Finanzen

Schulden außer Kontrolle: Die Vorahnung eines perfekten Sturms

Lesezeit: 5 min
20.04.2015 03:09
Der neue Bericht des IWF über die globale Finanz-Stabilität ist ein Eingeständnis des Scheiterns der Alchimisten des Geldes: Schon die kleinste Krise in der Welt kann zu einem Crash führen, fürchten die Finanz-Eliten. Lösungen haben sie keine. Ab sofort gilt das Prinzip „Rette sich, wer kann“. Die Sparer, Steuerzahler und Bank-Kunden sollten höchste Wachsamkeit walten lassen.
Schulden außer Kontrolle: Die Vorahnung eines perfekten Sturms

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Von der Öffentlichkeit streng abgeschirmt, haben an diesem Wochenende in Washington der IWF und die Weltbank ihre Frühjahrstagung abgehalten. Es ist erstaunlich, dass von den Beratungen kaum relevante Details an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Selbst die großen Finanzmedien wie die FT oder das Wall Street Journal berichten so, als hätten die Finanzeliten in Washington nur von Griechenland gesprochen.

Das ist kein Zufall. Das eigentlich wichtige Dokument dieser Tagung, der Global Financial Stability Report, ist ein ernüchterndes Zeugnis für das Scheitern der Alchimisten im globalen Finanzsystem. Der Bericht stellt den bisherigen Bemühungen, einen Crash zu verhindern, ein denkbar schlechtes Zeugnis aus.

Der Bericht hält fest: Die Risiken im globalen Finanzsystem sind seit Oktober 2014 gestiegen und haben sich auf Teile des Finanzsystems verlagert, wo sie schwerer zu erkennen und noch schwerer zu bekämpfen sind. Die entwickelten Volkswirtschaften sind einerseits noch abhängiger von der Politik der jeweiligen Zentralbank und müssen zugleich die unerwünschten Nebeneffekte einer globalen Niedrigzinspolitik in den Griff bekommen. Die niedrigen Ölpreise setzen, gemeinsam mit dem starken Dollar, vor allem die Schwellenländer unter Druck. Sie müssen, so fordert es der IWF, ihre Finanzsysteme widerstandsfähiger machen, indem sie ihre eigenen Verletzlichkeiten bekämpfen.

Die fast manische Fixierung auf die Griechenland-Krise zeigt, dass die Vernetzung im weltweiten Finanzsystem so komplex geworden ist, dass ein Kollaps in Griechenland entgegen allen offiziellen Beschwörungen das weltweite Finanzsystem sehr wohl gefährdet. Dasselbe gilt für die Russland-Krise. José Viñals, Chef der Finanzabteilung des IWF und führender Autor des Berichts, erwähnt in seinem Blog die geopolitischen Spannungen in Russland und der Ukraine ausdrücklich, ebenso wie jene Nahen Osten, in Teilen Afrikas und in Griechenland.

Besonders bedrohlich scheint demnach die Lage der Eurozone zu sein. Der IWF stellt fest, dass die Banken der Eurozone auf faulen Krediten (Non Performing Loans, NPL) in Höhe von 900 Milliarden Euro sitzen. Dagegen nehmen sich die 250 Milliarden Euro, die die internationalen Gläubiger an Griechenland vergeben haben und im Fall einer Pleite Griechenlands verloren wären, als überschaubare Größe aus. Die Berechnungen des IWF zeigen, dass der Großteil dieser faulen Kredite bei den italienischen und spanischen Banken sowie in Irland, Zypern und Griechenland lagert. Zwar habe die EZB durch die Übernahme der Bankenaufsicht in Europa und die neuen Vorschriften zum Eigenkapital gewisse Erfolge erreicht. Doch reichen diese Maßnahmen in keiner Weise aus, um das Problem der faulen Kredite in den Griff zu bekommen. Der IWF schlägt daher vor, dass sich die Banken aktiv mit diesen faulen Krediten beschäftigen müssten. Zugleich empfiehlt der IWF, effizientere rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen zu errichten, um diese faulen Kredite aus der Welt zu schaffen.

