Besonders gefährlich bei Krebs ist immer der Moment, in dem der Körper beginnt, Metastasen zu bilden. Wenn Tumore streuen, wandern Krebszellen durch den Blutstrom, bis sie sich in neuem Gewebe festsetzen. Dort können dann Metastasen entstehen. Je früher man diese entdeckt, umso schneller kann eingegriffen werden. Einem Forscherteam vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), dem Münsterschen Zentrum für Nanotechnologie (CeNTech) und dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) ist es gelungen, mit einer neuen Methode sogar einzelne Krebszellen ausfindig zu machen, noch bevor sie sich im Gewebe festsetzen. Auf eine Krebszelle kommen rund eine Milliarde gesunde Zellen, deswegen ist es so schwierig, diese ausfindig zu machen. Doch mit dem neuen Verfahren können Krebszellen in Blutproben gefunden und isoliert werden.
„Mit unserer Methode erzielen wir eine sehr hohe Trefferquote: Über 85 Prozent der ausgefilterten Zellen sind tatsächlich Krebszellen“, so Michael Hirtz vom Institut für Nanotechnologie am KIT. „Zudem können wir die verdächtigen Zellen unbeschadet entnehmen und näher untersuchen.“ Die so herausgefilterten Tumorzellen zeichnen dann ein Bild davon, wie die Therapie anschlägt und wie die Krankheit zukünftig verlaufen wird. Nach der Entnahme der Krebszellen können dank einer genetischen Analyse dieser Krebszellen individualisierte Therapien entwickelt werden. Der Bluttest ist nicht nur für Patienten mit Krebs hilfreich. Sie können auch genutzt werden, um andere Krankheitsfälle zu bearbeiten: und zwar genau dann, wenn die verdächtigen Zellen selten im Blut oder in anderen Körperflüssigkeiten vorkommen.
Hintergrund der neuen Entwicklung ist eine so genannte Mikroarray-Plattform. Diese entsteht, indem die Wissenschaftler mit einem Kunststoffstempel aus der ‚Polymer Pen Lithografie‘ mikroskopisch kleine Oberflächenstrukturen auftragen, an denen die Zielzellen haften bleiben. Dann wird die Blutprobe über einen Mikrokanal über die Plattform hinweg geleitet.
An der Kanaldecke befindet sich zudem eine fischgrätenartige Struktur. Diese wirbelt die Flüssigkeit regelmäßig durch, damit dabei möglichst viele Zielzellen mit dem Array in Kontakt kommen. „Während die Tumorzellen an den präparierten Stellen nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip andocken, werden die übrigen Zellen einfach weggespült“, erklärt Hirtz das Prinzip.
Neben dem neuartigen Bluttest hat das Forscherteam jedoch eine weitere wichtige Entdeckung gemacht. So konnt festgestellt werden, dass im Labor CD44v6-spezifische Peptide nicht nur die Ausbreitung der Tumorzellen hemmen, sondern sogar zur Rückbildung bereits vorhandener Metastasen führen können. „Wir glauben, dass diese Peptide ein hohes Potenzial als Wirkstoff in der Tumortherapie haben, vor allem für die Behandlung von Pankreaskrebs mit seinen aggressiven Metastasen“, sagt Véronique Orian-Rousseau vom Institut für Toxikologie und Genetik (ITG) am KIT.
Das Protein CD44v6 „fungiert auf der Zellmembran als Ko-Rezeptor für Signalmoleküle, wodurch bestimmte Enzyme, die sogenannten Tyrosinkinasen wie etwa MET oder VEGFR-2, aktiviert werden“, so die Wissenschaftler. „Diese Enzyme beeinflussen maßgeblich die Aktivitäten von Tumorzellen.“ MET forciere ihre Vermehrung, Migration und Invasion. VEGFR-2 fördere die Angionese, also die Neubildung von Blutgefäßen, die zur Versorgung des Tumors notwendig sind. Mit vorklinischen Studien konnte gezeigt werden, dass die Ko-Rezeptorfunktion von CD44v6 die treibende Kraft für die Metastasierung sei, so das Forscherteam.
In den Studien erwiesen sich kleine Abschnitte von CD44v6 sogar als erfolgreiche Hemmstoffe bei der Metastasenbildung: „Die Peptidbehandlung von tumortragenden Tieren führte zur Reduktion der Tumorlast und zur Hemmung der Metastasenbildung. Aber auch bereits vorhandene Metastasen bildeten sich zurück oder verschwanden gänzlich.“ Ende 2016 sollen klinische Studien zeigen, wie und ob die Peptide auch als Wirkstoffe bei menschlichen Patienten, hauptsächlich bei Bauchspeichelkrebs, eingesetzt werden können.