Finanzen

Wenn China sich auf einen Währungs-Krieg einlässt, verliert Europa

Lesezeit: 7 min
31.08.2015 00:05
Ein globaler Währungs-Krieg würde in Europa vor allem Frankreich und Italien treffen. China könnte mit billigen Exporten von die abgemagerte Industrie in diesen Ländern schwer treffen - und damit die Stabilität der Euro-Zone gefährden. Die USA dagegen könnten profitieren.
Wenn China sich auf einen Währungs-Krieg einlässt, verliert Europa
Anteil an den Welt-Güterexporten in Prozent. (Grafik: DWN; Quelle UNCTADSTAT)

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Chinas Exporte haben sehr große Bedeutung, nicht nur für China selbst, sondern für den Rest der Welt. Die Exporte haben in den letzten 15 Jahren die Wirtschaftsentwicklung in anderen großen Wirtschaftsräumen mit geprägt. China ist innerhalb von 15 Jahren zum größten Exporteur der Welt geworden, mit einem scheinbar unaufhaltsamen Anstieg seines Anteils an den Exporten der ganzen Welt (siehe blaue Linie in der Grafik). Der Aufstieg Chinas zur Werkstatt der Welt hat umgekehrt die Industrie in den USA, in Japan und in Europa massiv zurückgeworfen. Teilweise hat es zu einer regelrechten De-Industrialisierung dieser Wirtschaftsräume geführt. Der Anteil ihrer Exporte an den gesamten Weltexporten hat sich erheblich, aber in unterschiedlichem Ausmaß, zurückgebildet.

Am schlimmsten hat es die ehemalige Export-Großmacht Japan erwischt. Ihr Anteil ist seit den frühen 1990er Jahren im kontinuierlichen freien Fall und wird auch 2015/2016 drastisch weiter schrumpfen – allein schon währungsbedingt. Etwas besser haben sich die USA gehalten. Unmittelbar in den Jahren nach dem Beitritt Chinas zur WTO im Jahr 2001 ist ihr Anteil an den Weltexporten in den Folgejahren um rund einen Drittel gefallen. Dieser Anteil hat sich seit ungefähr zehn Jahren aber stabilisiert.

Grund dafür dürfte die auf Drängen Washingtons von 2005 bis 2008 gegenüber dem US-Dollar aufgewertete Währung Chinas sein. Auch Europa, hier ausgedrückt durch die Eurozone, hat ganz erheblich Federn lassen müssen. Bis ungefähr 2003 hatte der Anteil der Eurozone-Länder an den Weltexporten rund einen Drittel betragen und ist jetzt auf gut 24% gefallen. Diese Verluste innerhalb der Eurozone sind unterschiedlich verteilt. Von den großen Ländern sind vor allem Frankreich und Italien die großen Verlierer, während sich Spanien gut und Deutschland leidlich gehalten haben. Diese Trends werden sich 2015 fortsetzen. Währungsbedingt werden vor allem die Eurozone und Japan nochmals Einbussen erleiden. China und die USA dagegen werden weitere Gewinne einfahren.

Warum diese Entwicklung? Hier sind zwei Phasen zu unterscheiden. Nach der Hinwendung Chinas zu einem exportorientierten Wachstumsmodell Ende der 1970er Jahren dominierten zwei Faktoren das chinesische Exportwachstum bis Ende der 1990er Jahre.

- Die Reallöhne blieben trotz hohen gesamtwirtschaftlichen Wachstums praktisch unverändert. Dies wurde durch eine Arbeitsmarktregulierung erreicht, die schlimmste frühindustrielle Zustände implizierte. Millionen von Wanderarbeitern hatten kein Bleiberecht in den Städten und konnten jederzeit entlassen werden. Die Löhne waren generell administriert.

- China wertete parallel dazu die Währung zwischen 1980 und 1994 drastisch ab, um insgesamt mehr als 50%.

Dies änderte sich Ende der 1990er Jahre. Der Arbeitsmarkt wurde partiell liberalisiert. Den Unternehmen wurde es freigestellt, die Löhne im Einklang mit der Produktivität und Produktivitätsentwicklung festzulegen. Auch wurde das Aufenthaltsrecht in den Städten stark gelockert. Parallel dazu trat China der Welthandelsorganisation WTO bei und hatte dadurch erleichterten Marktzugang zu den wichtigen Exportmärkten.

- Da die Währung um die Jahrtausendwende stark unterbewertet war, und die Löhne viel zu tief gegenüber der Produktivität, konnte China auf breiter Front innert kürzester Zeit Marktanteile in praktisch allen Exportindustrien erobern. Die Währung blieb lange unterbewertet, obschon die Löhne in den 2000er Jahren stärker als die Produktivität zulegten. Aber sie waren eben im Ausgangspunkt viel zu niedrig.

- Parallel aber konzentrierte China sich auf die Produktion derjenigen Güter, welche das größte Wachstum unter allen Gütergruppen verzeichneten. Vier Produkte trugen mehr als einen Drittel zum gesamten Wachstum der Exporte bei: Mobiltelefone, Laptops, LCD-Displays und integrierte Schaltkreise.

