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Financial Times Deutschland: Am Ende zahlt immer die Belegschaft

Lesezeit: 5 min
23.11.2012 01:26
Deutschland verliert eine Wirtschaftszeitung: Gruner + Jahr macht die FTD dicht. Mindestens 320 Wirtschaftsjournalisten verlieren ihren Job. Worüber sie bisher nur geschrieben haben, erfahren sie nun am eigenen Leib: Wenn angestellte Manager Fehler machen, zahlen am Ende immer die einfachen Mitarbeiter die Zeche.
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Bisher waren es nur Gerüchte, nun ist die Entscheidung endgültig: Am Freitagvormittag wird der Verlag Gruner + Jahr nach Informationen der Deutschen Wirtschafts Nachrichten der Belegschaft die Einstellung der Wirtschaftszeitung Financial Times Deutschland mitteilen. Am Donnerstagabend wurde im Vorstand beschlossen, keine der zuletzt halbherzig kolportierten Varianten (Verkauf, Fortführung in anderer Form) zu wählen, sondern den für die G+J-Manager sichersten Weg zu gehen – das Blatt wird dichtgemacht.

Schon vor einigen Tagen hatte sich die Verlagsleitung bei den Eigentümern – dem Medienkonzern Bertelsmann und der Familie Jahr – dafür eingesetzt, dem langen Leiden der FTD ein Ende zu bereiten. Das Abenteuer Wirtschaftszeitung hat den Verlag 250 Millionen Euro gekostet. Auch die im Segment der Wirtschaftspresse angesiedelten Magazine stehen vor einer ungewissen Zukunft: Capital könnte zu einem Ableger des Stern werden, bei Impulse soll ein Management-Buyout versucht werden. Börse Online wird verkauft oder geschlossen.

Für das Management bei G+J ist die Schließung die einfachste Lösung: Die Eigentümer haben zugestimmt, bis zu 40 Millionen Euro auf den Tisch zu legen. Über eine intelligente Fortführung des Titels war offenbar nicht ernsthaft nachgedacht worden. Zuletzt hatte die Leitung der Wirtschaftspresse versucht, mit dem Vorschlag einer schrittweisen Umstellung auf eine reine Online-Ausgabe zu retten, was nicht mehr zu retten war. Ein Verlagssprecher hatte am Donnerstag den Mitarbeitern noch einmal ein wenig Hoffnung gemacht, als in einigen Mediendiensten ein Statement verbreitet wurde, man verhandle noch über einen Verkauf (der Mediendienst Meedia berichtet, dass auch diese Verhandlungen gescheitert seien – hier).

Ob solche Verhandlungen wirklich ernsthaft betrieben wurden ist nicht bekannt. Die Salamitaktik, mit der die FTD zu Grabe getragen wurde, hat bei den Mitarbeitern Verbitterung ausgelöst: Praktisch nach jeder Vorstandssitzung – entweder bei Gruner oder bei Bertelsmann – sickerten Details durch, die den Tod ankündigten. Der Bote war meist die FAZ, die solche Geschichten mit Sicherheit nicht erfunden hat. Mitarbeiter der FTD sagten den Deutschen Wirtschafts Nachrichten, es sei unfassbar, dass Vorstandsmitglieder offenbar unmittelbar nach der Sitzung an die Medien gehen, um die Beschlüsse unters Volk zu bringen. Tatsächlich fühlte sich niemand bei G+J bemüßigt, der immer nervöseren Belegschaft eine authentische Botschaft zu übermitteln, wie es denn nun tatsächlich um die FTD stehe.

So wussten auch die Vertriebsmitarbeiter der Wirtschafts-Titel nur das, was in den Zeitungen stand. Am Donnerstag gingen sie in den diversen Call-Centern noch wie gewohnt ihrer Arbeit nach. Via Telefonmarketing wurden beispielsweise potentielle Kunden eingeladen, doch zu Probelesern des Magazins Impulse zu werden. Auf die Frage, was denn passiere, wenn Impulse vom Markt verschwindet, kamen die Mitarbeiter ins Schwimmen und sagte, sie wüssten auch nicht, was dann passiert. In all der Tristesse gab es hier jedoch auch vereinzelt Lichtblicke von Schlagfertigkeit: Eine Verkäuferin sagte einem Kunden, dass er das Heft dann erst recht kaufen solle – schließlich hielte er dann vielleicht eine der letzten Ausgaben in Händen.

Die Geschichte vom Scheitern der FTD wurde in vielen Medien zu einem Abgesang auf die klassische Tageszeitung genutzt. Im Falle von G+J sind ideologische Überhöhungen unangebracht. Das Scheitern der FTD zeigt eher, dass bei G+J über Jahre ein erhebliches Missmanagement geherrscht haben muss – in einer gefährlichen Mischung von Arroganz und Ignoranz. Ein Kauf-Interessent an der FTD berichtet, dass er kurz vor dessem Abgang dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Bernd Buchholz angeboten habe, über einen Verkauf zu verhandeln. Buchholz hatte sich zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits auf das Sonnendeck der Vorstandsetage zurückgezogen: Er entgegnete dem potentiellen Käufer, dass er, Buchholz, im Hinblick auf die immer kürzer werdenden Halbwertszeiten eines G+J-Chefs mit seiner baldigen Ablösung rechne. Der ehemalige FDP-Abgeordneten sah es, obwohl noch im Amt, offenbar nicht mehr als angebracht an, sich mit der Möglichkeit zu beschäftigen, wie man die Zukunft von über 300 Mitarbeitern sichern könnte.

