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18.08.2015 00:12
Die Nachfrage für Bargeld steigt europaweit stark an. Hersteller von Banknoten sehen die Gründe im Niedrigzins-Umfeld. Die Fälschungssicherheit von Bargeld und sein Status als legales Zahlungsmittel machen es in Krisenzeiten attraktiv für verunsicherte Sparer.

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Am nördlichen Ufer des Tegernsees liegt die Papierfabrik Louisenthal. Dort wird das Papier hergestellt, das später für die Produktion von Banknoten aus aller Welt genutzt wird. In das Papier eingearbeitet werden auch Wasserzeichen, Hologramme und leuchtende Fasern, die ein Fälschen der Banknoten unmöglich machen sollen. Allein in der Eurozone befinden sich derzeit etwa 17 Milliarden Banknoten im Umlauf, davon etwa 456.000 Fälschungen, wie aus Daten der EZB hervorgeht. Etwa 86 Prozent der Fälschungen gehen auf 20- und 50 Euro-Scheine zurück, was die EZB kürzlich dazu veranlasst hat, eine neue Variante des 20-Euro-Scheins in Auftrag zu geben. Sie soll ebenfalls in Louisenthal produziert und Ende November in Umlauf gebracht werden. Entsprechend hoch sind die Sicherheitsvorkehrungen der Fabrik.

Die Betreiberfirma der Fabrik, Giesecke & Devrient, konkurriert mit einer Hand voll Unternehmen weltweit um die Herstellung von Milliarden Banknoten. Während der Großteil der produzierten Banknoten dem Geldmonopol der Zentralbanken durch entsprechende Lizenzen unterworfen ist, werden etwa 70 Milliarden Geldscheine jedes Jahr auf Papier gedruckt, das von privaten Unternehmen wie Giesecke & Devrient hergestellt wird. Und das Geschäft mit der Herstellung von Bargeld boomt besonders in Zeiten der Finanzkrise, wie die FT berichtet. Demnach schätzt das Unternehmen mit Sitz in München, dass die weltweite Produktion „auf absehbare Zeit“ jedes Jahr um mindestens fünf Prozent wachsen werde – und dies trotz zweistelliger Zuwachsraten beim Gebrauch von Kreditkarten und anderer elektronischer Zahlungsarten.

Bargeld ist in Krisenzeiten zu 100 Prozent verlässlich. In Phasen der Panik muss sich ein solides Finanzsystem bewähren. In einer Krisensituation steigt die Nachfrage für Bargeld stark an. Der Grund hierfür liegt im Vertrauen in echte Währung“, zitiert die FT Ralf Wintergerst, Vorstandsmitglied von Giesecke & Devrient. Das Unternehmen erzielt einen Umsatz von insgesamt 1,8 Milliarden Euro und etwa die Hälfte davon mit Banknoten. Der restliche Umsatz entfällt unter anderem auf Chipkarten, aber auch auf Pass- und Ausweissysteme.

Doch der Bargeld-Boom droht am Müncher Unternehmen vorüberzugehen, denn inzwischen entstehen in den Papierfabriken von Giesecke & Devrient statt der ursprünglichen 90 nur noch 20 Prozent des Euro-Papiers, wie der Merkur berichtet. Zwar liefert das Unternehmen an über 100 Kundenländer und konnte so einen Teil kompensieren, doch der Wegfall der Euro-Aufträge schmerzt zusehends. So kündigte der Konzern zuletzt ein rigides Sparprogramm an, wie die Süddeutsche berichtet. Bis 2016 will man dort 100 Millionen Euro einsparen und bis zu 600 Mitarbeiter entlassen. Wachsende internationale Konkurrenz und der resultierende Preiskampf setzen den Familienbetrieb zunehmend unter Druck.

Aus Daten der EZB ist ersichtlich, dass die Bargeld-Nachfrage nach der Pleite von Lehman Brothers im Jahr 2008 sprunghaft angestiegen ist. Während kleinere und häufig verwendete Banknoten, wie etwa der 5-Euro-Schein, schon nach wenigen Monaten ausgetauscht werden müssen, basierte ein erheblicher Teil der stärkeren Nachfrage auf 200- und 500-Euro-Scheinen. Ökonomen werten dies als ein klares Indiz für ein Horten von Banknoten durch verunsicherte Sparer. Ein Grund für den Anstieg der Nachfrage liegt in der anhaltenden Griechenland-Krise. Der Umfang der dort in Umlauf befindlichen Banknoten lag Ende Mai bei 45,2 Milliarden Euro. Das entspricht in etwa 4.000 Euro Bargeld pro Kopf und sagt viel über das Vertrauen der Griechen in die Stabilität des Finanzsystems aus. Spekulationen über die Wiedereinführung der Drachme lösten dort einen regelrechten Ansturm auf die Bankautomaten aus. Einen ähnlich hohen Stand verzeichnete der Umfang der Banknoten zuletzt im Jahr 2012, als die Debatte um einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone einen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Damals musste die EZB Athen mit zusätzlichem Bargeld aus der Umgebung versorgen, um der Nachfrage standzuhalten.

Dabei beschränkt sich das Phänomen nicht nur auf die südeuropäische Krisenländer. Auch die Schweizer horten vermehrt Bargeld. Dort stieg allein der Wert der ausgegebenen Tausend-Franken-Scheine – der wertvollste Geldschein der Welt – im Mai um 41,6 Milliarden Franken. Das entspricht einem Anstieg von dreizehn Prozent im Vergleich zum Jahr 2013. Als Gründe werden dort die allgemeine finanzielle Unsicherheit und das Niedrigzins-Umfeld genannt. Und auch Deutschland, wo immer noch mehr als die Hälfte aller Transaktionen bar bezahlt wird, verbuchte eine gestiegene Nachfrage nach Bargeld. Seine Fälschungssicherheit und sein Status als legales Zahlungsmittel machen Bargeld in Krisenzeiten attraktiv für verunsicherte Sparer. Im aktuellen Niedrigzins-Umfeld kommt hinzu, dass die Anreize geringer werden, Geld auf Bankkonten zu lagern.

In Deutschland nehmen jedoch die Vorstöße zur Begrenzung von Bargeld-Zahlungen zu. So sprach sich etwa der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) für eine Obergrenze für das Bezahlen mit Bargeld und begründete dies mit Kampf gegen Schwarzgeldgeschäfte und Steuerhinterziehung. Borjans verwies dabei auf Italien, wo es seit längerem eine Obergrenze für Bargeschäfte von 1.000 Euro gebe, und Frankreich, wo dieses Limit gerade auf 1.000 Euro herabgesetzt wird. Wegen der anderen „Bezahlkultur“ in Deutschland müsste die Grenze höher liegen, etwa bei 2.000 oder 3.000 Euro. Zuvor machte sich bereits der „Wirtschaftsweise“ Peter Bofinger für eine Abschaffung des Bargeldes stark und forderte sogar die Staatschefs auf, sie sollten das Bargeld-Verbot beim G-20-Gipfel auf die Tagesordnung setzen. Trotz anderslautender Bekundungen dürfte der wichtigste Grund für diese Forderung sein, dass man die Sparer aus ihrem Sicherheitsdenken treiben will.


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