Politik

Energiewende: Neue Milliarden-Belastung für Stromkunden und Steuerzahler

Die Bundesregierung hat ein neues „Klimapaket“ verabschiedet: Es entlastet die Strom-Konzerne und bürdet Konsumenten und Steuerzahlern Milliarden-Kosten auf. Absurd: Die Klima-Ziele werden mit dieser Umverteilung gar nicht erreicht.
02.07.2015 14:35
Lesezeit: 2 min

Die große Koalition hat für ihre Klimaziele ein Paket mit Milliardenkosten für Stromverbraucher und Steuerzahler geschnürt. Das Konzept zur Umsetzung der Energiewende wird um fast zehn Milliarden Euro teurer als die ursprünglich geplante Abgabe für alte Braunkohlekraftwerke, die die Spitzen der Koalition auf Druck der Industrie in der Nacht zum Donnerstag verwarfen. Stattdessen sollen nun umweltfreundliche Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) gefördert, mehr in Energie-Effizienz investiert und die Kapazität von etwa fünf großen Braunkohlemeilern vom Netz genommen werden. Sie sollen aber als Reserve dienen und weiter von den Stromkunden bezahlt werden - die Konzerne erhalten dafür Prämien von der Regierung. Außerdem verständigten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und CSU-Chef Horst Seehofer auf neue Trassenführungen für Leitungen, die Windstrom nach Süden bringen sollen.

Ziel des Pakets ist es, dass Deutschland sein Klimaziel für 2020 noch erreicht. Es sieht eine CO2-Verringerung von 40 Prozent gegenüber 1990 vor. Die Energiewirtschaft sollte dafür 22 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich einsparen. Die ursprünglich geplante Abgabe für alte Braunkohlemeiler traf aber auf Widerstand bei Gewerkschaften sowie der Konzerne RWE und Vattenfall. Deren Aktien legten in Folge der Beschlüsse am Donnerstag an der Börse zu. Die Konzerne lobten das Aus für die Klimaabgabe ebenso wie die Gewerkschaft IG BCE.

Proteste kamen dagegen von Umweltgruppen und Grünen: "Der Deal, den die Bundesregierung macht, ist schmutzig und teuer", sagte Fraktionschef Anton Hofreiter. Statt der Kraftwerksbetreiber werde jetzt der Steuerzahler zur Kasse gebeten. Greenpeace warf Merkel vor, ihr Versprechen zum Kohleausstieg vom G7-Gipfel von Elmau gebrochen zu haben. "Die Versorger müssen weniger CO2 sparen und bekommen dafür auch noch Milliarden zugesteckt", kritisierte Energieexperte Tobias Münchmeyer. Die G7-Staats- und Regierungschefs hatten Anfang Juni vereinbart, bis zum Ende des Jahrhunderts fossile Brennstoffe generell nicht mehr zu nutzen.

"Dieser Vorschlag ist teurer als der andere, das ist keine Frage", räumte auch Gabriel ein. Es sei aber klar, dass die Energiewende Geld koste. "Uns ist parteiübergreifend ein Pakt für neuen Wohlstand gelungen", sagte er mit Blick auf die Investitionen in Energieeffizienz, die mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) abgestimmt seien. "Wir setzen ein internationales Zeichen für die Realisierung der Energiewende in einem hoch industrialisierten Land."

Jetzt sollen Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 2,7 Gigawatt - etwa fünf große Anlagen - in eine Reserve verschoben werden. Dies kostet nach Angaben des Wirtschaftsministeriums im Jahr etwa 230 Millionen Euro, die vom Stromkunden getragen werden müssen. Einzelheiten sollen mit den Versorgern ausgehandelt und in ein Gesetz gegossen werden.

Da das Abschieben in diese Reserve allein nicht reicht, um die 22 Millionen Tonnen zu erreichen, ist ein weiterer Ausbau umweltfreundlicher Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) geplant. Die Anlagen produzieren Strom mit Gas und die dabei entstehende Wärme wird zudem weitergeleitet an Haushalte und Unternehmen.

Der Ausbau der Anlagen wird mit einer Umlage über den Strompreis finanziert und kostet die Kunden weitere zwei Milliarden Euro bis 2020. Gabriel kündigte aber an, man wolle hier nach einer Entlastung von Haushalten und Mittelstand suchen.

Da auch so das Klimaziel noch nicht geschafft wird, soll der Rest durch Stromsparen aufgebracht werden: So könnten Heizungsanlagen modernisiert und der Austausch von Heizungspumpen gefördert, die Straßenbeleuchtung auf LED-Lampen umgestellt oder die Wärmegewinnung aus Solaranlagen verbessert werden. Dies kostet rund 1,2 Milliarden Euro im Jahr oder rund fünf Milliarden Euro bis 2020.

Eine Verständigung gab es zudem beim umstrittenen Bau von Hochspannungsleitungen durch Bayern. Sie sollen jetzt teilweise auf bestehenden Trassen errichtet, unter die Erde gelegt und an einigen Stellen umgeleitet werden. Bayerns Ministerpräsident Seehofer hatte angesichts des Widerstands von Bürgern auf Änderungen gedrängt. Süddeutschland soll zudem vom Bau neuer Kraftwerke mit einer Leistung von bis zu zwei Gigawatt profitieren, die ab 2021 die letzten AKW ersetzen sollen. Zwei Anlagen werden Seehofer zufolge in Bayern und eine in Baden-Württemberg stehen. Sie werden voraussichtlich ebenfalls subventioniert werden müssen, da sich der Bau kaum rechnen dürfte. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sprach hier wie bei der vergleichsweise teuren Erdverkabelung von einem Kompromiss zu Lasten aller Verbraucher.

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