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Ukraine: Deutsche Unternehmen aus dem Mittelstand unter Druck

Lesezeit: 4 min
27.03.2015 00:09
Die Geschäfte deutscher Mittelständler in der Ukraine geraten durch den militärischen Konflikt ins Stocken. Zahlreiche Firmen im Westen des Landes können Frachtlieferungen aus dem Ausland nicht mehr bezahlen. Das Geld wird knapp. Mutterfirmen kürzen die Budgets für ihre Tochtergesellschaften im Krisengebiet. Diese müssen ihre Geschäfte zurückführen oder ganz einstellen.

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Noch immer sind zahlreiche deutsche Unternehmen in der Ukraine tätig. Obwohl die Situation angespannt ist, ziehen sich die Firmen noch nicht aus dem osteuropäischen Land zurück. Die meisten Betriebe sind im Westen der Ukraine angesiedelt, der nicht von Kampfhandlungen betroffen ist. Doch die Mobilisierung der ukrainischen Armee hat auch die Mittelständler vor Ort erschüttert. Die Einberufung der Mitarbeiter in den Wehrdienst bringe die Produktionsabläufe vieler Unternehmen durcheinander, sagt Marcus Felsner, Vorsitzender des Osteuropavereins der deutschen Wirtschaft.

Schätzungen des Vereins zufolge sind noch etwa 2.000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung in der Ukraine tätig, darunter Tochtergesellschaften deutscher Firmen wie etwa der Autozulieferer Leoni, Großhändler Metro oder der Elektronikkonzern Siemens. Die Unternehmen vor Ort beschäftigen im Schnitt rund 1.100 Mitarbeiter.

Während die Produktion im Westen der Ukraine weitgehend aufrechterhalten werden kann, sind die meisten Produktionsstätten deutscher Unternehmen in der Ostukraine unzugänglich. Märkte und Geschäfte sind aufgrund der hohen Gefahr von Plünderungen geschlossen. Die Stilllegung der Produktion zieht auch deutsche Speditionen in Mitleidenschaft, die keine Waren mehr in das Krisengebiet liefern können.

Die Frachten, die noch in die Ukraine gelangen, können meist nicht bezahlt werden. Aufgrund der Wirtschaftskrise – die Ukraine wird nur noch durch Kredite aus dem Ausland vor der Staatspleite bewahrt – hat zu einem Verfall der Währung geführt. In der Folge sinkt die Verfügbarkeit von Devisen, was zu Liquiditätsengpässen führt.

Aufgrund der schwierigen Situation kürzen viele Unternehmen mit Sitz in Deutschland ihre Budgets für die Krisenregion. Damit schneiden sie ihre Tochterfirmen fast komplett vom Markt ab. „Es wird deswegen kein Unternehmen von deutscher Seite geschlossen, aber es ist eine stille Rückführung des Geschäfts“, sagte Felsner einem Bericht von N-TV zufolge.

Aufgrund des anhaltenden Krieges in der Ukraine ist auch die Stimmung der Unternehmen in Deutschland verhalten. Gerade einmal 19 Prozent der deutschen Mittelständler rechnen mit einer Verbesserung der Wirtschaftslage. Das Geschäftsklima hat sich laut des Mittelstandbarometers der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) entsprechend weiter eingetrübt. Der Anteil der deutschen Unternehmen, die negative Auswirkungen der aktuellen Spannungen mit Russland auf das eigene Geschäft spüren, ist im Vergleich zu Juli vergangenen Jahres deutlich von 17 auf 26 Prozent gestiegen. Von den Industrieunternehmen sind sogar 32 Prozent betroffen.

„Deutschlands Mittelständler sind massiv verunsichert“, sagt Peter Englisch von EY. „Die vielen weltweiten Krisen erschweren die Planungen. Insbesondere die weitere Entwicklung des Konflikts mit Russland bleibt ungewiss. Das kostet Vertrauen und bremst die Investitionen.“

Für deutsche Exporteure wird die staatliche Absicherung ihrer Ausfuhren nach Russland teurer. Das Wirtschaftsministerium erklärte in Berlin, Hintergrund sei eine geänderte Risikobewertung Russlands durch die Industrieländerorganisation OECD. Bisher rangierte Russland in der Risikokategorie drei von insgesamt sieben Einstufungen. Nun gelte für Russland die riskantere Kategorie vier. Die OECD-Länderkategorie hat Einfluss auf die Höhe des Entgelts, das ein Exporteur für die Übernahme einer Hermes-Exportkreditgarantie entrichten muss.