Wie diese aussehen sollen, skizziert Viñals in einem Interview mit der österreichischen Zeitung der Standard. Dort unterstützt der IWF-Mann die harte Haltung der österreichischen Regierung gegen die Gläubiger der Skandalbank Hypo Alpe Adria. Diese Position überrascht, wenn zahlreiche internationale Investoren, vor allem aber viele öffentliche deutsche Banken von dem Schuldenmoratorium betroffen sind. Sie werden Milliardenverluste realisieren müssen. Die Unterstützung des IWF für diesen Kurs zeigt, dass sich die internationalen Finanzeliten angesichts der Unlösbarkeit des Schuldenproblems in den „Rette sich wer kann!“-Modus begeben haben. Wir haben es mit einer Art Endspiel zu tun, in der nun jeder versuchen wird, einerseits die Schuld dem anderen zuzuschieben. Zum anderen werden alle Beteiligten versuchen, dass nicht sie für die verantwortungslose Schuldenmacherei bezahlen müssen.

In diesem Zusammenhang ist auch die Bemerkung von US Präsident Barack Obama an Griechenland von Bedeutung: Obama hat den Griechen empfohlen, härter beim Eintreiben der Steuern vorzugehen. Auf der IWF fordert, dass zur Lösung der Schuldenkrise höhere Steuern das vermutlich einzige probate Mittel sind. Erst vor einigen Monaten hatte der IWF eine Zwangsabgabe von etwa 10 Prozent auf alle Vermögen gefordert, um den Schuldenabbau voranzutreiben. Australien ist diesem Vorschlag bereits gefolgt und will als erstes Land eine Steuer auf Bankguthaben einführen. Österreich, das mit seinem Bankenkrach immer mehr unter Druck gerät, bereitet ein Gesetz vor, mit dem die Einlagensicherung neu geordnet werden soll. Nicht mehr der Staat soll den Bankkunden ihre Einlagen garantieren. Die Banken allein sollen für die Sparguthaben geradestehen. Frankreich hat beschlossen, die Verwendung von Bargeld drastisch einzuschränken, um eine Flucht aus den Strafzinsen für Bankguthaben zu verhindern.

Der Gedanke, über die Besteuerung oder eine Zwangsabgabe auf Sparguthaben und Vermögen das Schuldenproblem zu lösen, sickert unterdessen weiter in das Finanzsystem ein. Erst vor einigen Wochen hat die Unternehmensberatung McKinsey, traditionell ein wichtiger Berater der Finanzminister in vielen Länder, eine Zwangsabgabe auf Vermögen als den Königsweg zur Lösung der Schuldenkrise beschrieben.

Der Bericht des IWF stellt in entwaffnender Offenheit fest, dass das bisherige weltweite Gelddrucken offenbar ohne jegliche Wirkung auf die Finanzmärkte geblieben ist. Dazu ist ein Interview erhellend, welches der IWF mit sich selbst geführt hat (Video am Anfang des Artikels). Darin bestätigt Viñals, dass an den internationalen Finanzmärkten ein Liquiditätsproblem herrsche. Diese Aussage überrascht sogar den Fragesteller, der selbst vom IWF kommt. Doch auf seine Frage, wohin denn all die Billionen gegangen seien, die die Zentralbanken in den vergangenen Jahren in die Märkte gepumpt haben, kann Viñals keine schlüssige Erklärung geben. Er spricht von einem Paradox, wonach viel Liquidität in guten Zeiten gut, in schlechten Zeiten jedoch schlecht sein. Mit anderen Worten: Wenn es wirklich hart auf hart kommt, waren all die verzweifelten Maßnahmen der Zentralbanken wirkungslos.