- Dies geschah keineswegs aus bewusster Planung der Behörden, sondern war das Werk ausländischer multinationaler Konzerne, die China als Plattform für ihre Produktion wählten. Typisch für China ist die Dominanz solcher ausländischer Konzerne in der verarbeitenden Industrie. Typisch ist auch, dass viele der wichtigen Komponenten importiert und in China lediglich zusammengesetzt werden.

- Es gibt mit anderen Worten eine duale Exportstruktur mit einem dominanten Segment mit hohem ausländischen Vorleistungsanteil, und einem Segment, das auch wichtige chinesische Ressourcen enthält.

- China verfolgte auch eine pragmatische und zielgerichtete Politik in Gebieten, wo Europa beziehungsweise die Vereinigten Staaten gescheitert sind: Afrika bzw. Lateinamerika. Der Fokus galt natürlich den Bodenschätzen dieser Kontinente. Doch China hat mehr zur Entwicklung beigetragen, als die europäischen Ex- Kolonialmächte zuvor während Jahrzehnten und die USA in Lateinamerika. China entwickelte diese Regionen auch als Absatzmärkte.

Die außergewöhnliche Export-Performance Chinas ist nicht nur Faktoren in China zuzuschreiben. Eine wichtige Rolle spielt auch die naive Handels- und Währungspolitik in den USA, in Japan und in Europa. Bis 2005 akzeptierte Washington, dass China seine Währung an den Dollar koppelte und künstlich zu tief hielt. Erst dann wurde der Administration bewusst, was für ein massiver Schaden für die amerikanische Industrie entstand. In Japan und in der Eurozone war ein völlig verfehltes geldpolitisches Konzept maßgeblich. Die Notenbank sollte sich nur auf die Preisstabilität konzentrieren, und den Wechselkurs den Marktkräften überlassen.

Von diesem ursprünglich monetaristischen Credo haben sich die Bank of Japan nur widerstrebend und die EZB nicht explizit verabschiedet. Das ist schön und gut, wenn wirklich Marktkräfte am Wirken sind. Wenn aber ein aufstrebendes Exportland seine Währung und seinen Arbeitsmarkt massiv manipuliert, sind die Industrien in anderen Währungsräumen schutzlos ausgeliefert. Ebenso, wenn wichtige Exportindustrien Chinas zudem mit sehr niedrigen Kapitalkosten subventioniert und mit einer Kreditschwemme aufgeblasen werden. Oder wenn dieses Exportland umgekehrt in Kernsegmenten wie der Automobilindustrie seine Märkte durch prohibitive Schutzzölle abschottet. Genau dies ist im Falle Chinas geschehen. Eine naive Handelspolitik öffnete alle Märkte, ohne dass dem eine Reziprozität entgegen stand. Der handelsgewichtete, reale Wechselkurs des Yen und der Euro überschossen während mehrerer Jahre, ohne dass dies je als Problem der Geldpolitik begriffen wurde. Die Konsequenz ist, dass bedeutende Teile der verarbeitenden Industrie in Japan und teilweise in Europa irreversibel vernichtet wurden und nie wieder zurückkehren werden. Es sind keineswegs nur inflexible Arbeits- und Produktmärkte, sondern vor allem eine verfehlte, weil ideologisch verklärte Liberalisierungs- und Währungspolitik, welche Europa seit 15 Jahren in eine säkulare Quasi-Stagnation gebracht haben.

Warum steckt Chinas export- und investitionsgetragenes Wachstumsmodell in der Krise? Trotz dieses bedeutenden Erfolgs in der Vergangenheit steckt das chinesische Modell in einer Strukturanpassung, die in naher Zukunft einem massiven Konjunktureinbruch Platz machen dürfte. Nicht dass die Exportindustrie nicht mehr wettbewerbsfähig wäre, ganz im Gegenteil.

Doch die Fundamentalfaktoren für ein anhaltendes und starkes Export- und Investitionswachstum sind nicht mehr gegeben.

Der Blick zurück auf Chinas Exportbilanz seit der von Deng initiierten Kehrtwende Ende der 1970er Jahre zeigt ein sehr starkes, aber zyklisch heftig schwankendes Wachstum der Exporte (grüne Balken in der Grafik). Außergewöhnlich stabil und hoch war das Exportwachstum nach Chinas WTO-Beitritt 2001 bis 2008. Im Durchschnitt lag das Exportwachstum zwischen 1980 und 2008 immer rund bei 20% per annum (gelbe Linie). Als Maßstab für den Durchschnitt ist das gleitende 5-Jahresmittel genommen.

Dieses hohe durchschnittliche Exportwachstum hat sich seit der Weltwirtschaftskrise von 2009 markant abgeschwächt, auf deutlich weniger als 10% per annum. Es wird sich in den nächsten 2 bis 3 Jahren weiter abkühlen, mit einem eigentlichen Einbruch, der für nächstes Jahr zu erwarten ist. Dieses Jahr dürfte ein bescheidenes Wachstum, und nächstes Jahr ein deutlicher Rückgang zu erwarten sein.

