Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Wie sieht Podemos die europäische Schuldenkrise?
Iván Ayala: Die Schulden sind kein griechisches Problem, sondern das Problem der Eurozone als Ganzes. Es gibt nicht ein einziges europäisches Land, dessen Schuldenquote heute niedriger wäre als vor Beginn der Krise und bei zahlreichen Ländern übersteigt die Schuldenquote sogar die 100 Prozent des BIP. Die Schuldentragfähigkeit hängt grundlegend von drei Faktoren ab: Wachstum, Zinsart und Gesamtvolumen. Die Gesamtsumme lässt sich mittels Wachstum, Inflation oder Restrukturierung verringern. Das Wachstum in der Eurozone wird durch die Austeritätspolitik gedrückt, die zudem den Inflationsdruck erhöht. Die Restrukturierung der Schulden hingegen scheint bei keinem der aktuellen Regierenden in der Eurozone als mögliches Szenario auf dem Schirm zu sein. Unter den aktuellen Bedingungen ist die einzig mögliche Richtung , dass die Schuldenquote in der Eurozone weiter wächst, oder bestenfalls in manchen Staaten in geringfügigem Umfang schrumpft, auch wenn das Gesamtvolumen der Schulden weiter sehr hoch bleibt.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was soll mit den bisherigen Schulden geschehen?
Iván Ayala: Die Situation in Deutschland ist nicht die gleiche wie die in Spanien, Italien, Frankreich oder Griechenland. Dennoch scheint klar, dass die Verringerung der Schuldenquote in der gesamten Eurozone eine Menge an Ressourcen freisetzen könnte, die jene des Marshall-Plans bei weitem übersteigt. Wir sollten uns daran erinnern, dass es der Marshall-Plan war, der es Deutschland zusammen mit einem Schuldenschnitt 1953 erlaubte, die größte Wohlstandsperiode überhaupt für ganz Europa einzuleiten und so die Grundlagen für die EU zu legen. Eine Umstrukturierung auf europäischer Ebene ist unerlässlich, um den Grundstein für ein neues Wachstumsmodell zu legen und den Übergang zu anderen Energie- und Produktionsmodellen zu schaffen, die eine andere Art von Wachstum erzeugen und so eine Lösung für die Probleme der Eurozone bieten. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Euro-Zone dem aktuellsten Weltwirtschaftsausblick des IWF zufolge eine der geografischen Regionen mit den schlechtesten wirtschaftlichen Aussichten der Welt ist, noch nach den USA und der OECD als Ganzes, aber auch hinter den Entwicklungs- und Schwellenländern.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was hat Podemos dem IWF auf dem Treffen im Juni gesagt?
Iván Ayala: Wir haben unsere wirtschaftlichen Ansichten ausgetauscht und unsere Perspektive auf die spanische Wirtschaft und auf die Wirtschaft der Eurozone dargelegt. Gleichwohl haben wir vermittelt, dass die Austeritäts-Strategie uns nicht erlaubt, auf eine sozial gerechte Weise aus der Krise heraus zu kommen, sondern stattdessen eine nie da gewesene Ungleichheit, Armut und Einkommenskonzentration schafft. Wir haben dargelegt, dass es notwendig ist, die Sparpolitik zu stoppen und unser Produktionsmodell zu ändern. Dabei legen wir einen Schwerpunkt auf einen Wechsel zu ökologischer Energie, der es uns ermöglichen würde, nachhaltige und menschenwürdige Beschäftigung für die Vielen zu schaffen, die ihre Arbeit beim Platzen der Baublase verloren haben. Das ist im Grunde der Plan, den wir zusammen mit Robert Poillin vom Forschungs- Institut für Wirtschaftspolitik (PERI) der Universität in Massachusetts vorgestellt haben. Wir haben auch dargelegt, dass diese Strategie nicht nur Arbeit schafft, sondern auch das Staatsdefizit und die Staatsverschuldung verringert, wenn auch langsamer als von dieser Regierung vorgeschlagen. Vor die Wahl gestellt, das Staatsdefizit schnell und die Arbeitslosigkeit langsam zu verringern, oder die Arbeitslosigkeit schneller und dafür das Defizit langsamer, bevorzugen wir grundsätzlich die zweite Option.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Was erwartet Podemos vom IWF?
