Politik

Alle Macht der Clique: Merkels eiskalte Vision für Europa

Lesezeit: 4 min
02.07.2015 02:28
Angela Merkel hat eine eiskalte Vision von Europa: Die herrschende Clique muss an der Macht bleiben. Daher will sie die Syriza-Regierung in Griechenland stürzen – koste es, was es wolle. Das Referendum wird zum Fanal für die Griechen: Sie sollen zu ihrer eigenen Knechtschaft „Ja!“ sagen. Solch ein zynisches System ist dem Untergang geweiht.

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Die Bilder aus Griechenland sind beschämend für eine „Europäische Union“, deren Ziel es einmal war, allen Europäern Frieden und Wohlstand zu bringen. Nun aber sehen wir Rentner in Athen, die hilflos-zornig auf die Zentralbank losmarschieren, weil sie sich um ihr Geld geprellt fühlen. In Athen gab es in einigen Banken das System, das die 120 Euro Bargeld, die ausgegeben wurden, nach dem Alphabet verteilt wurden. A-K bekamen ihr Almosen, der Rest ging leer aus. Bloomberg zufolge müssen sich erschütternde Szenen abgespielt haben.

Doch im Deutschen Bundestag sprach Angela Merkel, als ginge sie das alles nicht an. Sie gab vor, Prinzipien zu verteidigen. Doch in Wahrheit plant sie den Coup in Athen. Heute braucht es keine Armee mehr, um eine Regierung zu stürzen. Die neue Wunderwaffe ist nicht mehr die „Bertha“ oder die „Bazooka“, mit denen sich Mario Draghi noch vor zwei Jahren brüstete. Der Krieg wird mit der „ELA“ entschieden, der „Emergency Liquidity Assistance“. Das sind die Not-Kredite der EZB.

Die EZB weiß alles über die Banken in Griechenland. Sie ist seit einiger Zeit gleichzeitig die Bankenaufsicht in Europa. Im Dezember wurde der Stresstest abgeschlossen. Die EZB kennt jeden faulen Kredit und jede schlechte Sicherheit bei den griechischen Banken. Sie kann jede Regierung in der Euro-Zone unter Druck setzen. Sie kann den Sturz jeder Regierung verhindern, orchestrieren oder verzögern.

Und alles, was die EZB weiß, weiß auch Angela Merkel. Dieser Tage wird gerade wieder viel Lärm um neue NSA-Enthüllungen gemacht. Die NSA hat die Bundesregierung bespitzelt. Im Vergleich zu der Gründlichkeit, mit der die EZB die Banken in Europa ausgeforscht hat, ist die NSA eine blinde Kuh.

Merkel weiß, dass die griechischen Banken am Ende sind. Daher muss sie nur warten. Der Banken-Crash kommt in dem Maß, in dem ihn die EZB orchestriert. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat schon vor Monaten gesagt: Diese Schlacht wird bei den Banken entschieden. Diese Schlacht kann die Syriza nicht gewinnen. Dann stürzt Tsipras und die schwarz-rote Clique, die sich immer unverschämter eines ganzen Kontinents bemächtigt, kann wieder ran an die Töpfe im Süden. Ganz schnell werden die Quellen der Troika sprudeln. Ganz schnell werden die Steuerzahler gemolken und die Griechen weiter ausgebeutet.

Das strategische Ziel heißt: Alle Macht der Clique!

Daher lässt man das griechische Volk nun schmoren, sagt den Griechen süffisant: Selbst schuld, ihr habt falsch gewählt! Es ist wie eine mittelalterliche Belagerung. Die Griechen sollen im wörtlichen Sinn ausgehungert werden. Sie sollen am Sonntag zu den verhassten Wahlurnen kriechen und ihr Kreuz dort machen, wo die eurokratischen Funktionäre es wollen: Sie sollen ankreuzen, dass sie weiter geknechtet werden wollen. Sie sollen Ja sagen zu einer Politik, in der sie nicht einmal Staffage sind. Sie sollen mit ihrem verdammten Kreuz ihrem eigenen Kreuz zustimmen, das die Troika für sie ausgewählt hat.