Mehr noch: Das Gelddrucken hat noch eine weitere, äußerst gefährliche Nebenwirkung. Der IWF stellt fest, dass die niedrigen Zinsen eine erhebliche Bedrohung für die Versicherungswirtschaft in Europa darstellen. Die Lebensversicherer halten in der EU ein Portfolio von 4,4 Billionen Euro, welches von den niedrigen Zinsen akut bedroht ist. Der IWF betont, dass dieses Problem keinesfalls nur isoliert in der Versicherungsbranche besteht. Die Schwierigkeiten der Lebensversicherer könnten zu der IWF wegen der hohen Vernetzung mit dem gesamten Finanzsystem zu einer Ansteckung führen. Der IWF sieht darin einen Beleg, dass die Risiken des Finanzsystems von den Banken zu anderen Institutionen gewandert sind. Beherrschbar sind sie dort nicht geworden, ganz im Gegenteil.

Zwar ist bei den Berechnungen und Prognosen des IWF stets Vorsicht geboten. Eben erst wurde bekannt, dass der IWF seine Wachstumsprognose für Griechenland bereits nach drei Tagen wieder korrigieren hat. Diese Korrektur scheint jedoch dem Poker geschuldet zu sein, der aktuell der Troika und Athen gespielt wird. Eines ist klar, dass Griechenland nicht zu retten ist. Zugleich ist klar, dass die Eurozone Griechenland nicht fallen lassen kann. Bundesfinanzminister Schäuble hat dazu vor einigen Tagen einen Plan präsentiert, wonach Griechenland zwar pleitegehen soll, jedoch in der Eurozone verbleibt. Diese Idee greift auch die Stimme der Londoner City, die FT, auf, und vertritt die Auffassung, dass Griechenland am besten seine Zahlungsunfähigkeit gegenüber dem IWF und der EZB erklären sollte. Dies wiederum würde bedeuten, dass die Verluste von den europäischen Steuerzahlern getragen werden müssen.

Die Vorstellung, dass die europäischen Regierungschefs tatsächlich vor ihre Wähler treten und eingestehen, dass sie mit dem politischen Projekt einer Gemeinschaftswährung ohne dem dazugehörigen fiskalischen Überbau 250 Milliarden Euro Verlust gebaut haben, erscheint heute als weltfremd. Die Euro-Retter werden versuchen, das Spiel so lang als möglich hinauszögern.

Die nüchternen Erkenntnisse des IWF bleiben von den kurzfristigen Winkelzügen der europäischen Politik unberührt. Die Schulden sind weltweit außer Kontrolle geraten, das System funktioniert nicht mehr. Die enge und unübersichtliche Vernetzung aller Finanzinstitutionen macht eine Steuerung gerade in einer Krise faktisch unmöglich. Zugleich kann jede kleine politische Krise - etwa um Russland - das ganze System zum Einsturz bringen.

Vor dem Hintergrund der in Österreich, Australien und Frankreich beispielhaft exekutierten Maßnahmen kann man davon ausgehen, dass in den kommenden Monaten und Jahren die Steuerzahler, Sparer und Bankkunden umfassend, wenngleich vermutlich nur schrittweise, zur Kasse gebeten werden. Sie sind die einzigen, die aufgehäuften Schulden zurückzahlen können. Dass nicht sie selbst, sondern ihre verantwortungslosen Regierungen diese Schulden gemacht haben, wird den Bürgern als Ausrede wenig helfen.

Die Staaten haben wegen des Gewalt- und Geldmonopols die Möglichkeit, jede Art der finanziellen Repression durchzusetzen. In vergleichsweise sanften Worten empfiehlt der Bericht des IWF zur globalen Finanzstabilität den Staaten nichts anderes, als dies schnell und entschlossen zu tun. Für Sparer und Anleger ist die Zeit gekommen, sich genau zu überlegen, was sie mit ihrem hart erarbeiteten Geld machen. Sie müssen sehr intelligent vorgehen. Über kurz oder lang wird ihnen jeder Ausweg abgeschnitten werden. Der Crash ist systemimmanent. Und es wird sein wie immer in der Geschichte: Die Folgen von politischem Versagen baden niemals jene aus, die für ein Desaster verantwortlich sind.


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