Iván Ayala: Wir erwarten das gleiche wie alle Mitgliedsländer, dass er die Zusammenarbeit in Währungsfragen fördert und Währungskrisen effizient verwaltet. Ebenso erwarten wir, dass der IWF seiner Satzung entsprechend dazu beiträgt, ein hohes Beschäftigungs- und Einkommensniveau zu fördern, dafür wurde er schließlich geschaffen. In diesem Sinn wollen wir unterstreichen, dass der IWF in der Griechenland-Krise einen Schuldenschnitt vorschlägt, da es ansonsten schwierig würde, eine praktikable und sozial gerechte Einigung zu erzielen.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Erwartet Podemos Transfers aus anderen EU-Töpfen?
Iván Ayala: Wir hoffen, dass auf europäischer Ebene Mittel für einen Investitionsplan ähnlich dem Marshall-Plan mobilisiert werden, diese könnten aus einer geordneten Umstrukturierung der Schulden auf europäischer Ebene kommen. In diesem Sinn schlug der so genannte Juncker-Plan bereits die Nutzung der Europäischen Investitionsbank zur Freisetzung besagter Mittel vor.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sollten sich die Staaten Südeuropas zusammentun, um einen gemeinsamen Schuldenschnitt zu erwirken?
Iván Ayala: Das Problem der Eurozone ist kein Problem der „Staaten Südeuropas“ und daher sollte eine Umstrukturierung auf der Ebene der gesamten Eurozone stattfinden, nicht nur für die südlichen Staaten. Griechenland trägt gerade mal drei Prozent zu den Gesamtschulden der Eurozone bei, Spanien zehn Prozent und Deutschland, Italien und Frankreich machen jeweils mehr als 20 Prozent aus. Betrachtet man diese Berechnungsgrundlage ist es nicht Griechenland, das die Eurozone gefährdet, sondern es sind die großen Länder, die eine hohe Staatsverschuldung haben, das fängt an mit Italien und geht mit Frankreich weiter. Daher ist es im Interesse der Eurozone als Ganzes, diesen Restrukturierungsprozess zu übernehmen. Wir sollten nicht vergessen, dass der Schuldenstand nur einer der Faktoren ist, der eine nachhaltige Entwicklung beeinflusst und nicht der einzige Faktor. Japan etwa hat eine Verschuldungsquote von über 240 Prozent, die USA liegen ebenfalls über 100 Prozent. Das fehlende Wachstum aufgrund der Austeritätspolitik und die Geldpolitik der EZB sind es, die die Eurozone in Gefahr gebracht haben.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Rajoy hat behauptet Spanien wäre besser dran als Griechenland - stimmt das?
Iván Ayala: Die Situation in Spanien ist nicht mir der in Griechenland zu vergleichen: Griechenland hat seit Beginn der Krise über 25 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts eingebüßt. Das ist von den Ausmaßen her mit den Folgen eines kriegerischen Konflikts zu vergleichen. Die Ausgangslage war an sich schon schwierig, mit einer hohen Staatsverschuldung und einer schwachen Produktionsstruktur. Die Krise hat es der schlimmstmöglichen Wirtschaftspolitik dann erlaubt, die Situation nochmal derart zu verschlimmern, dass in Griechenland die größte Zerstörung von Produktivität stattfand, die es jemals zu Friedenszeiten in Europa gab. Zudem hat Griechenland keinen normalen Zugang zu den Kapitalmärkten, weswegen seine einzige sichere internationale Finanzierungsquelle die Troika ist. Die Schulden gehören zudem zu 80 Prozent genau diesen Institutionen.
