Im Streit um die Flüchtlingspolitik haben die Delegierten beim CDU-Parteitag ihre Vorsitzende Angela Merkel mit rauschendem Beifall begrüßt. Die etwa 1000 CDU-Mitglieder erhoben sich und applaudierten, als die Kanzlerin den Parteitag eröffnete. Die CDU-Führung hatte ihren Streit um den Willkommenskurs Merkels am Sonntagabend mit einem Kompromiss entschärft. Am Vormittag wollte Merkel ihre Position in der Flüchtlingspolitik begründen.
Die CDU-Spitze hatte in den Leitantrag zum Flüchtlingsthema den Passus geschrieben, man sei entschlossen, „den Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen durch wirksame Maßnahmen spürbar zu verringern“. Die von der CSU und Teilen der CDU geforderte nationale Obergrenze steht wie von Merkel verlangt nicht in dem Antrag. Dennoch dürfte es bei der Aussprache eine kontroverse Debatte geben.
Unionsfraktionschef Volker Kauder attackierte am Rande des Kongresses den Koalitionspartner SPD. „Sie wollten es ja besser machen als wir – dieser zerstrittene Unions-Haufen – und jetzt suchen sie einen neuen Kanzlerkandidaten.“ Die Sozialdemokraten hatten ihren möglichen Kanzlerkandidaten Sigmar Gabriel am Freitag bei dessen Wiederwahl zum Vorsitzenden mit 74,3 Prozent abgestraft.
Kauder betonte die Geschlossenheit der CDU: „Wir sind geeint und die SPD ist zerstrittener – schlimmer als je zuvor.“ Auch der Vorsitzende der Jungen Union (JU), Paul Ziemiak, sagte: „Wir sind geschlossen und wir werden ein richtiges Signal von diesem Parteitag senden.“ Die JU hatte einen eigenen Antrag für eine Obergrenze zurückgezogen.
Die Angst der Parteimitglieder vor den Folgen einer abweichenden Meinung ist nur zu begründet. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Klaus-Peter Willsch, beschreibt in seinem Buch, wie er in einem regelrechten Mobbing-System eiskalt entmachtet wurde und die Partei dazu noch zu feige war, es ihm ins Gesicht zu sagen:
Dann erhielt ich einen Anruf meines Landesgruppenchefs, der mir von erheblichen Widerständen gegen meine erneute Entsendung in den Haushaltsausschuss berichtete. Michael Meister empfahl mir, mich der Unterstützung des Landesparteivorsitzenden zu versichern. Wenn sich Bouffier als stellvertretender CDU-Bundesvorsitzender für mich aussprechen würde, könnte man sich dem nicht widersetzen. Also: Termin mit Bouffier. Wir trafen uns in der Hessischen Landesvertretung in Berlin und erörterten meine Personalie. Bouffier und ich kennen uns seit den gemeinsamen Zeiten in der Jungen Union. Als ich JU-Kreisvorsitzender im Rheingau-Taunus war, hieß der Landesvorsitzende Volker Bouffier. Zum inneren Klüngelkreis der »Tankstelle« gehörte ich zwar nie, aber unser Verhältnis war zumindest einigermaßen unbelastet.
Bouffier war Mitglied der Verhandlungskommission zur Vorbereitung der Großen Koalition auf Bundesebene und zugleich als Landesvorsitzender mit Sondierungsgesprächen zur Regierungsbildung in Wiesbaden beschäftigt. Bouffier schilderte mir das damals alles so weitschweifig, dass es mir fast wie Frevel vorkam, ein paar Minuten seiner kostbaren Zeit für mein schnödes Anliegen einzufordern. Ich stellte ihm also möglichst knapp und präzise die Situation dar. Nie hatte ich versucht, im Haushaltsausschuss Beschlüsse zu sabotieren. Der Haushaltsausschuss bestand in der vergangenen Legislaturperiode aus 41 Mitgliedern. Davon waren 16 aus den Reihen der CDU/CSU, zehn von der SPD, sechs von der FDP, fünf Linke und vier Grüne. Die Mehrheit war mit 22 zu 19 knapp. Wenn zwei Koalitionsabgeordnete nicht mitspielten und die Opposition geschlossen mit Nein stimmte, hätte es zumindest im Ausschuss für die Koalition keine Mehrheit gegeben. Um nicht gegen meine Überzeugung oder gegen meine AG-Kameraden abstimmen zu müssen, suchte ich bei Abstimmungen immer einen Stellvertreter, der für mich die Hand hob.