Um dies verstehen zu können, ist eine Kenntnis der Einkommens- und Preiselastizitäten der chinesischen Exporte wichtig. Chinas Exporte reagieren einerseits sehr stark auf die Entwicklung des Bruttoinlandprodukts in seinen Absatzmärkten. Und sie reagieren sehr sensibel auf Veränderungen des realen, das heißt des preisbereinigten, handelsgewichteten Wechselkurses. Es gibt nicht allzu viele empirische Schätzungen von substantieller Qualität. Die vorhandene Evidenz zeigt eine sehr hohe Einkommenselastizität der Exportnachfrage von rund plus fünf. Anders ausgedrückt: Verändert sich das (handelsgewichtete) Bruttoinlandprodukt in seinen Absatzmärkten um 1%, so verändern sich die chinesischen Exporte um volle 5% in die gleiche Richtung. Das ist sehr viel. Die Einkommenselastizität muss aber sehr hoch sein. Sonst sind die beobachteten Phänomene bei Chinas Exportentwicklung nicht erklärbar. Die Wachstumsraten der Exporte (grüne Balken in der Grafik), die von einem Jahr von minus 4% auf plus 20%, plus 30% oder sogar plus 40% hinaufgehen. Dies kann nur geschehen, wenn die Einkommenselastizität sehr hoch ist. Die Evidenz zeigt zudem eine substantielle Preiselastizität von mehr als minus 1. Die Preiselastizität von minus 1 bis minus 1,5 ist ein Standardresultat in empirischen Exportfunktionen. Es bedeutet, dass die Exporte um rund 1-1,5% fallen (steigen), wenn sich die Währung handelsgewichtet um 1% aufwertet (abwertet). Was Chinas Exporte auszeichnet, ist die Kombination sehr hoher Einkommens- und normaler Preiselastizitäten.

Dies erklärt die Exportwicklung der vergangen Jahre. Weil das Wirtschaftswachstum in Europa, Japan und den USA sich seit 2009 stark verlangsamt hat, sind die chinesischen Exporte deutlich verlangsamt gewachsen. Sie wären noch wesentlich weniger gewachsen, wenn nicht die stark zunehmenden Exporte in die Schwellenländer kompensatorisch gewirkt hätten. Und diese sind so stark gewachsen, weil China von 2009 bis 2011 einen einmaligen kreditgetriebenen Investitionsboom im Inland entfachte. Dadurch stiegen die Rohstoffpreise auf ungeahnte Höhen. Dies gab den Schwellenländern hohe Kaufkraftgewinne, welches sie durch Käufe bzw. Importe nutzten. Dadurch die vergleichsweise immer noch hohen Exportzuwächse Chinas von 6 bis 8% per annum.

Doch dieses und vor allem nächstes Jahr werden die Exporte einen heftigen Einbruch erleiden. Wegen der abflauenden Investitionstätigkeit in China sind die Rohstoffpreise unter heftigem Druck. Die Einkommen der Schwellenländer sinken. Dies allein schwächt die Exporte Chinas. Doch zusätzlich gesellt sich noch eine heftige Aufwertung der Währung hinzu. Eine solche hat es in diesem Ausmaß seit den 1970er Jahren, dem Beginn des exportgetriebenen Wachstumsmodells nicht gegeben.

Der reale Wechselkurs Chinas hat sich in den letzten drei Jahren massiv aufgewertet, um über 30%. Dies dämpft allein die Exporte kumuliert um weit über 30%. Verantwortlich sind die Stärke des Dollars sowie der teilweise freie Fall vieler Währungen aus den Schwellenländern. Weil China mehr als die USA oder Europa in die Schwellenländer liefert, wird es dies voll zu spüren bekommen. Verantwortlich sind auch die politisch gewollten kräftigen Lohnsteigerungen in China.

Es ist möglich, dass China deshalb auf die Idee kommen könnte, seine Währung abzuwerten. Das wäre absolut fatal, wenn ausgerechnet jenes Land, welches der mit Abstand größte Exporteur der Welt ist, einen Abwertungs-Wettlauf auslösen würde. Dieses Land hat zudem wieder wachsende Überschüsse in der Leistungsbilanz. Länder wie Japan würden – gezwungenermaßen, um seine abgemagerte Industrie zu retten - unweigerlich sofort nachfolgen. Der japanische Finanzminister hat dies bereits öffentlich angedroht.

Es ist deshalb unbegreiflich, warum intelligente Finanzexperten aus dem Westen China ausgerechnet diese Politik-Option nahe legen. Bereits jetzt beginnt China, seine unausgelasteten Produktionskapazitäten im Inland zum Export umzulegen. Stahl- und Aluminiumexporte nehmen stark zu. General Motors überlegt, künftig aus seinen Werken in China Buicks nach den USA zu liefern. Macht dies Schule, wird auf die verarbeitende Industrie weltweit ein deflationärer Margendruck ausgelöst.



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