ich hingegen würde sagen, dass ein Wachstum nahe Null kein so schlechtes Ergebnis ist in einer Umgebung alternder Bevölkerungen, zurückgehender Produktivität und massiver Überschuldung.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie kommt es, dass sich niemand die Fundamentaldaten anschaut?
Matt King: Die Investoren schauen sich die Fundamentaldaten doch an und machen sich Sorgen darüber. Doch die Liquidität spielt eine größere Rolle als alles andere, solange sie anhält. Unternehmen, die pleite gehen sollten, erhalten stattdessen Refinanzierungen mit längeren Laufzeiten (und oft gelockerten Vereinbarungen). Dies trägt zu ihrer Leistungsfähigkeit bei hochverzinslichen Anleihen bei – und macht es für Investoren (die alle Sklaven kurzfristiger Gewinne sind) unmöglich, sie nicht zu besitzen.
Anders gesagt: Alles ist vertretbar – vorausgesetzt die niedrigen Zinssätze bleiben ewig erhalten.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie erklären, dass die Zentralbanken über mehr als ein Jahr „ihre Unterstützung still und leise reduziert haben“. Heißt das, dass entweder die Zentralbanken ihre Geldspritzen fortsetzen oder eine bedeutende Marktkorrektur droht?
Matt King: Ich denke, man konnte die Korrektur der Märkte kürzlich sehen als eine Art überfällige Reaktion auf das Schrumpfen der EZB-Bilanz und das Fed-Tapering, das wir bisher gesehen haben. Aber ja: Wenn die EZB keine Ausweitung ihrer Bilanz erreicht, dann fürchte ich einen weiteren Kurseinbruch – höchstwahrscheinlich bis zu dem Punkt, wo die Zentralbanken wieder denken, dass sie einschreiten müssen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie berechnen, dass „200 Milliarden Dollar pro Quartal nötig sind, nur um einen Kurseinbruch an den Märkten zu verhindern“. Heißt das, dass die Märkte abhängig sind von Eingriffen der Zentralbanken?
Matt King: Das ist eine sehr grobe Rechnung, die auf einem bestimmten Diagramm basiert. Aber ja: Es wird zunehmend klar, dass die Liquidität das Einzige ist, was die Märkte interessiert, nicht die zugrunde liegenden Fundamentaldaten. Und in dieser Hinsicht (am offensichtlichsten in den USA) ist eine echte Erholung das Letzte, was die Märkte gern sehen würden!
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Besteht diese Abhängigkeit auch auf den Märkten für Staatsanleihen?
Matt King: Sagen wir einfach, dass es kaum Investoren gibt, welche die Anleihen der Randstaaten zu diesen Preisen kaufen würden, wenn sie nicht glauben würden, dass es eine gewisse Chance auf EZB-Stützung gibt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wenn die Zentralbanken die Stützung im erforderlichen Maß aufrechterhalten – kann das ewig fortgesetzt werden?
Matt King: Im Prinzip ja. Die Wahrscheinlichkeit einer Inflation ist sehr gering, solange eine mangelnde Nachfrage nach Investitionen in der Realwirtschaft besteht. Also vorausgesetzt sie übertreiben es nicht, zeigt Japan, dass ein langer und langsamer Schuldenabbau machbar ist, wobei die Zentralbanken Zeit für Reformen anderswo kaufen.
Die Risiken sind, dass zu irgendeinem Zeitpunkt die Blasen groß genug werden, dass die Investoren auf jeden Fall nervös werden, und/oder dass die Zentralbanken sich gezwungen sehen, zu viel zu tun, weil die Reformen anderswo fehlen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wenn die Zentralbanken die Stützung nicht aufrechterhalten – ist ein Crash der Märkte unausweichlich?
Matt King: Das ist vielleicht stärker gesagt, als ich es ausdrücken würde. Viel hängt von der genauen Folge der Ereignisse ab, von der Art und Weise, wie Liquidität bereitgestellt oder zurückgenommen wird. Aber ja: Wenn die Zentralbanken ihre Stützung zurückziehen würden, dann scheint es sehr wahrscheinlich, dass die Märkte fallen würden.