Wenn ich als Obmann einmal unseren Sprecher vertreten musste, trug ich im Ausschuss den vorbereiteten Sprechzettel für die Arbeitsgruppe vor; erst in der allgemeinen Runde äußerte ich meine persönliche Kritik. An meiner eigentlichen Tätigkeit als Berichterstatter für den Haushalt des Verteidigungsministeriums gab es überhaupt keine Kritik. Meine Pflichten als Obmann hatte ich immer erfüllt, nie waren wir im Ausschuss ohne Mehrheit. Ich kämpfte immer mit offenem Visier. Heckenschützen verachte ich. Mein abweichendes Abstimmungsverhalten hatte ich immer im Vorfeld schriftlich angekündigt. Auch dann noch, als das Fax wahrscheinlich sofort aus dem Gerät im Papierkorb verschwand, weil mein Nein ohnehin schon eingepreist wurde.
Nachdem sich Bouffier meine Geschichte angehört hatte, wog er landesväterlich sein Haupt, zog noch einmal an seinem Zigarillo und versicherte mir dann, dass ich der hessische Vertreter im Haushaltsausschuss sei und bleibe. Er werde das Merkel und Kauder entsprechend mitteilen. Im Anschluss berichtete ich meinem Landesgruppenvorsitzenden von meinem Gespräch mit Bouffier, das dieser als Verhandlungsauftrag entgegennahm. Ich erzählte auch anderen Teppichhändlern davon, um weiteren Intrigen den Boden zu entziehen.
Am späten Nachmittag des 20. Dezembers 2013 wurde aus dem Büro des Landesgruppenvorsitzenden eine unpersönliche E-Mail an alle hessischen Bundestagsabgeordneten mit einer Auflistung der Ausschussmitgliedschaften versendet. Ich fand mich im neu geschaffenen Ausschuss für Wirtschaft und Energie wieder. Niemand hatte das Format, mir das vorher ins Gesicht zu sagen. Damit hätte ich durchaus umgehen können. Heckenschützen verachte ich.
Einen Tag später fand in Rosbach in der Wetterau ein Kleiner Parteitag der Hessen-CDU statt, auf dem der mit den Grünen ausgehandelte Koalitionsvertrag abgesegnet werden sollte. Als ich Bouffier und Meister zusammenstehen sah, ging ich direkt auf sie zu. Ich sagte beiden ins Gesicht, dass ich mir offensichtlich aus zwei Möglichkeiten eine aussuchen könnte: Entweder hatten sie mich (gemeinschaftlich) verladen oder beide hatten auf Bundesebene nichts zu melden. Ich fügte noch hinzu, dass ich beides gleichermaßen unbefriedigend fände, als der Parteitag eröffnet wurde und sich damit für beide ein Ausweg aus der peinlichen Situation bot.
Auch mein Kollege Alexander Funk wurde aus dem Haushaltsausschuss entfernt und darf sich jetzt genauso wie Veronika Bellmann, die zuvor Obfrau im Europaausschuss gewesen war, Verkehrspolitiker nennen. Die CSU ging damals einen anderen Weg und band ihre Abweichler ein. Gauweiler wurde im November 2013 zum stellvertretenden CSU-Landesvorsitzenden gewählt, nachdem Seehofer zwei Jahre zuvor noch Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hatte, genau dies zu verhindern. Thomas Silberhorn wurde CDU/CSU-Fraktionsvize für die Bereiche Innen, Recht und Verbraucherschutz. Paul Lehrieder wurde zum Vorsitzenden des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend befördert. Über die Gründe, warum die CSU ihre Abweichler einband, wir in der CDU aber isoliert wurden, kann ich nur mutmaßen.
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Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch packt in seinem Buch Von Rettern und Rebellen: Ein Blick hinter die Kulissen unserer Demokratie schonungslos aus: Die Bundesregierung war seit Beginn der Eurokrise nicht nur vollkommen planlos, sondern hat auch gegenüber dem Bundestag gezielt Informationen zurückgehalten. Staunend schaute sie zu, wie die Mittelmeerstaaten den Währungsraum zur Transferunion umbauten. Und auch die Opposition versagte völlig. Willsch zeigt mit Informationen, die der Öffentlichkeit bisher nicht zugänglich waren, die zentralen Probleme auf: die Machtlosigkeit des Parlaments gegenüber der Regierung, mangelnder ökonomischer Sachverstand im Bundestag und die mal subtile, mal rigorose Machtsicherung der Führung.
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