Politik

Merkels gefährliches Spiel: Abhängig von den Geheimdiensten und den USA

Angela Merkel hat sich bei ihrer Rechtfertigung im Spionage-Skandal zwei gefährliche Verbündete ausgesucht: Die Geheimdienste und die US-Regierung. Sie hofft offenbar, dass sich die Affäre bis zum Sommer verflüchtigt, um im Herbst völlig in Vergessenheit zu geraten. Doch diesmal könnte sie irren: Für zunehmend größere Teile der deutschen Öffentlichkeit geht Merkels Abhängigkeit von den USA und den Geheimdiensten an die Grenzen des Erträglichen.
13.05.2015 14:53
Lesezeit: 2 min

In der Spionageaffäre hat Deutschland noch keine Zustimmung von den USA erhalten, ob den Abgeordneten des Deutschen Bundestags Listen mit jener Ziele zur Verfügung gestellt werden dürfen, die der BND im Auftrag der NSA ausspioniert hat. Das entsprechende Konsultationsverfahren dauere an, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch in Berlin. «Demzufolge ist auch noch keine Entscheidung gefallen, inwieweit wir die Informationen an den Bundestag weitergeben.»

Die Listen im Bundeskanzleramt umfassen Zehntausende sogenannte Selektoren. Das sind vom US-Geheimdienst NSA an den BND gelieferte Kriterien für die Ausspähung europäischer Ziele.

Der Verfassungsschutz spielt den Skandal weiter herunter: Für den Geheimdienst beruhen Berichte über Ausspähungen der NSA in Europa vor allem auf Mutmaßungen. «Bisher liegt wenig Greifbares vor», sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen bei einer Tagung mit Wirtschaftsvertretern. Beweise, dass amerikanische Nachrichtendienste deutsche Unternehmen ausspähten, gebe es nicht. Unklar blieb, ob der Verfassungsschutz die Listen kennt. «Ein paar Sachen müssen geheimbleiben», sagte Maaßen dazu.

Im Bundeskabinett spielte die Affäre erneut keine Rolle. Bisher hat niemand auch nur im Ansatz daran gedacht, politische Konsequenzen zu ziehen.

Wikileaks hat am Montag Protokolle aus dem NSA-Untersuchungsausschuss veröffentlicht. Die Dokumente ergeben ein teilweise erschütterndes Sittenbild über die Art, wie die Parlamentarierer von Anwälten, Geheimdiensten und der Regierung gegängelt werden.

Der Verfassungsschutz hält diese Zustände naturgemäß für durchaus nützlich und behauptet, der eigentliche Skandal liege bei jenen Medien und Whsitleblowern, die die Missstände öffentlich gemacht haben.

Angela Merkel hat sich bei ihrer Vorwärtsverteidigung zwei gefährliche Verbündete ausgesucht: Die Geheimdienste und die US-Regierung. Sie verweist faktisch in jeder Wortmeldung auf Aussagen einer dieser Gruppen, wenn es um die Rechtfertigung in der Spionage-Affäre geht. Das ist ziemlich riskant: Gewählt wurde Merkel nämlich nicht vom BND oder Obama, sondern von den deutschen Steuerzahlern. Diese würden sich schon über die Illusion freuen, die Kanzlerin fühle sich nur ihnen verpflichtet.

Doch Merkel scheint sich erstaunlicher Weise nicht einmal besonders zu bemühen, diese Illusion aufrechterhalten zu wollen.

Angela Merkel vertraut auch in dieser Causa auf ihre bewährte Taktik: Bis zum Sommer sollte die Affäre verschleppt werden. Im Herbst wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben, und dann wird sich niemand mehr daran erinnern. So war es schließlich auch bei der ersten NSA-Welle, bei der Merkel die Sache einfach für beendet erklärte und - ohne große Aufregung in der Öffentlichkeit - zur Tagesordnung überging. Sie gewann sogar die Bundestagswahl trotz des handfesten Skandals.

Auch diesmal könnte es so sein, dass die Leute im Herbst nicht mehr wissen, was vor dem Sommer war. Doch der Unterschied diesmal: Die Kanzlerin gerät zunehmend persönlich unter Druck - und zwar als Politikerin, der man nicht vertrauen kann. Merkel erweckt den Eindruck, vor Entscheidungen über die Rechte deutsche Staatsbürger in Washington Rückfrage halten zu müssen. Dafür haben jene keine Verständnis, die Merkels Gehalt zu finanzieren haben - die Steuerzahler. Diese haben ein Parlament gewählt - den Deutschen Bundestag - der ihnen verantwortlich ist. Merkel scheint dagegen in trotziger Weise den USA und den Geheimdiensten die Treue halten zu wollen.  Das Unbehagen der Wähler jedoch, dass eine Bundeskanzlerin nicht für ihr Volk, sondern für unbekannte Dritte arbeitet, ist aber keine Mode in der stets schwankenden Konjunktur politischer Beliebtheitswerte. Dieses Gefühl der Wähler ist ein substantieller Vertrauensverlust, der nicht ausgesessen werden kann wie ein kleiner Fehltritt.

Im Falle Merkel stehen die Zeichen gefährlich auf einen entsprechenden Realitätsverlust. In der Regel führt ein solcher meist zwingend zum Machtverlust.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

DWN
Finanzen
Finanzen Trumps Krypto-Coup: Milliarden für die Familienkasse
30.06.2025

Donald Trump lässt seine Kritiker verstummen – mit einer beispiellosen Krypto-Strategie. Während er Präsident ist, verdient seine...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Streit um Stromsteuer belastet Regierungskoalition
30.06.2025

In der Bundesregierung eskaliert der Streit um die Stromsteuer. Während Entlastungen versprochen waren, drohen sie nun auszubleiben –...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft PwC: Künstliche Intelligenz schafft Jobs nur für die, die vorbereitet sind
30.06.2025

Künstliche Intelligenz verdrängt keine Jobs – sie schafft neue, besser bezahlte Tätigkeiten. Doch Unternehmen müssen jetzt handeln,...

DWN
Unternehmen
Unternehmen United Internet-Aktie unter Druck: 1&1 reduziert Prognose
30.06.2025

1&1 senkt überraschend seine Gewinnprognose trotz zuletzt guter Börsenstimmung. Der Grund: deutlich höhere Kosten beim nationalen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Inflation in Deutschland sinkt im Juni auf 2,0 Prozent: Energiepreise entlasten
30.06.2025

Die Inflation in Deutschland hat im Juni einen überraschenden Tiefstand erreicht – doch nicht alle Preise sinken. Was bedeutet das für...

DWN
Politik
Politik Trumps Schritte im Nahen Osten: Nur der Anfang eines riskanten Spiels
30.06.2025

Donald Trump bombardiert den Iran, erklärt die Waffenruhe – und feiert sich selbst als Friedensbringer. Experten warnen: Das ist erst...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Raucherpause im Job: Ausstempeln erforderlich?
30.06.2025

Raucherpause im Job – ein kurzer Zug an der Zigarette, doch was sagt das Arbeitsrecht? Zwischen Ausstempeln, Betriebsvereinbarung und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Lufthansa sichert sich Anteile an Air Baltic – trotz Bedenken
30.06.2025

Die Lufthansa steigt bei der lettischen Fluggesellschaft Air Baltic ein – jedoch nicht ohne Bedenken der Kartellwächter. Was bedeutet...