Die EZB darf nach Ansicht des Generalanwalts am Gerichtshof der Europäischen Union unter bestimmten Voraussetzungen massenhaft Staatsanleihen von Euro-Krisenländern kaufen. Das 2012 in Aussicht gestellte OMT-Programm sei erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne, da die EZB kein Risiko eingehe, das sie notwendigerweise einem Szenario der Insolvenz aussetze, erklärte Generalanwalt Pedro Cruz Villalon am Mittwoch in Luxemburg. Voraussetzung sei aber, dass sich die EZB aus den für einen betroffenen Staat geltenden Reformprogrammen heraushalte.
Die EZB ist in Ländern wie Griechenland Teil der sogenannten Troika aus EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds, die für die Überwachung der Reformauflagen zuständig ist. Über eine mögliche Begrenzung von Anleihenkaufprogrammen der EZB sagte Cruz Villalon bei der Verlesung seiner Schlussanträge nichts. Seine Einschätzung ist für die Richter am EuGH nicht bindend, in vielen Fällen folgen sie aber der Argumentation.
Im vorliegenden Fall ging es um die Klage gegen die EZB-Ankündigung vom Sommer 2012, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenländern zu kaufen(AZ: C-62/14). Das Bundesverfassungsgericht hatte die Entscheidung darüber nach Luxemburg übertragen und damit juristisches Neuland betreten. Die Schlussanträge des Generalanwalts dürften nach Einschätzung von Experten über das von der EZB nie angewandte sogenannte OMT-Programm hinaus auch Einfluss auf die Ausgestaltung der massiven Anleihenkäufe haben, die von der Notenbank im Kampf gegen Wirtschaftsflaute und Preisverfall im Euroraum in Aussicht gestellt wurden. Die Frankfurter Währungshüter könnten schon am 22. Januar über die geldpolitische Lockerung (Quantitative Easing) entscheiden.
Die Entscheidung der EZB im Januar dürfte somit die folgenreichste Entscheidung der Geschichte der Euro-Zone sein: Mit dem geplanten Ankauf von Staatsanleihen endet die nationale Souveränität der Euro-Staaten. Die Finanzen der Staaten werden dann nicht mehr von den Parlamenten kontrolliert, sondern von einer Zentralbank, deren Organe niemandem verantwortlich sind. Auch Deutschland würde so seine Budgethoheit verlieren – und damit einen wesentlichen Teil der Souveränität aufgeben.
Ein Beispiel: Die CDU bat Anfang Januar Draghi höflich, er möge klarstellen, dass kein Geld aus anderen Euro-Staaten nach Griechenland geht. Der Vorgang zeigt: Die Parlamentarier sind nicht mehr Herr über das Budget, sondern müssen einen demokratisch nicht legitimierten Zentralbanker bitten, das Steuergeld der Deutschen nicht zu verschwenden.
Italien hingegen hofft auf das OMT-Programm. Notenbank-Chef Ignazio Visco baut Druck auf die EZB auf: Sie soll Staatsanleihen und faule Kredite kaufen, damit die italienischen Banken nach ihren Kredit-Orgien gerettet werden. Die Haftung geht in diesem Fall auf die europäischen Steuerzahler über.