Besonders betroffen sind Finanzgeschäfte, Rüstungsgüter und Hochtechnologie. Die Sanktionen treffen vor allem den mittelständischen Maschinenbau. Einer Umfrage des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) zufolge glaubt die Hälfte aller Maschinenbauer, dass Finanzierungsprobleme das Russland-Geschäft erschwerten. Hinzu kämen Auftragsstornierungen, Verzögerungen beim Import, Zahlungsausfälle wie auch Verzögerungen bei der Exportkontrolle. Zudem herrsche wegen möglicher weiterer Sanktionen gegen Russland eine „extreme” Verunsicherung vor. Viele Maschinenbauer wüssten nicht, ob sie überhaupt noch einen Auftrag aus Russland annehmen sollten. Sie fürchten, dass dieser dann nicht abgewickelt werden könne.

Wegen der schwachen Konjunktur waren die Ausfuhren nach Russland bereits 2013 um 5,2 Prozent gefallen, nachdem sie in den Jahren zuvor um bis zu knapp 31 Prozent jährlich gestiegen waren. Die Zeiten, in denen Russland als einer der wichtigsten Absatzmärkte für Deutschland galt, sind vorbei.

In der EU werden ständig neue Vorschläge zur Ausweitung der Sanktionen gegen Russland diskutiert. Bisher hat die EU Einreiseverbote gegen mehr als 100 Personen und Beschränkungen für über 20 Einrichtungen wie Unternehmen ausgesprochen und ihr Vermögen gesperrt.

Deutschlands Unternehmen befürchten bei scharfen Sanktionen gegen Russland den Verlust lukrativer Geschäfte an die Konkurrenz aus Asien. Weitergehende Wirtschaftssanktionen würden „zu einer deutlichen Hinwendung der russischen Wirtschaft und Politik nach Asien, insbesondere nach China, führen”, heißt es in einem Positionspapier der DAK an die Bundesregierung. „Ein solcher Verlust von Marktpositionen europäischer und deutscher Unternehmen würde angesichts schon jetzt schwieriger Marktverhältnisse langfristig und nachhaltig sein.”

Der Ukraine-Konflikt schadet nicht nur den deutschen Firmen vor Ort, sondern aufgrund der Sanktionen und dem ausuferndem Handelskrieg auch den Mittelständlern, die Waren nach Russland exportieren oder dort einen Firmensitz haben. Die Vertrauensbasis für neue Geschäfte wird durch die Sanktionen nachhaltig geschädigt.

Die deutschen Exporte nach Russland sind 2014 um 20 Prozent eingebrochen. Wichtigste Exportgüter waren im vergangenen Jahr Maschinen mit einem Anteil von 22,6 Prozent, gefolgt von Kraftwagen und Kraftwagenteilen (19,0 %) sowie chemischen Erzeugnissen (10,0 %). Der Exportrückgang fiel bei Fahrzeugen mit 27,3 Prozent am stärksten aus. Bei Maschinen schlägt ein Minus von 17,2 zu Buche, bei Chemieprodukten von 5,9 Prozent.

Viel schlimmer als der Einbruch des Warenexports ist jedoch der Verlust des Vertrauens infolge des Sanktions-Wettlaufs. Die über Jahre und Jahrzehnte geknüpften Geschäftskontakte drohen wegzubrechen. Zumindest führen die Handelsbeschränkungen dazu, dass keine neuen Geschäftskontakte entstehen. Was in Deutschland Regeln, Verträge und Vorschriften sind, wird in Russland über Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung geregelt. Nicht selten kommen Geschäfte aufgrund einer Verstehens- und Vertrauensbasis zustande.

Schätzungen zufolge haben etwa einhundert deutsche Unternehmen ihre Niederlassungen in Russland bereits geschlossen. Ihnen wurde die Geschäftsgrundlage entzogen, weil russische Staatsunternehmen nicht beliefert werden dürfen. Einer Umfrage des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) zufolge sind in Russland 78 Prozent der Unternehmen vom Ukraine-Konflikt betroffen. 91 Prozent der Unternehmen erwarten auch für 2015 eine negative Geschäftsentwicklung.

Die „Sanktionen treffen den klassischen deutschen Mittelständler mit 100, 150 Angestellten und einem hohen Russland-Anteil“, beschrieb Jens Böhlmann, Mitglied der Geschäftsführung der deutsch-russischen Außenhandelskammer, die Auswirkungen auf die rund 6.000 in Russland tätigen deutschen Firmen. Von der neuen Sanktionswelle seien viele Unternehmen und Branchen betroffen, die bislang noch geschont worden seien. Die meisten Mittelständler in Russland wollen ihre Geschäfte jedoch langfristig weiterführen, berichtet die AHK. In einem Leitfaden fasst sie die Hürden zum Markteintritt für deutsche Mittelständler in Russland zusammen – von Transport und Logistik, Zoll- und Zertifizierung bis hin zu rechtlichen Fragen der Gründung von Repräsentanzen und Tochterunternehmen.

 


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