Politik

Schießerei und Festnahmen: Neue Terrorangst in Paris

Lesezeit: 3 min
18.11.2015 15:25
Paris ist offenbar nur knapp einem weiteren Anschlag entkommen. Insgesamt wurden sieben Verdächtige festgenommen. Den Festnahmen im nördlichen Stadtteil Saint-Denis gingen schwere, stundenlange Gefechte voraus.
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Paris ist wohl nur knapp einem weiteren Anschlag islamistischer Extremisten entkommen. Nach einem Schusswechsel mit mutmaßlichen Komplizen der Selbstmordattentäter vom Freitag nahm die Polizei am Mittwoch sieben Verdächtige fest. Zwei Polizei-Insider sagten der Nachrichtenagentur Reuters, die Gruppe stehe im Verdacht, einen Anschlag auf das Geschäftsviertel La Defense geplant zu haben. Unklar blieb zunächst, ob auch der Belgier Abdelhamid Abaaoud verhaftet wurde, der als möglicher Drahtzieher der Attacken mit 129 Toten und Hunderten Verletzten gesucht wird.

Den Festnahmen im nördlichen Stadtteil Saint-Denis gingen Gefechte mit schwer bewaffneten Sicherheitskräften voraus. Nach Behördenangaben sprengte sich eine Frau in die Luft. Ein weiterer Mann wurde offenbar von einem Scharfschützen erschossen. Bei dem Einsatz wurden mindestens drei Polizisten und ein Passant verletzt. Die Gegend wurde weiträumig gesperrt. Menschen wurden aufgefordert, in ihren Häusern zu bleiben.

Die ersten Schüsse fielen gegen 04.30 Uhr. „Wir konnten die Schüsse und die Ziellaser aus dem Fenster sehen“, sagte eine Bewohnerin des Hauses, in dem sich die Verdächtigen verbarrikadiert hatten: „Es gab Explosionen, das ganze Gebäude wackelte.“ Sie und ihr Sohn hätten hören können, wie die Leute in der Wohnung über ihnen ihre Waffen nachgeladen hätten. Die Gemeinde befindet sich Momentan im Schock-Zustand, das öffentliche Leben kam zum Erliegen.

Staatsanwalt Francois Molins sagte, die Polizei habe Hinweise darauf gehabt, dass Abaaoud vor Ort sein könnte. „Wir überprüfen das.“ Ein Insider mit Einblick in die Ermittlungen ergänzte: „Dieses zweite Team plante einen Angriff auf La Defense.“ Die Razzia sei zurückgegangen auf Hinweise von Behörden aus dem In- und Ausland. Das Innenministerium wollte sich dazu nicht äußern.

Frankreichs Präsident Francois Hollande forderte die Staatengemeinschaft auf, ihre unterschiedlichen nationalen Interessen zurückzustellen und gemeinsam die Islamisten-Miliz IS zu bekämpfen, die sich zu den Angriffen am Freitag auf eine Konzerthalle, mehrere Bars und das Pariser Nationalstadion bekannt hatte. „Wir müssen eine große Koalition bilden, um den IS entscheidend zu treffen.“

Nach den Attentaten hatte Hollande das Land in den Ausnahmezustand versetzt. Das kommentiert die französische Zeitung Le Monde folgendermaßen: „Francois Hollande hat eine deutliche Wende hin zur Sicherheitspolitik vollzogen. Er hat konservative oder sogar rechtsextreme Vorschläge aufgenommen, ohne Rücksicht auf mögliche Irritationen bei den Sozialisten. Alle angekündigten Initiativen müssten so schnell wie möglich umgesetzt werden, betonte er. Man weiß jedoch genau, dass diese Dinge Zeit erfordern. Und die angekündigte Verfassungsänderung ist noch völlig unklar. Will man den Ausnahmezustand zu einer langfristigen Waffe für die Regierung umwandeln, könnten dadurch die Grundfreiheiten gefährdet werden. Die gehören genauso zu den Menschenrechten wie die Sicherheit. Die Sicherheit ist gewiss eine grundlegende Forderung, aber nicht um jeden Preis.“

In Berlin beriet nach der Absage des Fußball-Länderspiels gegen die Niederlande das Sicherheitskabinett über die Gefährdungslage in Deutschland. Kanzlerin Angela Merkel sagte anschließend, die Sicherheitsbehörden hätten eine verantwortliche Entscheidung getroffen. Bei der Durchsuchung des Stadions in Hannover wurden allerdings keine Sprengsätze gefunden.

Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil verteidigte die Absage des Spiels. Sein Innenminister Boris Pistorius erklärte, es bestehe eine allgemeine Gefährdungslage: „Aber wir können nicht davon ausgehen, dass beispielsweise jeder Bundesliga-Spieltag gefährdet wäre.“ Es gebe auch keine Anhaltspunkte, dass Weihnachtsmärkte attackiert würden. Die Einschätzung könne sich zwar täglich ändern, es wäre aber ein Triumph für die Pariser Attentäter, wenn es keine Rock-Konzerte oder Fußballspiele mehr gäbe. Vollständige Sicherheit könne es nicht geben: „Gegen das Sprengen von Sprengstoffgürteln gibt es keine Konzepte.“

Die Deutsche Fußball Liga teilte unterdessen mit, die Bundesliga-Spiele fänden am Wochenende wie geplant statt. Die Clubs seien in einem intensiven Austausch mit den Behörden, um die Sicherheit zu gewährleisten. Der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Roger Lewentz, forderte die Fans auf, keine Böller in die Stadien zu bringen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält zur Unterstützung der Polizei offenbar auch einen Bundeswehreinsatz im Inland nicht für tabu. Er sagte der Rheinischen Post zufolge bei einer Veranstaltung in Düsseldorf: „Wenn wir eine Situation hätten wie in Paris, möglicherweise mit Anschlägen an drei bis vier Orten, wird man darüber nachdenken müssen, ob unsere polizeilichen Fähigkeiten ausreichen.“ Die Frage sei dann, wie die schon an manchen normalen Wochenenden überforderten Sicherheitskräfte unterstützt werden könnten. Die Bundeswehr darf nur im Rahmen der Amtshilfe bei Katastrophen im Inland eingesetzt werden.

Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen sagte der ARD, er würde nicht empfehlen, Großveranstaltungen in nächster Zeit abzusagen. Allerdings sei dies am Dienstag geboten gewesen. „Mit Blick auf das Fußballspiel in Hannover hatten wir einen Hinweis gehabt.“ Nach einer Überprüfung habe sich erwiesen: „Das ist ein Hinweis, den müssen wir sehr, sehr ernst nehmen.“ Die Bedrohung durch den IS sei groß: „Deutschland ist Feind des IS.“ Das gelte für alle westlichen Staaten. „Wenn der IS uns treffen kann, wenn der IS Terroranschläge in Deutschland durchführen kann, dann wird er es tun - das ist unsere große Sorge“, so Maaßen. Laut BKA-Präsident Holger Münch sei Deutschland ein „erklärtes Angriffsziel“ von Islamisten, derzeit haben die Sicherheitsbehörden  aber keinen konkreten Anhaltspunkt für ein Anschlagsziel in Deutschland.

Unterdessen sind alle 129 Opfer der Anschläge vom Freitag nach Angaben der Behörden identifiziert. Von den sieben ums Leben gekommenen Angreifern sind mittlerweile fünf namentlich bekannt. Vier davon waren Franzosen. Bei einem fünften stimmten die Fingerabdrücke mit denen eines Mannes überein, der im Oktober als Flüchtling aus der Türkei nach Griechenland eingereist war. Neben dem möglichen Hintermann Abaaoud sucht die Polizei weiter nach Salah Abdeslam, einem in Belgien lebenden Franzosen, der möglicherweise an dem Anschlag beteiligt war. Hier haben sich die französischen Behörden schwere Fehler erlaubt, die zu der Flucht führten.

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