Im amtierenden Vorstand hat keines der Mitglieder jemals in leitender Position in der Redaktion einer Tageszeitung gearbeitet. Das Dreier-Team besteht aus Achim Twardy, der das schrumpfende Zeitungsgeschäft verwaltete – der Verlag besitzt noch die Mehrheit bei der „Sächsischen Zeitung“ - und manch einer fragte sich, wieso man für eine Zeitung einen eigenen Vorstand braucht. Daher übernahm Twardy später die Finanzen bei G+J. Außerdem sitzt im Vorstand Torsten-Jörn Klein, der vom Bertelsmann-Buchclub nach einem Intermezzo im Berliner Verlag vom damaligen G+J-Chef Kundrun, der ebenfalls keine Tageszeitungserfahrung hatte, in die Sparte Zeitschriften Ausland befördert wurde. Dort musste er sich unter anderem mit einem handfesten Auflagen-Manipulations-Skandal bei der österreichischen G+J-Tochter News herumschlagen. Als der Skandal aufflog, wurde der lokale Manager gefeuert. Klein hatte stets behauptet, von den Manipulationen nichts gewusst zu haben. Ein österreichischer Verlagsmanager sagte den Deutschen Wirtschafts Nachrichten dagegen, er habe Klein schon sehr frühzeitig über die auffälligen Zahlen in der Auflagenkontrolle informiert. Geschehen sei lange Zeit jedoch nichts. Das dritte Vorstandsmitglied, Julia Jäkel, ist erst seit kurzem im obersten Gremium. Zuvor absolvierte sie verschiedene Stationen bei G+J und war zuletzt für die Lifestyle-Marken Brigitte, Gala, Schöner Wohnen, National Geographic Deutschland oder Chefkoch.de verantwortlich.

Keiner der verantwortlichen Manager hat jemals unmittelbar im Tagesgeschäft die erfolgreiche Transformation einer Wirtschafts-Tageszeitung im Internet-Zeitalter geleitet. Gleichzeitig scheinen auch alle internen, fachkundigen Kontrollmechanismen bei der FTD und bei Bertelsmann versagt zu haben: Wenn die kolportierten Verluste der Zeitung aus den vergangenen Jahren stimmen, dann muss man sich fragen, wie es möglich ist, dass eine Wirtschaftszeitung nach der Krise im Jahr 2008 einfach so weitergewirtschaftet hat und offensichtlich keinerlei zukunftssicherenden Sparmaßnahmen ergriffen wurden.

Der mittlerweile mit einer Millionen-Abfindung in den Ruhestand geschickte Ex-Vorstandsvorsitzende Bernd Buchholz hatte zu Beginn seiner Amtszeit einmal für Aufregung in der Belegschaft gesorgt: Er hatte den Redakteuren zugerufen, dass die Zeit „auf dem Sonnendeck“ nun vorbei sei und wieder härter gearbeitet werden müsse. Auf dem Sonnendeck von Bertelsmann haben die Manager von G+J allerdings stets das für angestellte Manager typische Gebaren an den Tag gelegt: Sie haben darauf vertraut, dass sie für Erfolge Tantiemen einstreifen, für Verluste jedoch die Gesellschafter aufkommen müssen. Dieses Spiel wird nun für die FTD bis zum bitteren Ende durchgespielt: Hunderte Redakteure haben existentielle Sorgen, die mit Abfindungen zwar gelindert werden können. Die meisten Mitarbeiter werden es jedoch schwer haben, einen Job zu finden. Die Arbeitslosigkeit war den meisten von ihnen nur in den monatlichen Statistiken begegnet, über die sie als Redakteure zu schreiben hatten.

Die angestellten G+J- und Bertelsmann-Manager dagegen können hoffen, dass sie am Ende des nächsten Geschäftsjahres wieder einen Bonus einstreifen, weil der Wegfall der FTD zu einer Ergebnisverbesserung bei G+J und Bertelsmann führen wird. Als Gründe der Einstellung werden - wie in der realen Wirtschaftswelt - das schlechte konjunkturelle Umfeld, die Anzeigenkrise und das Internet - angeführt werden. Von eigenen Fehlern wird keiner sprechen.

So ereilt die Wirtschaftsredakteure jenes Schicksal, über das sie in der FTD tagtäglich berichten, wenn sie mit kritischem Blick über andere Branchen schrieben. Ähnliches hatten zuvor schon die Redakteure der Frankfurter Rundschau erfahren. Deren Ende ist noch krasser, weil das Management-Versagen des Vorstands offenbar so erheblich ist, dass nun der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird, weil das Blatt in die Insolvenz geschickt wurde. Der Kölner DuMont Verlag hatte sich anscheinend eine ordentliche Abwicklung nicht mehr leisten können. Auch hier gab es kein Wort über eigenes Versagen auf seiten des Vorstands.

Natürlich spielen technologische Entwicklungen wie die Marktdominanz von Google eine Rolle (hier). Aber tatsächlich sind die Gründe in den meisten Fällen weit profaner: Es handelt sich beim aktuellen Zeitungssterben mitnichten um das Ende der Tageszeitung als Gattung. Die Crashs sind schlicht die logische Folge einer unerbittlichen Wirtschaftsregel, die für Banken, Staaten und Medien gleichermaßen gilt: Wo angestellte Manager mit dem Geld der Shareholder große oder kleinere Räder drehen, bleibt im Fall des Scheiterns immer die Belegschaft auf der Strecke.


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