Nachdem an der österreichisch-ungarischen Grenze bei Heiligenkreuz die Lage wegen des Flüchtlingsansturms eskaliert war, zieht nun auch Österreich die Reißleine und führt angesichts des dramatisch gestiegenen Zustroms von Flüchtlingen ebenso wie Deutschland Grenzkontrollen ein. "Deutschland hat ein Signal gesetzt. Wenn Deutschland Grenzkontrollen einführt, muss auch Österreich das tun", sagte Österreichs Vizekanzler Reinhold Mitterlehner am Montag.
Innenministerin Mikl-Leitner kündigt an, dass die temporären Kontrollen "so schnell als möglich beginnen werden". Man werde je nach Lage entscheiden, "an welchen Grenzübertritten wir das schwerpunktmäßig machen."
Die Behörden in Österreich zählten bereits am Montagvormittag 7.000 Menschen, die seit Mitternacht von Ungarn die Grenze bei Nickelsdorf passiert haben. Der Grenzübergang auf der Autobahn A 4 wurde in beide Richtungen zeitweise von der Polizei gesperrt.
In Heiligenkreuz im Südburgenland werden stündlich weitere 500 Flüchtlinge erwartet. Insgesamt sind in dem kleinen Ort bereits 3.000 Personen. Die Polizei rechnet mit fünf- bis zehntausend Flüchtlingen, die noch kommen sollen.
Der Zugverkehr zwischen Österreich und Deutschland wurde unterdessen am frühen Morgen wieder aufgenommen. Die Verbindung zwischen Salzburg und München blieb jedoch gestört, weil sich Menschen auf den Gleisen befanden. Die Bundespolizei kontrolliert aus Österreich kommende Züge am bayerischen Bahnhof Freilassing. Flüchtlinge werden aus den Zügen geleitet, wie ein Reuters-Fotograf beobachtet.
Die Behörden sagten, es gebe keine Ressourcen mehr, um weitere Personen aufzunehmen. Um die Lage einigermaßen in den Griff zu bekommen, seien in Heiligenkreuz bereits Tretgitter aufgestellt worden. Doch die Flüchtlinge lassen sich davon nicht aufhalten und passieren die Sperre dennoch. Die Beamten wurden auf 120 Polizisten aufgestockt, dennoch sei die Situation kurz vor der Eskalation, meldet der ORF.
Offenbar hat Ungarn die Flüchtlinge gezielt nach Österreich gebracht: „Für uns sah es so aus, als ob die ungarischen Behörden diese Menschen loswerden wollten“, zitiert Die Presse den Polizeisprecher. Statt der sonst üblichen 40 bis 50 Flüchtlinge kamen bis Montagmittag 4500 über die Grenze.
Dieser Schritt sei ein "klares Signal an die Betroffenen, dass jetzt der ungeordnete Übergang über die Grenze nicht mehr so stattfinden kann", sagte Bundeskanzler Werner Faymann. Die Schengen-Regeln zum freien Reiseverkehr innerhalb der EU würden durch die Kontrollen nicht ausgesetzt, sagte der Bundeskanzler.
In welchem Ausmaß in Österreich nun Züge und Autos an den Grenzen kontrolliert werden, ließ die österreichische Bundesregierung vorerst unbeantwortet. "Das ist Aufgabe der Polizei", sagte der Bundeskanzler. Unterstützung soll die österreichische Polizei nun vom Bundesheer erhalten.
Zweitausend Mann des Bundesheers sollten vor allem humanitäre Hilfe im Inneren leisten, sagte Bundeskanzler Werner Faymann. Die Soldaten sollten jedoch auch an der Grenze eingesetzt werden und die Polizei bei Kontrollen unterstützen.
Das Asylrecht müsse jedoch weiter gewährleistet sein, sagte Faymann. Die österreichische Regierung hatte damit ihre widersprüchliche und reichlich konfuse Linie fortgesetzt. Am Sonntagabend hatte der Außenminister dringend geraten, die Grenzen zu schließen. Doch nun muss der offenbar sehr führungsschwache Bundeskanzler sich doch den Fakten beugen.
Faymann musste damit seine nur wenige Minuten zuvor getätigte Aussage zurücknehmen, Österreich werde seine Grenzen nicht schließen. Er hatte behauptet, Deutschland lasse weiterhin Flüchtlinge ins Land, obwohl das Land am Sonntag bekanntgegeben hatte, die Grenze zu Österreich vorübergehend zu kontrollieren. «Uns ist kein einziger Fall bekannt, wo Deutschland bislang jemanden zurückgeschickt hat», sagte Faymann. Tatsächlich hat Deutschland jedoch seine Grenzen zu Österreich geschlossen und kontrolliert offenbar relativ gründlich.
Die Polizei in Österreich hatte bereits vor gut zwei Wochen nach dem Fund von 71 toten Flüchtlingen in einem Lastwagen im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet verstärkte Kontrollen vor allem gegen mutmaßliche Schlepper eingeführt.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warnt vor einer lebensgefährlichen Situation für Flüchtlinge in Ungarn. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihr österreichischer Amtskollege Werner Faymann dürften ihre „Menschenrechte zuerst“-Haltung nicht durch überfallartige Grenzschließungen oder Bahnsperren infrage stellen, forderten beide Organisationen.
Doch durch Warnungen wie dieser besteht die Gefahr, dass die Flüchtlinge in Unruhe geraten und so schnell wie möglich Ungarn verlassen wollen.