Spanien hingegen hat eine viel geringere Verschuldung, Zugang zu den Kapitalmärkten, seine Banken hängen nicht ausschließlich von den ELA-Notkreditmechanismen ab und die Staatsschulden werden hauptsächlich von den nationalen Banken gehalten. Die Situation ist nicht nur anders, sondern radikal anders.
Gleichzeitig ist die historische Zunahme der Arbeitslosigkeit, Ungleichheit, Einkommenskonzentration sowie materieller und schwerwiegender Armut durchaus mit Griechenland vergleichbar. Ebenso vergleichbar ist der Kaufkraftverlust der Spanier als Folge der Austeritätsmaßnahmen, die einerseits Einsparungen im Sozialbereich und auf der anderen Seite die Verschwendung von Finanzhilfen für den Bankensektor bedeuten.
Spanien wächst derzeit durch exogene Faktoren wie den Ölpreis oder die expansive Geldpolitik der EZB, also durch Faktoren, die sich der Kontrolle der Regierung entziehen. Außerdem durch endogene Faktoren, wie den rechtzeitigen Ausstieg aus der Sparpolitik 2014, der dazu diente rechtzeitig zum Wahlkampf 2015 hohe Wachstumsraten zu erzielen. Das soll heißen, Spanien wächst durch regierungsfremde Faktoren. Die Faktoren, die in den Händen der Regierung liegen sind jedoch genau jene, die 2012 und 2013 einen derart tiefen Fall des BIP bewirkten und auch die selben Faktoren, die momentan ein Wachstum bewirken, allerdings nur kurzfristig: 2016 also nach der Wahl wird die Regierung wieder zu ihrem Sparkurs zurückkehren und Einsparungen durchdrücken, um die Defizitkriterien zu erfüllen, die mit dem Stabilitätsplan 2015 bis 2018 eingeführt und präsentiert wurden.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Glauben die Spanier ihrer Regierung noch?
Iván Ayala: Die Krise war die perfekte Ausrede für die Regierungspartei PP um ihre neoliberale Agenda ohne jegliche rote Linie durchzudrücken. Die kollektive Entscheidung (Sozialwahl) dieser Regierung war es, eine Agenda zur Auflösung des öffentlichen Sektors zu verfolgen, der im Vergleich mit unseren europäischen Nachbarn ohnehin schon sehr unterentwickelt war, und das Ganze ohne die Widerstände, die den Politlern in Zeiten des Wachstums begegnet wäre. Dies wurde von den Bürgern durchaus wahrgenommen, und die Wahllandschaft ist dabei sich zu verändern: Es gibt eine starke Nachfrage nach alternativen Wirtschaftsmodellen und weder die Regierungspartei PP noch die Oppositionspartei PSOE waren bislang in der Lage diese anzubieten. Deswegen bestätigt sich Wahl für Wahl dasselbe: Spanien braucht einen Wechsel.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann der Euro nur in einer echten Transfer-Union funktionieren?
Iván Ayala: Der Euro ist ein gescheiterter institutioneller Entwurf und muss zum jetzigen Zeitpunkt mindestens drei Elemente ändern, wenn er überleben will. Das eine sind die Schulden, die man auf europäischer Ebene restrukturieren muss, um die notwendigen Mittel für einen neuen Marshall-Plan freizusetzen. Zweitens ist es notwendig, die entsprechenden fiskalischen Transfermechanismen zu schaffen. An dritter Stelle muss die EZB als echte Zentralbank handeln und nicht nur als bloßer Verwalter der Inflation.
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Iván H. Ayala ist Mitglied im Wirtschaftsteams von Podemos und Wirtschaftswissenschaftler am Institut für Internationale Studien an der Universität von Madrid. Er hat ein Buch zum Thema „Was machen wir mit dem Euro“ mitverfasst (¿Qué hacemos con el euro? Akal, Madrid, 2012) und schreibt unter anderem als Gastautor für verschiedene Wirtschaftsblogs.