Politik

„Ohne die Hafenstadt Mariupol hat die Volksrepublik Donezk keine Chance“

Christian Wehrschütz vom ORF hat die Entwicklung in der Ost-Ukraine von Anfang an in der Region beobachtet. Er glaubt, dass es zu einem Kampf um Mariupol kommen werde. Die von den Rebellen ausgerufene Volksrepublik Donzek brauche den strategisch wichtigen Hafen. Er sieht die Wurzel der Spannungen als Folge der Spannungen aus dem Kalten Krieg.
01.02.2015 00:46
Lesezeit: 2 min

Christian Wehrschütz ist Korrespondent des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Österreich und einer der letzten Reporter, die noch aus Donezk berichten. Im vergangenen Jahr wurde er in Österreich zum „Journalisten des Jahres“ gekürt.

Über die Situation der Menschen im Oblast Donezk sagte er den Deutschen Wirtschafts Nachrichten:

„Die Menschen im Oblast Donezk sind auf die Hilfslieferungen aus Russland, durch den Hilfsfonds des Oligarchen Rinat Achmetow sowie durch andere Hilforganisationen (IKRK; Ärzte ohne Grenze) angewiesen. Achmetow unterstützt 330.000 Menschen mit humanitären Hilfslieferungen. Er hat auch ein Interesse daran, seine Kohlegruben und seine Stahlwerke im Osten des Landes zu schützen, die teilweise auf dem Gebiet der prorussischen Kräfte sowie auch auf dem ukrainisch kontrollierten Territorium liegen. Achmetow sitzt im Grunde zwischen zwei Stühlen und gibt keine politischen Statements oder Interviews. Das Hauptproblem bei der Versorgung sind ein gewisser Mangel an Medikamenten und Nahrungsmitteln. Vor allem kinderreiche Familien, Alleinerziehende und Senioren sind betroffen. Zudem werden die finanziellen Mittel der Menschen knapper. Das bedeutet, dass vor allem chronisch kranke Personen Probleme haben, weil etwa bei Diabetikern Insulin nicht nur knapp, sondern auch sehr teuer ist.“

Über die Kämpfe um den Flughafen von Donezk sagte er: „Der Flughafen ist unbrauchbar; Start- und Landebahnen sind zerstört. Doch dem Flughafen kommt eine symbolische und eine eingeschränkte militärische Bedeutung zu. Einerseits geht es um das Symbol von Sieg und Niederlage nach vielen Monaten der Kämpfe, anderseits geht es um das militärische Einwirken können auf die Stadt, weil der Flughafen nur knapp außerhalb von Donezk liegt.“

Die Freiwilligen-Bataillone in der Ost-Ukraine seien hingegen untereinander sehr verschieden.

Wehrschütz wörtlich:

„Mit den Bataillonen macht man unterschiedliche Erfahrungen. Es gibt mehrere Bataillone, die sich aus vielfältigen Personen zusammensetzen. Sie haben ideologische Kämpfer, aber auch normale Bürger, die sich diesen Bataillonen aus dem Anspruch der Selbstverteidigung angeschlossen haben. Dann gibt es natürlich auch Gerüchte und Geschichten über Vergewaltigungen und Alkoholismus innerhalb einiger Bataillone. Mir hat etwa Krankenhauspersonal erzählt, dass verwundete Freiwillige betrunken und mit Kalaschnikows durch die Gänge gegangen seien, was erst nach Protesten beim vorgesetzen Offizier abgestellt werden konnte.“

Die Hafenstadt Mariupol habe eine große Bedeutung für die Rebellen: „Mariupol ist eine wichtige Hafenstadt mit drei großen Stahlwerken. Wenn die sogenannte Republik Donezk eine Überlebenschance als künftiger Staate haben möchte, muss sie von den Rebellen eingenommen werden. Alleine die Eroberung Mariupols reicht nicht aus für einen überlebensfähigen Staat. Doch ohne Mariupol hätte die Republik Donezk überhaupt keine Überlebenschance.“

Russland hingegen übertreibe die Rolle der NATO in der Ukraine:

„Der erste Punkt ist, dass Russland die Rolle der NATO in diesem Konflikt maßlos übertreibt, anders sieht es natürlich mit einzelnen NATO-Mitgliedern aus, die mit Russland in der Gestalt der Sowjetunion schlechte Erfahrungen gemacht haben. Auf der anderen Seite möchten viele Menschen in der Westukraine den Nato-Beitritt, weil sie sich im Krieg gegen Russland sehen. Auch hier wird übertrieben. Ein Nato-Beitritt der Ukraine ist weder jetzt noch in absehbarer Zukunft wahrscheinlich. Die Menschen in der Ost-Ukraine sehen dagegen in der NATO und in den USA vielfach ein absolutes Feindbild. Da wirkt der Kalte Krieg noch nach, denn man darf nicht vergessen, dass viele Städte der Ostukraine eher sowjetisch denn russisch geprägt sind.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Experten-Webinar: Ist Bitcoin das neue Gold? – Chancen, Risiken und Perspektiven

Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unsicherheiten: Viele Anleger fragen sich, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wachsender...

DWN
Politik
Politik Rechtsruck in Polen – schlechte Aussichten für Berlin?
02.06.2025

Polen hat einen neuen Präsidenten – und der Wahlausgang sorgt europaweit für Nervosität. Welche Folgen hat der Rechtsruck für Tusk,...

DWN
Politik
Politik Trump zieht Investoren ab – Europa droht der Ausverkauf
02.06.2025

Donald Trump lockt mit Milliarden und Zöllen Investoren zurück in die USA – Europa verliert an Boden. Bricht der alte Kontinent im...

DWN
Politik
Politik Plan von Klingbeil: Steuerentlastungen für Unternehmen – das sind die Details
02.06.2025

Die schwarz-rote Koalition will zeigen, dass sie Probleme angeht – auch die schwächelnde Wirtschaft. Finanzminister Lars Klingbeil will...

DWN
Technologie
Technologie Robotikbranche 2025 in schwieriger Phase – Umsatzrückgang droht
02.06.2025

Die deutsche Robotikbranche kämpft 2025 mit rückläufigen Umsätzen und schwankenden Rahmenbedingungen. Welche Teilbereiche sind...

DWN
Finanzen
Finanzen Biontech-Aktie hebt ab: Milliardenkooperation mit US-Pharmaunternehmen
02.06.2025

Die Biontech-Aktie erhält neuen Aufwind: Eine milliardenschwere Allianz mit Bristol-Myers Squibb weckt Hoffnung bei Anlegern und...

DWN
Finanzen
Finanzen Hensoldt-Aktie auf Rekordjagd: Was Anleger jetzt wissen sollten
02.06.2025

Die Hensoldt-Aktie überrascht mit einem historischen Kursfeuerwerk – doch ist der Höhenflug gerechtfertigt? Anleger sollten genauer...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft KfW-Analyse: Mittelstand zieht sich aus dem Ausland zurück
02.06.2025

Eine aktuelle KfW-Analyse zeigt: Immer mehr Mittelständler ziehen sich aus dem Auslandsgeschäft zurück. Was steckt hinter dem Rückzug...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Personalstrategie: Warum Top-Kandidaten oft scheitern – und was das über unser System verrät
02.06.2025

Ein Blick hinter die Kulissen zeigt: Bei der Personalauswahl geht es immer weniger um Kompetenz – und immer mehr um Bauchgefühl,...