So geht Regieren heute: Keiner der Technokraten in Berlin, Brüssel, Frankfurt und Washington hat jemals mit einem griechischen Rentner gesprochen, der seine Familie ernähren muss und sich heute 120 Euro abholen durfte, für die Medikamente für seiner Frau, die Lebensmittel für seinen Sohn, die Windel für seine Tochter – weil die Existenzgrundlage der Familie seit nunmehr vier Jahre „Euro-Rettung“ zerstört wurde. Keiner dieser Funktionäre kann auch nur einen Buchstaben lesen von der Schrift des griechischen Volkes. Mehr Distanz geht nicht. Distanz aber ist die Voraussetzung, um unbarmherzige Entscheidungen zu treffen. Je weniger man von einem Volk weiß, umso leichter kann man es knechten.

Angela Merkel steht für dieses System, das mit einer Demokratie nicht mehr im Entferntesten zu tun hat. Es ist eine Funktionärs-Diktatur, wie sie Merkel aus der DDR kennt. In Brüssel läuft das nicht anders: Dort amtiert der Ratspräsident Donald Tusk, der kaum Englisch spricht, und der am vergangenen Sonntag, mitten in der schlimmsten Krise der EU, in aller Seelenruhe in einem feinen Brüsseler Restaurant gesehen wurde, zum entspannten Lunch mit seiner Familie. Von Juncker wollen wir nicht sprechen, es ist schwer zu beurteilen, wieviel er überhaupt noch von dem mitbekommt, was um ihn vorgeht.

Es besteht kein Zweifel: Die Syriza-Regierung hat viele Fehler gemacht. Es besteht auch kein Zweifel: Das europäische Schulden-Kasino ist ein Wahnsinnsprojekt, weil es die korrupten lokalen Netzwerke nicht eliminiert, sondern gestärkt hat. Das gilt für Griechenland, Österreich, Bulgarien und wohl auch für Deutschland, wenn wir an die Skandale bei den diversen Großprojekten denken.

Doch das alles rechtfertigt nicht, dass man jetzt aus politischer Willkür den Stecker zieht. Es ist unmoralisch und inhuman, die einfachen Griechen jetzt in den existentiellen Abgrund zu stoßen. Ungerührt steht Angela Merkel am Pult im Bundestag und predigt die europäischen Werte, während im Süden Europas eine Welt zusammenbricht, im wahrsten Sinn des Wortes.

Ja, die Schuldenpolitik ist falsch. Aber was ist das für eine Lösung, dass man nun einfach ein ganzes Volk über die Klinge springen lässt? Was haben wir für ein Niveau erreicht, wenn die Süddeutsche Zeitung plötzlich schreibt: „Griechenland unter Quarantäne“? Sind wir schon so weit, dass Menschen, die unverschuldet in die Armut gestoßen wurden – und zwar über Nacht – als Aussätzige diffamiert werden? Von einem Blatt, das sonst bei jedem „Rechtspopulisten“ den Wald nicht mehr sieht vor lauter Hakenkreuzen? Haben wir tatsächlich schon ein Stadium erreicht, in dem die Grenzen zwischen Verteilungskampf und Rassismus verschwimmen?

Das Vorgehen entspricht dem Verhalten bei den Flüchtlingen: Zuerst bombt der Westen Libyen und Syrien in Schutt und Asche. Dann macht man die Grenzen dicht und schickt Kriegsschiffe gegen Flüchtlingsboote. Man unterstellt, dass „Wirtschaftsflüchtlinge“ eine Art Glücksritter sind, die es besser anderswo versuchen sollten. Man wirft den Asylanten vor, dass sie jung sind, und nicht alt und gebrechlich. Man weigert sich, sie aufzunehmen, baut Zäune, Mauern und Sperren. Wo sind denn die ganzen Lichterketten-Journalisten? Wo ist der Aufschrei? Der Widerstand? Der Aufstand?

Der Umgang mit den Griechen und den Flüchtlingen folgt demselben, zynischen Muster: Man will an einer Gruppe ein Exempel statuieren, um andere abzuhalten, dem System lästig zu werden. Man lässt konkrete Menschen bewusst leiden, um die eigene Macht zu erhalten. Das ist nichts anderes als Totalitarismus.

Wir nähern uns diesem Zustand gefährlich an. Er kann, wenn er voll zum Tragen kommt, nur durch eine Revolution beendet werden.


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